Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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über den Gang der politischen Ereignisse, die jede Geschäftsordnung auflösten.

      Als Herr Hubertus sah, dass sein Gesundheitszustand ihn noch lange Zeit von den Geschäften fernhalten würde, erhob er den Buchhalter Franz zu seinem Associé; er glaubte diesen Schritt nicht allein dem wackeren jungen Mann selbst, sondern auch dem Gedeihen und Fortbestehen seines Geschäftes schuldig zu sein, da er das Missliche desselben ahnte, obgleich er keine Einsicht in die Bücher genommen hatte. Kaleb war außer sich vor Freude und gratulierte seinem neuen Herrn vom Grunde seines Herzens. Anna aber, die in dieser Veränderung ihre Freiheit bedroht sah, stattete mit beklommenem Herzen ihren Glückwunsch ab; sie hatte Mühe, das, was in ihr vorging, zu verbergen.

      »O mein Gott«, rief sie, als sie allein war, »Franz ist mir lieb und teuer, ich begrüße ihn freudig als den Geschäftsfreund meines guten Vaters, aber ihn als Gatten lieben, ihm mit der Übergabe des Geschäfts auch meine Hand übergeben – nein, nein, ich kann es nicht! Und doch muss ich, denn ich würde das Lebensglück meines Vaters zerstören, wenn ich seinen Plan zerstörte. Ach Mutter, wenn du doch noch bei mir wärst, ich könnte dir mein Herz erschließen und mir deinen Trost, deinen Rat erbitten!«

      Weinend sank sie auf einen Sessel nieder und betete leise zu der Dahingeschiedenen. Da gedachte sie des Traumes jener Nacht, die dem Geburtstag des Vaters voranging: Richard, sie zärtlich anblickend, und die Mutter, ihre Hände segnend ausbreitend, standen vor ihr; sie wähnte sich wieder in dem duftenden Garten – kurz, sie fühlte sich glücklich, indem sie dem Spiel ihrer Fantasie folgte. Doch plötzlich erwachte das Pflichtgefühl der Tochter wieder, laut mahnend erhob es seine Stimme und zertrümmerte den geträumten Himmel.

      »Nein«, rief Anna, »meine Kindespflicht bleibt mir heilig; ich unterwerfe mich dem Beschluss des Vaters. Der arme Wilibald wird mir nicht zürnen, wenn ich aus der Ferne für ihn sorge; ich betrete jenes Haus nie wieder!«

      Eine brennende Röte überzog plötzlich das Gesicht des jungen Mädchens, als sie diese Worte sprach, denn zum ersten Mal hatte sie sich eingestanden, dass Richard ihrem Herzen gefährlich war – wollte sie doch die Möglichkeit seines Anblicks meiden, um der Gefahr zu entgehen.

      Anna hielt Wort; am nächsten Tag, der zum Besuch des Greises bestimmt war, sandte sie durch die Magd, die die strengste Verschwiegenheit geloben musste, ein Briefchen dahin ab und fügte diesem die wöchentliche Unterstützungssumme bei. Durch eine leichte Krankheit entschuldigte sie ihr Ausbleiben. Der Brief war nur mit »Anna« unterzeichnet und die Magd hatte den gemessensten Befehl erhalten, so viel sie auch befragt werden sollte, weitere Auskunft nicht zu erteilen. Aber ungeachtet dieser Vorsichtsmaßnahmen sollte die arme Anna dennoch ihre Ruhe nicht bewahren; der Zufall, wenn wir es dem Schicksal nicht aufbürden wollen, vereitelte ihr großmütiges Bemühen und raubte dem bedrängten Herzen das letzte Fünkchen Frieden, das es noch enthielt. Von einer Freundin zurückkehrend, begegnete Anna dem jungen Dichter auf der Straße. Er trug die Uniform der akademischen Legion, seine Büchse auf der Schulter und den Hirschfänger an der Seite. Beide erkannten sich auf den ersten Blick. Richard, seiner Sinne kaum noch mächtig, grüßte mit militärischem Anstand und Anna dankte, als ob sie eine hohe Person mit einem Gruß beehrt hätte. So kurz dieser Augenblick des Wiedersehens auch gewesen war, hatte er dennoch über das Herz des jungen Mädchens entschieden; der schöne Soldat, der für die Rechte des Volkes sein Leben opfern wollte, beherrschte es bis in seine tiefsten Falten, Franz war völlig daraus vertrieben. So verging der Sommer, das Laub der Bäume wurde gelb und bedeckte die Gänge im Garten des Herrn Hubertus, den Anna nur noch selten betrat. Mit dem Beginn der rauen Jahreszeit verdüsterte sich auch der politische Horizont von Neuem, und es ballten sich die Wolken zusammen, aus deren Schoß jener furchtbare Schlag fiel, der verhängnisvoll für ganz Europa wurde. Obgleich Franz sich von allem politischen Treiben fernhielt, so lehrte ihn der stetige Rückgang der Geschäfte dennoch den Stand der Dinge kennen; die kleinen disponiblen Summen hatte der Sommer verschlungen und immer noch brachte der Herbst nicht, was der Erhalt der Fabrik erforderte; ihm blieb für den Monat Oktober nichts als der Rest des Kapitals, das Herr Hubertus dem Bankhaus W. anvertraut hatte. Unter diesen Umständen konnte der junge Mann an eine Verbindung mit Anna nicht denken, und selbst Herr Hubertus vermied es, diese Angelegenheit zu berühren, da er die nächste Zukunft ahnte.

