Sauerland Live. Reiner Hänsch

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Sauerland Live - Reiner Hänsch

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Der Laden scheint es jedenfalls zu haben. Hat er ja gesagt.

      „Ich seh‘ mir Ihren Account mal eben an“, sagt er jetzt und stiftet damit bloß Verwirrung. „Sagen Sie mir doch mal ihr Kennwort, bitte, Frauäh …?“

      „Pütter“, sagt sie, „Hättwich Pütter, Grabenstraße 4.“

      „Danke, ja, … ihr Kennwort vielleicht, dann kann ich das alles mal hier nachsehen.“

      Es ist zwar momentan auch für mich als mittelmäßig Kommunikations-Erfahrenen nicht einzusehen, warum der Mann jetzt das Kennwort will. Es würde ja reichen, der Frau die komplizierte Thematik des Weh-Lahn einfach plausibler zu erklären, als es seine Kollegin bisher vermocht hat. Aber mit dieser Frage hat er der alten Frau natürlich ein wenig Stoff zum Nachdenken gegeben, etwas Luft aus der ganzen Sache gelassen, auch auf die billige Tour ein wenig Zeit gewonnen und das Beratungsgespräch somit auf eine ganz andere Ebene gehoben.

      Er fasst die Dame jetzt galant am Arm, nutzt damit ihre kurzzeitige Orientierungslosigkeit ein wenig aus und versucht, sie in die Ecke mit dem Monitor des Handyfone-Laden-PCs zu bugsieren. Ins Allerheiligste, sozusagen, wohin man als neutraler Beobachter dann leider auch nicht mehr völlig uneingeschränkte Sicht auf die Dinge hat. Es ist dort etwas privater. Man ist in dieser heiligen Ecke mit dem Hohepriester fast allein – intim und persönlicher. So fällt auch das Beichten erheblich leichter.

      Deshalb dränge ich Max auch schnell, ruhig mal ein oder zwei Schritte in diese Richtung zu machen, damit nicht andere uns diesen Platz mit der letzten guten Sichtmöglichkeit dort streitig machen können.

      Denn dort in der Allerheiligsten-Ecke wird man jetzt im direkten Dialog versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen und alle weltlichen Probleme dieser ehrwürdigen alten Dame zu lösen.

      Hättwich Pütter folgt dem Kommunikations-Würdenträger leicht ver­wirrt und sicherlich auch immer noch über das Rätsel mit dem Kennwort nachdenkend, das sie wahrscheinlich auch noch nicht gelöst hat.

      Etwas wehmütig blickt sie noch mal zurück zu der netten Frau Handyfone-Heggemann mit dem schwatten Krümmel an der Unterlippe, die sich bisher so rührend um sie gekümmert hat und die jetzt etwas verloren in der hinteren Ecke des Ladens zurückgelassen wurde und vielleicht soeben ihre schöne Arbeitsstelle verloren hat, vielleicht ihre gesamte Zukunft verbaut und ihr Leben verwirkt hat.

      Sie tut Frau Pütter etwas leid und deshalb hebt die alte Dame noch mal die faltige Hand, um ihr ein letztes Dankeschön und einen lieben Abschiedsgruß zuzuwerfen.

      „Ihr Kennwort, also bitte!“, sagt der Mobilfon-Meister jetzt noch mal überirdisch grinsend, als er seine strategisch günstige Position hinter dem Monitor einnimmt und der alten Dame nur der Platz vor der schicken Theke in mattgrau ihm gegenüber bleibt.

      Allerdings hat man kundenfreundlich und vermeintlich seniorengerecht hier einen Barhocker aus Chrom aufgestellt, den Frau Pütter jetzt sportlich zu besteigen versucht. Denn das verlockende Angebot einer Sitzmöglichkeit will sie nicht ausschlagen. Es gelingt ihr nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen, die etwas höher gelegene gepolsterte Sitzfläche des modernen Möbels zu erklimmen und lässt sich dann mit einem nicht ganz damenhaften Schnaufen darauf nieder. Geschafft. Endlich.

      So. Wat wollt ich?

      Nein, er wollte ja etwas. Dieser Mann, der ihre Erstbesteigung eines Barhockers mit interessiertem Blick begleitet hat. Und er will es noch immer. Das Kennwort.

      Sie hat es nicht!

