Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv. Wiglaf Droste

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Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv - Wiglaf Droste

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in seiner Komfortzone kaum mehr aus und wollte raus aus dem Komfort.

      Sowas kommt vor in der Welt der Komfortzonen. Wir aber widmen uns lieber einer gefährlichen, reizenden Amazone.

      Im »freilich«-Museum

      Man kennt das Freilichttheater und die Freiluftsaison, und man kennt, wenn man seine Nase in eine deutsche Zeitung steckt, auch das deutsche Wort »freilich«. Es klingt so feierlich, wie es von Leitartiklern verwendet wird, von jenen Leuten, die immer schon alles gewusst haben, und zwar nicht nur genau richtig, sondern vor allem immer auch alles besser, und die das jahrzehntelang aus dem Repertoire erzählen können.

      Das Wort »freilich« bedeutet nichts; es dient allein der Selbstversicherung des Autors, der, wenn er das Wort »freilich« schon zweimal in ein und demselben Text verwendet hat, auf die ähnlich gut abgehangene Vokabel »gewiss« zurückgreifen kann. Wer ahnungs- oder skrupellos »freilich« schreibt, ist eben auch Gewissträger, dessen Horizont mit einem schönen Reklamereim beschrieben ist: »Wer es kennt, nimmt Kukident.«

      In einem Anflug von Übermut versuchte ich einmal, das Wort »freilich« in einen eigenen Text hineinzuschmuggeln. Es gelang mir nicht, diese Hürde der Hässlichkeit zu überspringen. Jahre später begriff ich: Erst wenn man sich mit der einen Hand die Eier krault, sich mit der anderen abwechselnd auf die Schultern klopft und zum Schreiben keine Hand mehr frei hat, erscheint im Text wie von ganz allein das Wort »freilich«. Dann aber ganz gewiss.

      Gefühlte Zeiten

      Man habe ihn »aus gefühlten zehn Zentimetern angeschossen«, beteuerte ein Fußballspieler, dem ein Ball aus einem Meter Entfernung gegen den Ellenbogen flog; einem seiner Kollegen wurde von einem Journalisten später sogar eine »gefühlte Unsportlichkeit« unterstellt. Dass manche unbeglückte Frau von »gefühlten zehn Zentimetern« ein traurig’ Lied zu singen weiß, liegt bedauerlicherweise im Bereich des Wahrscheinlichen; was aber soll eine »gefühlte Unsportlichkeit« sein, wenn nicht das unfreiwillige Eingeständnis eines Journalisten, dass er ein Rhabarbermann ist, ein Schwätzer, der bloß der ältesten Regel seines Berufs folgt: Man weiß es nicht, man munkelt’s nur.

      Gefühlt wird egalweg alles; Rezensenten beschweren sich über die »gefühlte Ewigkeit«, die sie über der Lektüre eines Romans zubrachten; das sagt möglicherweise etwas über den Rezensenten, aber auch bloß dann, wenn man ihn kennte, und wer kennt schon freiwillig Rezensenten? Temperaturen werden seit vielen Jahren ohnehin nicht mehr gemessen, sondern gefühlt, und Theateraufführungen dauern, wenn man denen, die darüber schreiben, Glauben schenken will, im Schnitt »gefühlte fünf Stunden«. Gefühlt heißt in solchen Fällen aber nicht erlebt und empfunden, sondern bloß, dass man nichts zu sagen weiß, nicht mal das Einfachste.

      In der gefühlten Welt wusste die FAZ sogar von einer »gefühlten Rückkehr in den alten, ungemütlichen Ostblock« zu raunen. Ob bei solch gefühlter Rückkehr unsere Heimatvertriebenen noch mal so richtig aus dem Sulky kommen? Von mir aus, höre ich mich grollen, sollen sie doch alle fühlen, was sie wollen und sich dann bitte trollen und abrollen, nur hätte man ja manchmal auch noch gern so etwas wie eine klitzekleine Information. Dauert der neue Film mit Gérard Dépardieu tatsächlich länger als vier Stunden, oder hat bloß jemand 100 Minuten ganz schwer und wichtig öffentlich verzweieinhalbfacht, um seinen – übrigens längst ausgelatschten – Markenabdruck als gefühlter Feuilletonist zu hinterlassen? Wer Auskunft über die von ihm »gefühlte Zeit« gibt, fühlt dabei zwar den Coolness-Faktor tausend, der aber nur dem eines lausigen »Wie geil ist das denn!«-Sagers entspricht.

