Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

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Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer Mord und Nachschlag

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Seine Stimme klang scharf. Er war in seiner professionellen Haltung nicht schnell zu erschüttern. Sven überlegte, ob die Distanz zum Tod bei seinem Freund durch die Geburt seines Sohnes sogar noch zugenommen hatte. Vielleicht wirkte das Vatersein bei ihm wie Ölzeug gegen das Grauen. »Auf den ersten Blick ist nichts zu erkennen. Blut könnte natürlich in die Decke gesickert sein. Da sie rot ist …«

      »Dazu bin ich ja jetzt hier!«, klärte eine schneidende Stimme die Situation und ein Lundquist unbekanntes Gesicht schob sich in den Kegel des Scheinwerfers. »Jussi Andersson, Rechtsmedizin. Ich sehe sie mir gleich an, vielleicht kann ich sofort etwas zur Todesursache sagen. Danach nehme ich sie mit. Bericht geht an?« Seine wässrig-blauen Augen streiften den Ermittler mit einem Fischblick.

      »Sven Lundquist.«

      »Gut. Na, dann.« Der Rechtsmediziner strich die Haare aus dem Gesicht des Mädchens, beugte sich über den Wagen und schnüffelte lautstark. »Leichenstarre hat bereits eingesetzt«, kommentierte er Augenblicke später. »Kein Alkoholgeruch, kein Bittermandelaroma, etwas Chemisches ist allerdings schon zu bemerken. Na, mal sehen.«

      »Sucht ihr in der Umgebung nach den Schuhen und der Jacke?« Sven wandte sich erneut zu Torre um.

      »Ja, selbstverständlich. Läuft schon.«

      »Mädchen in diesem Alter haben in der Regel auch eine Tasche bei sich. Habt ihr die irgendwo entdeckt?«

      »Nein, nein. Die Tasche fehlt auch. Kein Handy, kein Schlüssel, nichts. Die Mutter hat bei ihrer Vermisstenmeldung sehr detaillierte Angaben gemacht.« Er winkte einen Kollegen aus dem Hintergrund heran und flüsterte vertraulich: »Das ist Filip. Filip Björk. Er hat die Anzeige aufgenommen. Ist seine erste Leiche.« Laut fragte er: »Gibt es Aussagen zu einer Tasche?«

      Der Kollege nickte müde.

      Sven musterte den spirrligen Mann skeptisch. Statt einfach zu antworten, begann der gesamte lange Körper Filips sich zu schlängeln. Selbst die Arme beteiligten sich an dieser großen Geste der Rat- und Hilflosigkeit.

      »Was soll ich sagen?«, begann er mit Fistelstimme. »Als sie kam, dachte ich doch nicht eine Sekunde daran, dass etwas passiert sein könnte. Die Mutter war unglaublich aufgeregt, dabei waren ja mal gerade zwei Stunden über die vereinbarte Zeit verstrichen. Das kommt doch vor! Aber sie hat sofort Beschuldigungen gegen ihren Exmann erhoben. Hat geschrien, er habe mit Sicherheit seine Hände im Spiel. Natürlich bemühte ich mich darum, sie zu beruhigen, aber das funktionierte nicht. Und nun das!« Anklagend deutete er mit dem Kopf auf den Einkaufswagen.

      »Es war vollkommen richtig, die Mutter erst mal zu beruhigen. Meist tauchen die Mädchen spätestens am nächsten Tag wieder auf. Müde mit einem dicken Kater! Dies hier ist der Ausnahmefall. Ich muss wissen, ob sie eine Tasche dabeihatte, eine Jacke, wie die Schuhe aussahen.« Sven Lundquist bemühte sich bewusst um einen ruhigen Ton. Der junge Mann war so schon aufgelöst genug.

      »Eine bunte gewebte Tasche. Grundton rot. Eine dunkelgrüne Jacke mit bunten Patchworkanteilen. Eine dünne Regenjacke, oliv, ähnlich wie Ölzeug, die Schuhe: Sneakers von Puma, schwarz mit einem grünen Raubtier im Sprung.«

      Nichts davon war bisher gefunden worden.

      Ein lautes Räuspern.

      Sven drehte sich um und begegnete wieder dem gefrierenden Blick des Rechtsmediziners.

