Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell
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»Amen«, murmelte der Padre automatisch. Aber hatte eine leise kleine Stimme gerade versucht, ihm etwas zuzuflüstern?
Der Collector hatte im Ton einer Autorität gesprochen, der die Diskussion beendete. Einen Augenblick war Fleury versucht, eine letzte hitzige Tirade loszulassen … aber nein, das kam nicht infrage. Fleury blieb stumm, ein Hauch von Blamage haftete ihm an.
Es war schon hell, als Fleury erwachte. Ringsum herrschte ein tiefes und bedrückendes Schweigen, als wäre der Bungalow verlassen; die punkah, die während der ganzen Nacht rhythmisch geflattert hatte, hing jetzt reglos herunter; in der stehenden Luft klebte sein Nachthemd an der Haut. Doch als er auf die Veranda hinausblickte, war alles normal. Der punkah-wallah* war einfach eingenickt; er hockte dort auf der Veranda, immer noch das Seil haltend, das zu einem Loch hoch oben in der Wand führte. Neben ihm butterte der khansamah einen Frühstückstoast mit dem fettigen Flügel eines Federviehs; als er Fleury sah, weckte er den punkah-wallah mit einem Tritt, und ohne ein Wort zu sagen nahm der Mann das rhythmische Ziehen an dem Seil genauso wieder auf, wie er es die ganze Nacht hindurch getan hatte.
Fleury zog sich rasch an, dankbar, den trinkenden Schlangen in der Nacht nicht zum Opfer gefallen zu sein, und frühstückte dann mit Miriam, die bereits aufgestanden war. Sie verbrachten den Vormittag zusammen, bis Miriam sich für einen Besuch bei den Dunstaple-Ladies ankleiden musste. Die Stunden schleppten sich dahin. Fleury fand es zu heiß, um nach draußen zu gehen. Er versuchte ein Buch zu lesen. Miriam war noch nicht zurück, als Rayne, der Opiumverwalter, gegen vier Uhr einen seiner Diener hinüberschickte, um Fleury zum Tee einzuladen. Im Schatten der Veranda beobachtete Fleury Raynes Diener unter einem schwarzen Schirm aus den Tiefen des Anwesens zu ihm heraufhasten; auf der Veranda angelangt, schüttelte er den Schirm heftig aus, wie um Sonnentropfen abzuschütteln.
Am Vortag war Fleury nicht zu Rayne gegangen, doch nun war seine Langeweile so akut, dass er beschloss, die Einladung anzunehmen. Unter dem Schirm des Dieners machte er sich auf den Weg, begleitet von Chloë, die den ganzen Tag geschlafen hatte und voller Energie war. Raynes Anwesen, stellte sich heraus, war nur durch ein paar leerstehende Bungalows von dem des Joint Magistrate getrennt. Die beiden jungen Beamten waren enge Freunde gewesen und hatten sich so daran gewöhnt, einander formlose Besuche abzustatten, ohne über die Straße zu gehen, dass ein Trampelpfad durch den Dschungel entstanden war, zu dem sich die verwahrlosten Gärten der Nachbarschaft ausgewachsen hatten … kein richtiger Pfad eigentlich, denn an manchen Stellen war das Blattwerk in der Hitze schon verdorrt und es gab keine Spur von einem Pfad. Raynes Träger führte ihn an einem verlassenen Bungalow mit Löchern in dem strohgedeckten Dach und einer absackenden Veranda vorbei; an der Seite, auf einem kleinen Hügel, lag das von Würmern wimmelnde Gerippe eines Fahnenmasts, während nach vorn heraus ein Albtraum knalliger Geranien wucherte. Als sie sich von dem Bungalow entfernten, gab es plötzlich ein raufendes Geräusch, dann Stille.
»Was war das?«
»Schakal, Sahib.«
Sie kletterten über eine niedrige Lehmmauer, durch eine Masse wilder Rosen, noch in Blüte, und krochen durch ein schattenloses Dickicht. Auf einmal blieb Fleury wie angewurzelt stehen, jemand lauerte ganz nahe im Gestrüpp, beobachtete ihn. Es dauerte einen Moment, bis er erkannte, dass dort ein Bildnis stand, ein kleiner, dicker Mann mit schwarzem Gesicht und sechs Armen. Ein Pfad führte zu ihm hin; es war ein Schrein. Fleury trat näher, begleitet von dem Träger, der ihm den Schirm über den Kopf hielt. »Lord Bhairava«, erklärte er.
