Sauerland Live. Reiner Hänsch
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Frau Handyfone sagt jetzt gar nichts mehr, atmet schon etwas schneller und schaut hilfesuchend um sich. Ist denn der Kollege noch nicht wieder da? Der könnte doch vielleicht mal eben übernehmen – oder der Chef? Nein, sie ist allein. Doch dann zwingt sie sich wieder zu einer gewissen beraterischen Ruhe und fährt mit der Intensivbehandlung fort.
„Was haben Sie denn für einen Router zuhause, liebe Frau?“
„Wat?“
„Naja, also … wie gehen Sie denn ins Internet?“
„Naja, über Weh-Lahn!“, antwortet die alte Kämpferin und gibt so schnell nicht auf. Das spürt man und sie bekommt von mir die größte Hochachtung dafür. „Ich krich de Pimpernellen!“
Ist doch schön, wenn man zwischen Pimpernellen, Krimmenoten und rammdösig werden auswählen kann. Aber gab’s da nicht noch was?, frage ich mich.
„Jaja, das sagten Sie … und der Router …?“
„Ich hab ’n Receiver“, antwortet die alte Dame jetzt ganz trotzig und auch stolz, dass sie auch so ein tolles Fremdwort kann.
Max schlägt die Hände vors Gesicht. Er kann es einfach nicht glauben. Naja, aber da kann er doch mal sehen, dass er es mit mir noch relativ einfach hat. Ganz so weit weg von der modernen Welt bin ich ja gar nicht. Gut, dass ich ihn mitgenommen habe.
„Der Receiver ist natürlich fürs Fernsehen“, sagt Frau Handyfone aufklärend und scheint bemerkt zu haben, dass gewisse grundlegende Basiskenntnisse hier einfach noch fehlen. „Wie und wo haben Sie das denn gekauft?“
„Dat Fernsehen? Ja, bei Elektro Hermanns inne Stadt.“
„Nein, nicht das Fernsehen …“
„Dat Internet?“
„Äh, ja, …das Internet.“
Es haben sich inzwischen noch einige andere interessierte Kunden zu uns gesellt, die diesem hochqualifiziert besetzten Technik-Symposium lauschen. Einige nicken und andere schütteln die Köpfe, aber alle hören gebannt zu.
„Also, das … Internet, ja, wo haben Sie das gekauft?“, fragt Frau Handyfone jetzt und hat sich damit geschickt auf die Gesprächsebene ihres Gegenübers eingestellt. „Haben Sie das telefonisch bestellt oder wie?“, fragt sie und möchte jetzt wohl gerne auch einige Ergebnisse haben. Der Laden ist voll, alle Kunden haben Probleme, das haben sie immer, wenn sie mit diesen Gesichtern den Laden betreten, und der Tag ist noch lang.
„Der Mann war da“, antwortet unsere Dame todessicher, dass das die richtige Antwort sei.
„Ah ja ... und der ….
„… der hat den Receiver dann drangemacht.“
„Keinen Router?“
„Ich weiß nicht, wat dat is‘, junge Frau.“
„Vielleicht haben Sie ja gar kein Internet.“
„Ja, richtich, deswegen bin ich ja hier. Boah! BIN ICH DENN MACKACKI?!“
Das war’s! Genau.
Bin ich denn mackacki?! Das ist der noch fehlende Begriff im berühmten Quartett der Ausdrücke, die ein Sauerländer fürs baldige Verrücktwerden hat.
Donnerwetter. Ich muss mich schon wundern. Diese Frau scheint ja wirklich alle Spielarten des Sauerländischen draufzuhaben. Mackacki heißt natürlich auch, dass man droht, den klaren Kopf zu verlieren, aber langsam auch die Geduld und sich auf jeden Fall nicht veräppeln lassen will. Ja, es gibt da feine Unterschiede, auch wenn man hier wieder nicht genau weiß, wo es herkommt.
Bin ich denn mackacki? Sehr schön. Ich muss still in mich hinein lächeln.
