Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig

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die Industrie hat noch ein Ass im Ärmel: Das geplante EU-Freihandelsabkommen TTIP. Die geplante Einstufung von endokrinen Disruptoren würden die Gespräche gefährden, warnen europäische und amerikanische Unternehmensverbände, Landwirte und auch die US-Handelskammer. Schließlich wird der Druck zu groß, und die EU-Kommission knickt ein. Die beiden konkurrierenden Sekretariate für Umwelt sowie für Gesundheit und Verbraucher werden angewiesen, eine Folgenabschätzung zu erarbeiten. Auf Anfrage teilt die Kommission mit, diese werde im zweiten Halbjahr 2016 fertig sein. Einen Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen weist die Kommission allerdings zurück. Natürlich.

      Zwischenzeitlich hatte Schweden – mit Unterstützung fast aller Mitgliedsstaaten – die EU-Kommission wegen der verschleppten Regulierung verklagt. Das war im Juli 2014. Am 16. Dezember 2015 verkündete das EU-Gericht sein Urteil: Der Klage der Schweden wurde recht gegeben. Die EU-Kommission wurde kritisiert, ihrer Verpflichtung, Kriterien zu hormonell wirksamen Chemikalien zu erstellen, nicht nachgekommen zu sein. Die Sache ist deshalb aber noch lange nicht ausgestanden.

      Anfang Dezember 2015 wurde bekannt, dass das ZDF ein Prestigeobjekt für mehr Transparenz beerdigen wird – ganze sechs Monate nach der Einführung. Auf der Seite www.lobbyradar.de kann man die Netzwerke der Macht einsehen: Verbindungen zwischen Politikern, Journalisten sowie Vereinen, Verbänden, Unternehmen und Lobbyagenturen. Angeblich gab es politischen Druck, das Angebot nicht mehr unter dem Logo des ZDF weiterzuführen, behaupten Mitarbeiter. Die Macher wollen das Projekt nun auf europäischer Ebene weiterführen. Dafür suchen sie einen neuen Partner. Wir drücken die Daumen.

      Fragt man Unternehmen, ob sie versuchen, Behörden oder Wissenschaftler zu beeinflussen, wird dies – wie soll es auch anders sein – vehement bestritten. Wir haben beispielsweise Nestlé gefragt, ob das Unternehmen die Zusammenarbeit mit Behörden und Wissenschaftlern als „Beeinflussung“ bezeichnen würde. Es begann ein zermürbendes Spielchen: Nestlé schrieb zurück, man müsse zunächst einmal intern weitere Informationen einholen, bevor man uns antworten könne. Dann herrschte Stille. Wir baten mehrmals um Beantwortung unserer Frage. Stille. Wir kontaktierten Nestlé erneut, erhielten wieder eine Eingangsbestätigung, dieses Mal von einer anderen Abteilung. Danach: Stille. Wir fragten erneut nach, wurden als Antwort nach unserem Wohnort gefragt. Wir antworteten, dass der Wohnort nichts mit der Beantwortung der Frage zu tun habe und baten um Antwort. Stille. Wir schrieben die Pressestelle der Zentrale in der Schweiz an. Dasselbe Spiel: eine Eingangsbestätigung, dann Stille. Schließlich, nach erneuten Nachfragen und insgesamt knapp drei Wochen, endlich die Antwort:

      „Wie Sie es richtig beschreiben, haben Lebensmittelhersteller wie Nestlé Kontakte mit Behörden und pflegen einen engen Austausch. Nestlé versucht dabei selbstverständlich seine Interessen gegenüber den Behörden und der Politik kundzutun und das in den Bereichen, welche Nestlé direkt betreffen. Dies kann beispielsweise im Rahmen neuer Gesetzesvorlagen oder Verordnungen (wie zum Beispiel beim Lebensmittelgesetz, beim Markenschutzgesetz oder beim Wettbewerb) sein. Nestlé wird dabei teilweise auch direkt konsultiert (so beim Vernehmlassungsverfahren) und können auch auf diesem Weg unsere Betroffenheit und Interessen zum Ausdruck bringen. Das machen übrigens nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbände (wie Konsumentenverbände) und andere Organisationen der Zivilgesellschaft, die auch wiederum ihre Interessen und Anliegen haben. Das ist normal und gut so, wenn diverse Akteure ihre Interessen verteidigen und dementsprechend auch Einfluss nehmen.“

      Kein Wunder, dass sich Nestlé mit einer Antwort schwer tat: Uns liegt ein internes Dokument aus dem Jahr 2009 vor. Erstellt wurde dieses Dokument von der „Influencing Strategy Group“ von Nestlé Research. Darin heißt es unter anderem:

      „Ensure interaction in association is guided by business interests […] Influence agenda of the association“ (Sinngemäß: „Sicherstellen, dass der Dialog in diesen Organisationen von unseren Geschäftsinteressen bestimmt wird […] Beeinflussung des Programms der Organisation“).