Lord Bhairavas Augen stachen weiß aus einem schwarzen Gesicht hervor, und er schien Fleury boshaft und belustigt anzusehen. Einer der sechs Arme hielt einen Dreizack, ein anderer ein Schwert, der dritte schwenkte einen abgetrennten Unterarm, der vierte hielt eine Schale, während der fünfte eine Handvoll abgeschlagener Köpfe an den Haaren hielt: Die Gesichter der Köpfe hatten dünne Schnurrbärte und drückten Verwunderung aus. Die sechste Hand, leer, hielt die drei Mittelfinger hoch. Bei näherer Betrachtung sah Fleury, dass Besucher Münzen und Essen in der Schale hinterlassen hatten und dass noch mehr Essen an Lord Bhairavas kichernden Lippen klebte, die außerdem voller Purpur waren, wie mit Blut beschmiert. Fleury wandte sich schnell ab, erschrocken ob der unerwarteten Begegnung und darauf bedacht, diesen unheimlichen Garten schleunigst zu verlassen.
Während sie weitergingen, löste ein süßlich erstickender Duft den nächsten ab, sodass er, benebelt von der Hitze und der Anspannung, den Eindruck hatte, durch ein unbekanntes, sinnliches Element zu taumeln. Gegenwärtig kam ein anderer verlassener Bungalow in Sicht, noch verlorener als der letzte, fast ohne Dach, mit riesigen Disteln, die aus den Fenstern heraus in die Höhe wuchsen. Eine ausgemergelte Kuh, die Hörner grün angemalt, weidete auf ein paar vertrockneten Grasbüscheln, die einst ein Rasen gewesen waren. Dann kletterten sie über eine andere Lehmmauer in ein ebenso dürres, aber besser gepflegtes Anwesen. Als sie sich Raynes Bungalow näherten, durchdrangen Stimmen und Gelächter die Stille und Hitze des späten Nachmittags.
Nach dem blendenden Licht im Freien schien auf der Veranda mitternächtliche Finsternis zu herrschen. Eine Gestalt trat aus der Dunkelheit und schüttelte Fleury die Hand, indem sie ihn lauthals in Tönen, die er als Raynes erkannte, willkommen hieß. Eine andere Gestalt zeichnete sich ab, verbeugte sich und schlug die Hacken zusammen: Das war Burlton, der die Schatzkammer betreute. Er schien ein empfindlicher junger Mann zu sein, einer, der gefallen wolle und maßlos über alles lache, sagte Rayne. Drinnen war noch ein Mann, bisher nur schemenhaft wahrgenommen, der von seinem Sessel aus eine sich verbeugende Bewegung machte, als er Fleury vorgestellt wurde; zugleich lachte er sardonisch; sein Name war Ford, einer der Eisenbahningenieure. »Immer erfreut, einen Griff zu treffen«, sagte er gedehnt.
»Wir haben Ford und seinesgleichen, aber hol mich der Henker, wenn die Eisenbahn je Krishnapur erreicht«, spottete Rayne, der offenbar einigermaßen betrunken war. »Wo ist denn der verdammte Träger? Ram, bring dem Sahib was zu trinken … Simkin! Das bedeutet Champagner, alter Knabe. Wir trinken keinen Tee in diesem Haus.«
Fleury tastete sich zu einem Sessel durch und nahm Platz. Einen Augenblick verfiel Rayne in Schweigen und das einzige Geräusch war sein ziemlich schweres Atmen. Als der Träger mit einem Glas Champagner für Fleury zurückkehrte, sagte Rayne laut: »Wir nennen diesen Kerl ›Ram‹. Das ist nicht sein wirklicher Name. Sein wirklicher Name ist Akbar oder Mohammed oder so was in der Art. Wir nennen ihn Hammel, weil er aussieht wie ein Hammel. Und das ist Monkey«, fügte er hinzu, als ein anderer Diener mit einem Teller Feingebäck hereinkam. Monkey hob nicht den Blick. Er hatte sehr lange Arme, fürwahr, und eine ziemlich affenartige Erscheinung.
»Wo sind die Mems*?«, wollte Ford wissen, aber es kam keine Antwort.
»Bald ist es kühl genug für einen Kanter.«
»Sollen wir nicht solange Karten spielen?«
Aber niemand rührte sich. Fleury schlürfte seinen Champagner, der unangenehm sauer schmeckte. Er hörte Chloë auf der Terrasse jaulen, wo einer der Diener sie angebunden hatte. Im Moment kam ein anderer Diener mit einer Kiste Stumpen herein; er war älter und würdevoll, aber außerordentlich klein, fast ein Zwerg.
»Wie würden Sie diesen Wicht nennen?«, fragte Burlton.
»Ant«, sagte Rayne.
Burlton schlug sich auf den Schenkel und lachte hemmungslos.
»Ich würde gern wissen, was Mr. Fleury von dieser Meerut-Geschichte hält«, sagte Fort. »Was? Ist das zu fassen? Verdamm mich, wenn er überhaupt davon gehört hat! Wo waren Sie den ganzen Tag?« Und entzückt machte er sich daran, Fleury zu erzählen, was als ein größtenteils erfundener Bericht über einen grauenhaften Aufstand irgendwelcher Sepoys erschien, lauter »pummelige junge Griffins, ungefähr so alt wie Sie«, die »im besten