Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig

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Lebensmitteln als „bisweilen schludrig“ bezeichnet. Das ist eine bodenlose Untertreibung und ein Armutszeugnis für ein renommiertes Nachrichtenmagazin. Dabei könnte der Fall brisanter nicht sein. Es geht um gefährlich hohe Vitamingehalte in Säuglingsprodukten, um Babys, die fast erstickt wären, um Tinte in Babynahrung, um Hunde, die an Tierfutter krepierten, um lebensgefährliche Bakterien in Keksteig. Und um einen Hersteller, dem das offenbar ziemlich egal ist. „Good Food. Good Life“ – das ist der Slogan von Nestlé. Vertrauen Sie mir – Ihnen wird gleich übel werden.

      Yasmine Motarjemi verfügt über einen Master of Science in Lebensmittelwissenschaft und -technologie sowie über einen Doktortitel in Lebensmitteltechnik. Im Jahr 2000 warb Nestlé Motarjemi von der Weltgesundheitsorganisation ab. Bei der WHO war Motarjemi maßgeblich an der Entwicklung des Präventionssystems HACCP für Lebensmittelsicherheit beteiligt gewesen. Sie sprach für die WHO auf Konferenzen, beriet Regierungen und publizierte wissenschaftliche Artikel sowie Bücher. Die Encyclopedia of Food Safety beispielsweise, das erste Werk seiner Art und mit 2.304 Seiten nicht nur vom Umfang her ein Schwergewicht, wurde von Lebensmittelsicherheitsexperten weltweit gelobt. Motarjemi leitete rund 300 Experten für dieses Mammutprojekt. Ihr internationales Renommee und ihre Position als leitende Wissenschaftlerin machten sie für Nestlé zum perfekten Aushängeschild. Als Global Food Safety Manager war sie bei Nestlé zuständig für die weltweite Lebensmittelsicherheit und als Assistant Vice President weit oben in der Hierarchie des Konzerns angesiedelt. Im Jahr 2010 erhielt sie ihr Kündigungsschreiben. „Die Auffassungen zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten über das Management der Lebensmittelsicherheit waren unterschiedlich“, heißt es darin lapidar.

      Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein jahrelanger und erbitterter Streit um unterlassene Vorsichtmaßnahmen bei Lebensmitteln. Denn kaum hatte Motarjemi bei Nestlé angeheuert, entdeckte sie zahlreiche Lücken in der Lebensmittelsicherheit und eine Managementkultur, die in krassem Widerspruch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmittelsicherheit steht. 2001 bekam sie auch schon Wind von einem äußerst heiklen Fall. Es ging um Babynahrungsprodukte. Die Mengen von Vitamin A und D, so Motarjemi, waren viel zu hoch. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt – die Gesundheit von Babys stand auf dem Spiel. Sie reagierte sofort und vehement, doch ihre Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Monatelang. Immer und immer wieder. Erst als drei Säuglinge starben, weil in einem Produkt des Lebensmittelherstellers Humana eine zu geringe Konzentration von Vitamin B1 enthalten war, wurde man schließlich auch bei Nestlé nervös. „Solange nichts Schlimmes passiert, bewegt sich Nestlé nicht“, sagt Motarjemi. Im Jahr 2002 kamen ihr zwei Berichte zu Ohren, bei denen Babys an einem Kinderkeks von Nestlé fast erstickt wären. Als sie dem Fall nachging, entdeckte sie, dass dieses Problem bei Nestlé bereits seit mindestens zwei Jahren bekannt war. „Man sagte mir, das seien nur sporadische Fälle und ich solle mir keine Sorgen machen. Aber ich wollte wissen, ob es noch mehr Fälle gab. Schließlich fand ich heraus, dass inzwischen fast 40 Fälle bekannt geworden waren. Und man weiß aus Erfahrung, dass dies immer nur die Spitze eines Eisbergs ist!“ Das Problem, so Motarjemi, hätte umgehend behoben werden können, denn es lag schlicht und ergreifend an der Qualität des verwendeten Mehls. Das Mehl verklumpte sich im Mund und wurde hart, anstatt sich aufzulösen. Es dauerte einen ganzen Monat und erforderte zahlreiche Interventionen von Motarjemi, bis die Produktion endlich umgestellt wurde. 2005 enthielten Säuglingsprodukte, die in China verkauft wurden, zu viel Jod. Nestlé war das Problem bekannt, hielt es aber nicht einmal für nötig, die Anfrage der dortigen Behörden zu beantworten. Die Behörden forderten schließlich eine komplette Rückrufaktion der Produkte, weil der Konzern einfach nicht reagierte. Anfang 2005 gelangten mehrere Tonnen vergiftetes Hundefutter der Nestlé-Tochter Purina in Umlauf. Nahezu 500 Tiere in Venezuela starben an Aflatoxin. Mitte 2005 wurden in Italien Nestlé-Babynahrungsprodukte mit der Tintenchemikalie ITX entdeckt. Nestlé nahm die Produkte nicht sofort vollständig aus den Regalen. Das italienische Gesundheitsministerium ließ das betroffene Lagerhaus schließlich von Polizisten stürmen. 2007 gelangte melaminverseuchtes Weizengluten zur Tierfutterproduktion in die USA. „Nestlé war also vorgewarnt“, sagt Motarjemi, „und wenn so etwas passiert, dann überprüft man alle anderen Produkte, aber das geschah nicht. Ich habe das sofort beanstandet. Aber man teilte mir lediglich mit, dass ich den Mund halten solle, denn man würde die Besitzer der verstorbenen Tiere einfach mit Geld ruhigstellen.“ Es kam, wie es kommen musste: 2008 erwischte es den Konzern erneut. Diesmal waren Säuglingsprodukte in China mit Melamin kontaminiert. „Die Mengen waren zwar nur sehr gering, aber wenn Nestlé seine Produkte überprüft hätte, wäre es gar nicht erst dazu gekommen. Nestlé kann von Glück reden, dass in diesem Fall keine Babys gestorben sind! Allerdings wurden niemals Daten erhoben. Wir wissen also nicht, ob die Melaminmengen zuvor viel höher waren und Babys vielleicht Gesundheitsschäden davongetragen haben …“ Ein Jahr später entdeckte die US-Lebensmittelbehörde FDA gefährliche E-coli-Bakterien in einem rohen Nestlé-Keksteig. Das ist das Bakterium, an dem 2011 in Deutschland 50 Menschen starben. „Und stellen Sie sich vor“, so Motarjemi weiter, „wie Nestlé sich zuvor verhalten hatte, als 2009 bekannt wurde, dass die Peanut Corporation America (PCA), ein Zulieferer der Lebensmittelindustrie, für den Tod von neun Menschen verantwortlich war, weil deren Produkte mit Salmonellen kontaminiert waren. Nestlé hatte diesen Zulieferer abgelehnt, weil man ihn vor Ort überprüft und große Hygienemängel festgestellt hatte. Das ist natürlich gut und richtig. Aber weshalb hat Nestlé das nicht an die Behörden gemeldet? Dadurch hätten diese neun Menschen womöglich gerettet werden können!“ Ich untersuchte den Vorfall. Mir wurde übel. Medien wie die Washington Post hatten Nestlé damals sogar gelobt. Wir leben in einer kranken Welt mit dummen, ignoranten Journalisten.