Da nähert sich in dieser prekären, zugespitzten Situation der Herr des Hauses Handyfone, der Chef persönlich, wie man gleich erkennen kann am aufrechten Gang und einem Gesichtsausdruck, der uns alle sicher macht, dass dieser böse Spuk hier gleich vorbei sein wird. Einige scheinen zu bedauern, dass das großartige Kammerspiel zu Ende zu gehen droht, andere erwarten es offensichtlich mit gewisser Erleichterung. Ich gehöre eher zur zweiten Gruppe und hoffe sehr, dass der alten Frau jetzt endlich professionell geholfen wird - und sie ihr geliebtes, schmerzlich vermisstes Weh-Lahn endlich wiederbekommt.
Was haben die alten Leute denn sonst noch vom Leben? Die ganze Freude ist doch längst dahin. Der Hund und vielleicht auch der Mann gestorben, die Kinder kommen alle paar Wochen mal auf einen Sprung vorbei, der Faden zum richtigen Leben ist doch abgerissen. WEH-LAHN! Das brauchen die!
Der neue frische Mann schreitet aus den hinteren Katakomben des Ladens heran und genießt die allseitige Beachtung und Bewunderung der Anwesenden. Es geht ein Raunen durch die Menge, die sich inzwischen schon wieder ein wenig vergrößert hat. Er kaut anscheinend noch auf einem Rest Pausenbrot herum.
„Was gibt es denn?“, fragt er souverän und welt- und vor allem fachmännisch. Das hört man gleich. Er räuspert sich dann noch mal und schluckt die letzten Krümel seines schmackhaften Mahls herunter. Dann lächelt er zunächst mal – mit leicht sadistischen Zügen, wie ich finde – die ältere Dame an und nickt vertrauenerweckend. Jedenfalls soll es so aussehen.
Die junge Frau Handyfone spielt plötzlich nur noch eine unbedeutende Nebenrolle, was ihr aber sehr entgegenzukommen scheint, denn sie wirkt durch das Auftauchen des allmächtigen Regulators aus dem Pausenraum echt erleichtert, einer gewissen Schwere der Verantwortung enthoben und überlässt ihm nur zu gerne das bereits mühsam beackerte Feld.
Als der Herr des Geschehens sie dann aber fragend ansieht und auf eine plausible Erklärung dieser offensichtlich ausweglosen und für sein Geschäft unhaltbaren und verfahrenen Situation wartet, sagt sie etwas nervös: „Ich hab versucht, der Frau zu erklären, dass sie hier bei uns kein W-Lan haben kann.“
Diese dürre Einführung in die laufende Diskussionsrunde hatte der Meister der Kommunikation wohl nicht erwartet.
„Sie kann hier kein W-Lan haben? Wir haben hier ALLES!“
Das wiederum macht Frau Handyfone noch nervöser, denn so stimmt es ja auch nicht. Und er hat natürlich recht. Hier bekommt man alles.
„Doch, ja, ja, natürlich. Nur eben nicht ihr eigenes, Herr Schimmeroth, hier nicht. Geht ja nicht, es ist ja bei ihr zuhause, heißt ‘Rastamann‘ und ist schon lange tot, weil er überall so Geschwüre hatte, VERDAMMT NOCH MAL“, lässt sich die arme junge Frau jetzt zu einem emotional recht fragwürdigen Ausbruch hinreißen.
„Na, na, Frau Heggemann, wir woll’n doch mal nicht gleich …“
Frau Heggemann, alias Handyfone, hebt beide Hände, so war es ja nicht gemeint, Entschuldigung, aber sie kann jetzt einfach nicht mehr und versucht, sich unbemerkt aber endgültig aus der Schusslinie zu bringen.
„Liebe Frau“, sagt der Imperator jetzt zu der älteren Dame, die verwirrt von einem ihrer behandelnden Fachkräfte zum anderen schaut und noch nicht genau zu wissen scheint, wer von beiden ihr denn nun in dieser ausweglosen Situation helfen und aus welcher Richtung ihr Weh-Lahn denn jetzt zurückkommen wird.
Ist