      Im Dokument heißt es weiterhin:

      „A structured process to support effective influencing […] It does however not substitute for negotiation and political skills“ (Sinngemäß: „Ein strukturierter Prozess, um eine wirksame Einflussnahme zu ermöglichen […] Dies ersetzt jedoch nicht Verhandlungen und politisches Geschick.“

      So so – Verhandlungen und politisches Geschick reichen also nicht aus …

      Ich gebe Ihnen zwei Beispiele aus diesem Dokument:

      Zum einen sollte die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln verhindert werden, indem die Nestlé-Kontaktpersonen bei den Regulierungsbehörden allen Delegierten aller Länder die Position von Nestlé klarmachten.

      Ein andermal sollte das ISIRI (Institute of Standards & Industrial Research of Iran) derart beeinflusst werden, dass die iranischen Standards nach der Überarbeitung nicht denen der EU entsprechen, die natürlich viel strikter sind als die iranischen Standards.

      Ja, Nestlé legt wirklich großen Wert auf die Gesundheit und Wünsche der Verbraucher.

      Existiert. Aber nur am Rande. Er ist inzwischen kaum noch wahrnehmbar, denn er wurde überrollt von Medienberichten, die hauptsächlich von drei Faktoren gesteuert werden: von den riesigen Werbebudgets der Anzeigenkunden. Vom Druck, „Schlagzeilen“ produzieren zu müssen. Und von der Angst vor Abmahnungen. Ein Großteil der „unabhängigen Presse“ ist eine Horde von Befehlsempfängern geworden, die all jenen nach dem Mund reden (oder Dinge verschweigen), von denen sie profitieren oder vor denen sie Angst haben. Ich weiß nicht, wie diese Menschen noch in den Spiegel sehen können, ohne dass ihnen schlecht wird.

      Dafür gibt es unendlich viele ganz konkrete Beispiele. Ich liefere Ihnen eines aus meiner eigenen Erfahrung. Vor einiger Zeit wandte sich ein großer Zeitschriftenverlag an mich und schlug mir eine Kooperation zu einem Artikel vor, der in mein Fachgebiet fällt. Ich sagte zu und beantwortete die Interviewfragen. Dann begann der Redakteur mit dem „Weichspülprogramm“. Entschuldigte sich, dass es nicht anders ginge. Der Artikel ging gefühlte tausend Mal in die Rechtsabteilung, wurde dort immer weicher gespült, sodass am Ende nichts, aber auch gar nichts mehr davon übrigblieb, was ich eigentlich sagen wollte. „Ja“, sagte der Redakteur schließlich, „man darf in Deutschland nicht alles kritisieren.“

      Lesen Sie dazu bitte auch das Dokument „Der lange Arm der Industrie – Einflussnahme auf Forschung und Behörden in Deutschland im Bereich Gentechnik und Lebensmittelsicherheit“ im Anhang des Buches.

      Wo bleibt der Aufschrei der Massen? Der Journalisten?

      Einen Tag vor Heiligabend 2015 sprach ich das erste Mal mit Yasmine Motarjemi, der Frau, die den Konzern Nestlé verklagt hat. Ich stellte ihr all die Fragen, die mir so sehr unter den Nägeln brannten. „Sie sind wirklich Fachjournalistin?“ fragte Motarjemi. Ich bejahte. „Wissen Sie, Sie sind die erste Wissenschaftsjournalistin, die mir diese Fragen stellt. Kein Fachmann, kein Kollege, keine Behörde hat mir diese Fragen gestellt, nicht einmal Verbraucherschutzorganisationen.“ Ich war sprachlos, und es sollte nicht bei diesem einen Mal bleiben.

      Der Fall Motarjemi ist kaum bekannt. Die ehemalige Nestlé-Managerin führt ihren Kampf gegen den Konzern nahezu alleine und praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit. Nur wenige Medien haben darüber berichtet. Das Magazin Spiegel beispielsweise hatte bisher nur einen einzigen kläglichen Artikel für sie übrig

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