      »Auf den ersten Blick sage ich vorsichtig und ohne Gewähr: keine blutverdächtigen Anhaftungen oder Verfärbungen außerhalb des Körpers. Weder am Wagen, noch auf Decke oder Kleidung. Um ihre Lippen herum findet sich eine verkrustete weiße Abrinnspur. Sehr diskret, das meiste in dem zur Fleecedecke gerichteten Mundwinkel. Analyseergebnisse kann ich natürlich nicht bieten«, der Arzt, der die Statur eines Bodybuilders hatte, grinste schief, was ihn fast sympathisch erscheinen ließ, »aber ich tippe auf eine Art von Vergiftung. Möglicherweise hat der Täter ihr ein Barbiturat verabreicht, sie betäubt. Wenn man es so ausdrücken will, könnte man von einem gewaltfreien Mord sprechen. Danach legte er sie schlafen.«

      »Hm. Keine Verletzungen? Demnach keine Angriffs- oder Abwehrspuren.«

      »Nichts, nein, zumindest nichts, was sich eindeutig als solche erkennen lässt. Weder Risse an der Kleidung noch – bei der ersten oberflächlichen Inaugenscheinnahme – am sichtbaren Bereichs des Körpers. Im Nacken ist ein dunkler Bereich, den muss ich mir aber im Obduktionssaal genauer ansehen, hier ist schwer zu erkennen, um was es sich handeln könnte. Die Fingernägel sind lackiert, der Lack wohl nicht beschädigt. Ich werde vorsichtshalber die Hände dennoch sichern, damit ich unter ihren Nägeln nach Fremdgewebe suchen kann. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass ich bei der Sektion noch irgendwo Kampfspuren oder Verletzungen entdecke. Diese Scheinwerfer hier sind natürlich nicht optimal, kleine Wunden entgehen mir, durch die Schattenbildung entsteht die Illusion einer Verletzung. Einstiche zum Beispiel können unscheinbar wirken und sind erst unter dem Licht der OP-Lampe auszumachen. Möglicherweise hat er sie nach der Tat wieder angezogen – und ihr wollt ja wohl nicht, dass ich sie hier völlig entkleide? Blut geht gleich zur ersten Analyse, dann sehen wir weiter.«

      Der Rechtsmediziner wollte sich schon umwenden und gehen, da hielt Lundquist ihn zurück.

      »Halt! Der Todeszeitpunkt würde uns schon weiterhelfen.«

      »Ja, das sehe ich ein. Aber wenn ich jetzt sage, vor etwa sechs Stunden mit einer Abweichung von etwa drei nach oben und unten, wäre das keine wirklich genaue Angabe, oder? Aller Wahrscheinlichkeit nach am gestrigen Abend. Nach der Obduktion! Ich schicke euch den engeren Zeitraum sofort rüber, wenn ich meine Untersuchungen abgeschlossen habe. Jede andere Aussage wäre unseriös!«

      Lundquist nickte.

      »Strangulationsmarken?«

      »Ich glaube nicht, aber, wie gesagt, bei dem Licht ... Ich könnte nicht einmal erkennen, ob irgendwo ein Fingereindruck zu finden ist. Diese Decke ist an keiner Stelle auch nur feucht, das ist das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann.«

      »Sie war heute mit ihrem Vater unterwegs. Scheidungsregelung nehme ich an. Du weißt schon, gemeinsames Sorgerecht oder irgendeine Form von Besuchsregelung. Als er sie nicht pünktlich nach Hause brachte, wurde die Mutter nervös«, fasste Sven zusammen und sah aus dem Augenwinkel, wie Filip noch eine Nuance blasser wurde.

      »Habt ihr schon versucht, den Vater zu erreichen?«, erkundigte sich Lars mit gesenkter Stimme, als wolle er das Mädchen nicht stören.

      »Ja, sicher. Sofort und dann in regelmäßigen Abständen auf dem Festnetz und dem Mobiltelefon. Aber es ist wohl ausgeschaltet, die Mailbox geht vor dem ersten Klingeln ran«, erklärte der junge Polizist.

      »Er heißt?«

      »Gottwald. Gottwald Paulsson.«

      »Der Gottwald Paulsson?«

      »Vielleicht. Wir wissen es noch nicht und der Name ist nicht so ungewöhnlich. Adresse steht hier auf dem Zettel, hat uns die Mutter so angegeben.« Torre reichte Lars ein grünes Stück Papier. »Eine Streife ist vorbeigefahren – niemand öffnet, kein Licht.«

      Notfalls mussten sie eine Handyortung beantragen.

      Solange das Mobilfunkgerät noch funktionierte.

      Sven nickte Lars zu.

      Das Zeichen zum Aufbruch.

      »Einer muss es ihr ja schließlich

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