      Klarer Fall, die Frau hat ihr Kennwort nicht parat. Der Allwissende weiß es schon, seit er ihr diese Frage gestellt hat. Es ist doch immer dasselbe, diese alten Leute können sich einfach nichts merken.

      „Weisichnich‘“, sagt Frau Pütter dann auch erwartungsgemäß etwas verschämt aber auch leicht bockig. Immer diese Kennwörter! Wat soll ich mir denn noch alles merken?

      „Sie haben ihr Kennwort also nicht parat?“

      „Nä!“, sagt sie und geht damit direkt auf Konfrontationskurs. Das spürt man. „Habbichnich!“ Und dann sagt sie noch: „Der ganze Kokolores!“

      Max sieht mich kurz an und grinst. Er ist im Großen und Ganzen ziemlich angetan von diesem aufregenden Schauspiel nach der langweiligen Schule. Und auch mir gefällt es nicht schlecht, zugegeben, ja, aber die alte Dame beginnt mir doch richtig leid zu tun. Und ich stünde bereit, um für sie in einen heldenhaften Kampf zu gehen.

      Ja, da bin ich jetzt mal eindeutig auf der Seite der Alten, der Ausgestoßenen, der Abgelegten, der Eingerosteten, der Schwerhörigen, der Klapprigen, der Zittrigen und der Vergesslichen.

      Ich selbst schreibe mir meine Passwörter natürlich immer gewissenhaft auf. Am besten direkt ins Smartphone hinein, damit ich alles auch immer dabei habe und nicht erst lange suchen muss, wenn ich mal danach gefragt werde. Ich möchte niemals in so eine peinliche Extremsituation wie die arme Frau Pütter kom­men.

      Ich habe da einen kleinen Ordner angelegt, wo auch gleich alle anderen wichtigen Daten abgelegt sind, damit ich auch danach nicht lange zu suchen brauche, wenn es ernst wird. Man kann ja nicht alles im Kopf haben.

      Da sind dann also die Pin-Codes für die Bank, Zugänge zu verschiedenen Foren und Unternehmen, naja, Schlüssel für die Freischaltung einiger wichtiger Softwareanwendungen, eben alles, was man in der modernen Welt so hat. Natürlich hat der Ordner einen verschlüsselten Namen, auf den nicht jeder kommt und ist selbstverständlich besonders gut versteckt. Ist ja klar. Ich habe ihn zunächst in den Ordner ‚Privat‘ gelegt, der ja sowieso keinen was angeht, und dann habe ich da wieder einen Unterordner angelegt, der … naja, … gut, … er trägt den Namen unseres leider zu früh verstorbenen Hundes. ‚Waldmeister‘ heißt dieser Ordner.

      Da kommt doch … NIE jemand drauf. Und weil es so todsicher ist, habe ich das Ganze alles auch genau so auf unserem PC zuhause abgespeichert. Steffi versucht mir immer wieder einzureden, wie gefährlich das doch sei, weil jemand, der diesen Ordner findet, dann alles weiß. Der könne ja dann überall hin und rein und alles sehen und machen. „Du weißt doch selbst, was heute alles möglich ist, Alex. Die können doch alles ‚häcken‘!“ Aber mal ganz ehrlich, wer soll den Ordner denn finden?

      „Ohne Kennwort ist natürlich nichts zu machen“, sagt der Allmächtige jetzt wieder recht gnadenlos. „Ich komm dann nicht rein ins System. Verstehen Sie?“

      Nein, die Frau versteht es nicht.

      „Versuchen Sie doch mal, liebe Frauäh …“

      „Pütter!“

      „… Frau Pütter, sich zu erinnern. Wie heißt denn zum Beispiel ihr Mann, hat er einen Kosenamen?“

      „Is‘ tot“, sagt die arme Frau. „Schon lange. Dat Härz, wissen Se. Der hatte so ’n schwaches Härz, der kam ja kaum noch de Treppe rauf, die olle Krücke.“

      „Jaja, … hatte er denn einen Kosenamen?“

      „Willy.“

      „Und keinen … Spitznamen oder so was?“

      „Spitz?“

      „Ja. Namen!“

      Die arme alte Frau denkt kurz nach, holt tief Luft und dann fällt es ihr ein: „Ömmes! Ömmes ham die immer zu ihm

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