Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv. Wiglaf Droste

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Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv - Wiglaf Droste

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beglückend empfindet, aber in einer Art Höflichkeitsstarre verharrt. Bevor er erfahren muss, was passieren wird, wenn die riesige chinesische Blase platzt, klingelt sein Telefon, das er, erleichterten Antlitzes, aus seiner Tasche zerrt. Sehend, wer ihn anruft, maskiert er sich mit einem Lächeln und flüstert über den Tisch: »Pardon, das ist meine Frau, ich muss da rangehn.«

      Das fahle, gleichsam käsfußene Gesicht des Experten für das chinesische Blasenplatzen zeigt den unfrohen Ausdruck eines Mannes beim Interruptus. Die Worte des Welterklärers stehen im Gefühlsstau und hupen. Sie wollen ans Ziel und dürfen nicht; das sorgt für sichtlichen Unmut.

      Kaum hat der Beschwallempfänger das eheliche Telefonat beendet, da schießt der Blasenmann schon wieder vor. Redundanz ist für ihn kein Kriterium, also auch kein Hinderungsgrund. »Also wenn diese ganze gigantische chinesische Wirtschaftsblase platzt«, hebt er erneut an, als das Telefon seines Zwangszuhörers abermals klingelt. »Nochmal meine Frau«, flüstert er wieder, hebt das Telefon ans Ohr und dreht sich seitlich weg.

      Dem Blasenspezialisten hängt ein halber Satz aus dem Mund, auf der anderen Hälfte kaut er herum, sie quillt ihm geradezu aus den Augen. Er wendet sich mir zu; an wen er seine Expertise loswird, scheint ihm mittlerweile egal zu sein, Hauptsache, er bringt sie an den Mann.

      Eine Zeitung kann Leben retten und Frieden spenden. Ich hebe sie vom Tisch hoch, schlage sie auf und bringe sie ins Gesichtsfeld zwischen den Blasenkopf und mich. Wenn Blasen platzen, wird es für gewöhnlich sehr nass, und es riecht dann auch nicht gut. Mich aber wird keine platzende chinesische Blase bespluddern und benetzen, und kein urinaler Dunst wird meine Nase schänden.

      Eine ältere Dame tritt an den Nebentisch, an dem der Ehemann sich offenbar entschlossen hat, das Telefonat mit seiner Frau noch ein wenig auszudehnen. »Komm, Manfred«, sagt die Dame zu dem Mann mit der halben Blase im Mund, »wir müssen jetzt wirklich zum Geburtstag.«

      Endlich verstehe ich: Blase ist ein anderes Wort für Familie. Wenn man sagt, dass die ganze Blase zu Besuch kommt, ist damit die Verwandtschaft gemeint. Hat der Mann chinesische Verwandte, und fürchtet er, auf der Familienfeier, die in einer Wirtschaft stattfindet, könne irgendjemandem aus der ganzen Blase der Kragen platzen, wie das bei Familienfeiern ja vorkommt? So wird es sein; und ist es nicht schön, wie die Sprache als solche uns immer wieder auf die Sprünge hilft?

      Ich luge über den Zeitungsrand; der Blasentheoretiker ist rhetorisch nicht zu Potte gekommen und sieht entsprechend unbefriedigt aus. Seiner Frau muss er nicht mehr sagen, was auf die Welt zukommt, wenn die ganze chinesische Blase erst geplatzt ist, denn seine Frau kann das garantiert auswendig aufsagen, was sie aber, gepriesen sei sie, nicht tut.

      Sie ziehen von dannen, ich winke dem Kellner, denn mir ist die geheimnisvolle Botschaft wieder eingefallen, die an Tankstellen zu lesen ist: Blasenfrei zapfen.

      Rahmen skizzieren

      Einmal, als Gott noch auf der Erde wandelte, machte er sich selbstständig und verkleidete sich als Fotograf. Er verstand sich auf seine Sache gut und erwarb sich bald Rang und Namen. Durch seine Bilder von den »schwarzen Löchern« wurde er weltberühmt, aber das bedeutete ihm nicht viel.

      Lieber fotografierte er Geschöpfe wie Gänse und Seehunde und Menschen, und weil Gott nicht altmodisch war, stellte er seine Arbeit ins Internet, damit alle Menschen Freude an ihr haben könnten, so sie das denn überhaupt wöllten. Er hatte auf irgendeinem Empfang einmal etwas vom »freien Willen« reden hören, das entsprechend »hochinteressant« gefunden und sich dann fix an die Bar verdrückt.

      Durch das Internet wurde ein reiches Paar auf ihn aufmerksam, das sich nachts stark miteinander langweilte und deshalb gern »surfte«, wie man so sagte. Das Duo wollte eine »Ereignishochzeit« begehen und ihn dafür als Hausfotografen anheuern. Die beteiligte Dame schickte Gott eine Elektropost: ob er das zum Termin tun könne und was er denn dafür »aufrufen« werde.