      Dass man im Restaurant bislang noch keine gefühlten Auberginen bestellen kann, trifft unsere Gefühlskulturmenschen sicherlich hart. Wenn sie aber einmal eine Auskunft über die Länge einer Veranstaltung geben und nicht nur ihre höchst uninteressante Befindlichkeit aus­petern wollten, hätte ich einen kleinen Rat parat: Einfach am Anfang und am Ende auf die Uhr schauen. Das geht so leicht, das schafft sogar ein Journalist, und bei der Wahrheitsfindung hilft es ungemein.

      Länge und Gewicht

      Aus London bekam ich eine Ansichtskarte geschickt; auf der Briefmarke stand »Europe up to 20 g«. Das passte gut zu den Olympischen Spielen, die dort gerade stattfanden, klang es doch nach einer Wettkampf-Gewichtsklasse, in der maximal 20 Gramm auf die Waage gebracht werden dürfen, also nach einer erfreulich filigranen und vor allem sehr leisen Angelegenheit.

      Die Olympischen Spiele sind vorbei, das ist für Radiohörer und Zeitungsleser angenehm. Fernsehn ist ohnehin längst geknickt, weil man vom Anblick der Fahnenschwenker Augenstechen und vom »Gold!«-Rausch­ge­brüll Ohrenthrombose bekommt. Kommentatoren, die sich vor dem Medaillenspiegel drehen und kucken, ob dort etwas Nationales herausscheint, in dem sie sich sonnen können, sind in den Pausenmodus versetzt, und wer seine Lebenszeit der Frage widmet, ob »Deutschland in der Weltspitze noch eine Rolle spielt«, kann damit wenigstens eine zeitlang nur sich selbst und Seinesgleichen zu Tode jabbeln.

      »Weltspitze« ist überhaupt eine prima Wahnvorstellung; man sieht direkt, wie die Welt zu der Nadel verengt wird, an der sie hängen soll. Es geht um »Höchstleistungen« im »Spitzensport«, also quasi um die »Top-Welt« der »Wetten dass«-Saalwette: Wo der Hammer hängt, ist egal, es zählt allein, wer ihn am weitesten von sich werfen kann. Es ist aber nicht »die Spitze es Eisbergs«, an der Ramsch aller Art zerschellt; es ist der Eisberg.

      Auch der kreisrunde Diskus, auf die Weltspitze getrieben, führt zu rhetorischen Spitzenleistungen. »9 Zentimeter sind 9 Zentimeter«, schrieb die taz nach dem Olympiasieg des deutschen Diskuswerfers Robert Harting. Wer wollte dieser kühnen Hypothese widersprechen: »9 Zentimeter sind 9 Zentimeter«? Der Autor vertiefte seine kritische Theorie: »Lumpige 9 Zentimeter ... 9 Zentimeter vor dem Zweiten, das ist nicht einmal das Maß eines mittleren Schw... Mit anderen Worten: Size does matter!«, erregte sich der Längenmaßexperte Jan Feddersen, ließ mit der klemmigen Abkürzung »Schw...« aber offen, ob er auf das Mittelmaß eines Schwammkopfes oder Schwadroneurs anspielen wollte. Oder sollte er – huch! – tatsächlich einen Schwanz gemeint haben, den er aber nicht in den Mund nehmen wollte, jedenfalls nicht vor seinen Lesern?

      So wie es Blitzmädels gab, gibt es Blitzmedien. Manche, um bei Längenmaßen zu bleiben, liegen »nur einen Steinwurf weit« von Bild entfernt.

      Präterium

      I.

      Das Präteritum gefiel mir schon immer besser, als das Perfekt mir je gefallen hat. Zwar kann man sagen, »Ich habe einen Apfel gegessen«, aber »Ich aß einen Apfel« ist kürzer, dichter und bündiger.

      Ich traf eine alte Freundin. Wir tranken etwas Brause, plauderten, tranken noch etwas Brause, plauderten und tranken noch etwas Brause. Ihre Augen schimmerten und ihre Aussprache geriet ein ganz klein wenig auf die Achterbahn, als sie sagte: »Ich habe oft an dich gedacht.« Das rührte mich, ich sah sie an und antwortete: »Danke. Könntest du das auch im Präteritum sagen?«

      Sie sah mich leicht verwirrt an. »Wie? Präterium?« Ihr Blick verdüsterte sich. »Merkt man das schon, dass ich im Präterium bin?«

      Präterium gefiel mir sehr, ich bestellte augenblicklich mehr Brause und gratulierte ihr. Sie hatte der deutschen Sprache eine neue Zeitform geschenkt, das Klimakteritum.

      II.

      »Präterium, Präterium«, sagte meine alte Freundin, stieß mit mir an, nahm einen Schluck Brause und lächelte mich honigsüß an. »Du willst doch nicht etwa irgendwelche Sauereien von mir?«

      Ich verneinte das entschieden, kam aber ins Nachdenken. So hatte ich die Sache noch gar nicht betrachtet.

      Конец

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