      „Das Problem war“, so Motarjemi, „dass meine Warnungen immer öfter ignoriert wurden. Mein Job war es, auf Lücken und Fehler in der Nahrungsmittelsicherheit hinzuweisen, aber je öfter ich das tat, desto mehr wurde ich ignoriert. Man warf mir sogar vor, ich hätte einen zu theoretischen Ansatz und meine Forderungen seien ‚WHO-Quackquack‘. Ich bitte Sie – wenn Babys fast ersticken oder Hunde sterben, dann kann man doch nicht so tun, als gäbe es überhaupt kein Problem? Meine Empfehlungen wurden nicht auf Managementebene berücksichtigt – stets haben wirtschaftliche Interessen den Ausschlag gegeben.“

      Motarjemi sagt, sie habe schließlich versucht, sich bei leitenden Managern im Konzern zu beschweren und auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Sie versuchte es beim Betriebsleiter. Beim Personalleiter. Bei vielen anderen Managern. In ihrer Not wandte sie sich schließlich an den Hauptgeschäftsführer. Doch niemand wollte sie anhören. Sie erhielt keine Antwort auf ihre schriftlichen Eingaben. Sie wurde zu Meetings und Konferenzen nicht mehr eingeladen, und wenn, dann fand sie ihren Namen auf der Teilnehmerliste unter den Sekretärinnen wieder. Ihre Arbeit durfte sie nicht präsentieren, wurde in der letzten Stuhlreihe platziert. Nach und nach wurden ihr Mitarbeiter und Kompetenzen entzogen. Zum Schluss war sie im Unternehmen komplett isoliert. Sie konnte ihre Arbeit nicht mehr tun.

      „Nestlé behauptet, die Lebensmittelsicherheit im Unternehmen sei perfekt. Das stimmt – aber nur auf dem Papier! Das System wird nicht konsequent in die Praxis umgesetzt“, sagt Motarjemi. „Und die Mitarbeiter, die im Unternehmen dafür verantwortlich sind, wissen das nicht nur – sie akzeptieren es sogar.“ Im Jahr 2005 gab es sogar einen Plan, Prämien an die Anzahl von Rückrufaktionen und von gemeldeten „Vorfällen“ zu knüpfen – je geringer die Anzahl, desto höher falle für den Mitarbeiter der Bonus aus.

      Motarjemi sagt, sie hatte bis zum Schluss gehofft, sie würde die Gelegenheit erhalten, ihre Erkenntnisse auf höchster Konzernebene zu präsentieren. Als Antwort erhielt sie schließlich die Kündigung. Das Angebot für eine gut bezahlte Position an anderer Stelle im Konzern hatte sie zuvor abgelehnt, weil die Konzernleitung sich ebenfalls geweigert hatte, ein Audit für ihre Abteilung durchzuführen – der einzige andere Weg, um die riesigen Lücken in der Lebensmittelsicherheit des Konzerns aufzeigen zu können.

      Als Motarjemi geendet hatte, stammelte ich: „Das ist ja ein riesiger Skandal!!!“ Yasmine Motarjemi war einige Sekunden lang ebenfalls still. „Ja, das ist es“, sagte sie schließlich leise, „und ich bin froh, dass Sie das genauso sehen. Aber Sie sind eine der ganz wenigen, die so denken.“

      Ich

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