      In seiner Zeit auf Erden hatte Gott das Wort Kostenvoranschlag ebenso erlernt wie die Fähigkeit, sich darüber zu freuen. Es war ein Synonym dafür, beispielsweise ein Honorar von einer Million Moppen verbindlich zu vereinbaren und später acht Milliarden zu fordern.

      Aber weil er sich aus anderem Lehm geknetet und aus härterem Holz geschnitzt hatte, schickte er einen fairen Honorarvorschlag; auch seinen Assistenten, dessen pittoreske Wundmale immer gut ankamen bei der Kundschaft, stellte er trotz grassierender Inflation nicht höher als mit den üblichen 30 Silberlingen in Rechnung.

      Zügig erhielt er elektronische Antwort. Die Dame teilte ihm mit: »Ich konnte zwischenzeitlich mit meinem Mann sprechen und dabei feststellen, dass der skizzierte Rahmen für diesen ganz privaten kleinen Event wohl doch etwas zu groß ist ...«

      Gott freute sich ein Loch in den Bauch. Von allem, das er je erschaffen hatte, war ihm die menschliche Spezies am trefflichsten gelungen. An ihrer Sprache erkannte man ihre Vertreter immer und zuverlässig. Der »skizzierte Rahmen« war schon ganz große Kunst, auch der »ganz private kleine Event« stand nicht dahinter zurück, aber die Formulierung »ich konnte zwischenzeitlich mit meinem Mann sprechen« war einfach nicht zu schlagen.

      Kein Wunder, dass ich Adam und Eva damals vor die Tür gesetzt habe, schoss es ihm durch den Kopf. Und zwar achtkantig, dachte er noch und lächelte zufrieden.

      Zonenwelten

      Man kennt die Fußgängerzone, die Tempo-dreißig-Zone, die Umweltzone, die Sicherheitszone am Flughafen und die Gebetszone. Frauennormierungszeitschriften erfanden die Bikini-Zone und, ganz besonders niederträchtig, die Problemzone. Auch die Michelhouellebecq’sche »Aus­wei­tung der Kampfzone« steht jedem offen, der sowas mag, und der Fernsehmoderator Dieter Moor erklärte den brandenburgischen Landstrich, dem er zuzog, gleich ge­winnbringend zur »arschlochfreien Zone«.

      Ein geographisch kleinerer Teil Deutschlands wurde jahrzehntelang als »die Zone« beziehungsweise »sowjetisch besetzte Zone« oder »Ostzone« bezeichnet und nach der Aneignung durch den größeren Part wahlweise durch Partyzonen oder durch »national befreite Zonen« ersetzt.

      An Zonen herrscht also keinerlei Mangel, an einer Zonengrenze möglicherweise schon, denn Zonen gibt es so überreichlich, wie es »Kulturen« gibt, beispielsweise die von Wolfgang Thierse ausersonnene »Entfeindungskultur«, auf die Eckhard Henscheid schon vor Jahren hinwies.

      Das Wort »Zone« hat die Qualität von »Universum«, »Welt« oder »Philosophie«; jeder Gastronom erklärt sei­ne »Geschäftsphilosophie« – Philosophie bedeutet Liebe zur Weisheit –; Installateure, die Herren von Gas, Wasser und Exkrement, erfinden gänzlich unerbeten die »Erlebniswelt Sanitär«, und schon lange staunen wir über das »Teppich-Universum«, den Perserteppich ad perversum.

      Seit dem Frühjahr 2013 gibt es noch eine Zone mehr: die »Komfortzone«. Das klingt komfortabel und ist dennoch offenbar ungeliebt; vielleicht liegt es an den drei »o« in einem Wort, das aber bei weitem nicht so schön klingt wie der auf vier »o« laufende »Ottomotor«?

      Oder daran, dass »Komfortzone« an Eltern oder Lehrer erinnert, vor denen man sich unter dem Sofa oder in der Turnhalle hinter dem Mattenwagen versteckte und die dann in scharfem Ton befahlen: »Komm ma’ vor«?

      Man weiß es nicht; medial bekannt wurde allerdings, dass die Tatort-Kommissarindarstellerin Maria Furtwäng­ler erklärte, »ihre Komfortzone verlassen« zu wollen, um, wie das branchenüblich heißt, »neue Herausforderungen zu suchen«. Was, ins Deutsche übersetzt, ja meistens be­deutet, dass man in finanziell lukrativere Bequemzonen wechseln möchte und sich zu diesem Zweck öffentlich äußert und anbietet.

      So verhält es sich auch mit dem Ex-Shampoo-Model

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