      Aber auch in die Dachwohnung des alten Wilibald hatte ein neues Unglück seinen Einzug gehalten; der Greis sollte das Elend des Lebens nicht mehr sehen – er war völlig erblindet. Mit frommer Ergebung trug er zwar das furchtbare Schicksal, das ihn betroffen hatte, die Heiterkeit seines Geistes schien aber entschwunden zu sein und mit ihr die letzte Kraft, die das Alter dem Körper noch gelassen hatte. Dieser Umstand vergrößerte die Sorgen des armen Richard um das Doppelte, denn der Greis musste wie ein Kind geführt und gepflegt werden, da mit jedem Tag auch seine Kräfte schwanden. Um das Maß des Unglücks vollzumachen, vergrößerte sich auch die Geisteskrankheit der Frau Bertram, und wenn sie auch einen ruhigen Charakter zeigte, so durfte sie Richard doch nur selten allein lassen, da der blinde Nachbar sie nicht mehr überwachen konnte. Der junge Mann war an sein Zimmer und an das Krankenbett des Greises gefesselt; die Händel der Welt blieben ihm seit dieser Zeit fremd und, wie die Folge zeigen wird, zu seinem Besten.

      Es war an einem kalten Septembermorgen, als ein Mann in gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung in das Zimmer des blinden Greises trat. Richard befand sich bei seiner Mutter und hatte von diesem Besuch nichts bemerkt. Der Kranke saß aufrecht in seinem Bett und schien den Gruß des leise Eintretenden als den eines Bekannten zu erwidern.

      »Kann man uns hören?«, fragte der Fremde mit halber Stimme.

      »Nein«, antwortete der Kranke, »in diesem Augenblick sind wir ungestört; mein junger Nachbar hat mich soeben verlassen und wird wohl auch in der nächsten Viertelstunde nicht zurückkehren.«

      Der Mann zog eine Broschüre aus seiner Brusttasche und reichte sie dem Kranken mit den Worten:

      »Der Druck Ihres Werkes ist vollendet – hier ist es. In Tausenden von Exemplaren ist es bereits in die Provinzen gesandt und wird, wie wir hoffen, seinen Zweck nicht verfehlen.«

      »Auch ich hege diese Hoffnung«, flüsterte Wilibald, »denn die Vorsehung scheint mein Unternehmen zu begünstigen, da sie mir bis zu dessen Vollendung das Licht meiner Augen gelassen hat. Nun will ich gerne sterben, da die Welt meine Geheimnisse kennt; ich nehme nichts mit ins Grab als meinen Überdruss des Lebens und den Hass gegen den Mann, der unter dem Schein der Volksbeglückung mein ganzes Glück zerstörte. Möge das kommende Geschlecht genießen, was wir unter Blut und Elend gesät haben!«

      »Ihr Werk ist gediegen und umfassend, es wird seine Früchte tragen«, antwortete der Fremde; »doch was bekommen Sie für Ihre Arbeit? Unser Verein lässt Sie noch einmal bitten, das Honorar zu bestimmen, und ich dächte …«

      »Mein Freund«, sprach der Greis schmerzlich lächelnd, »dass meine Gedanken, die vierundzwanzig Jahre im Gefängnis mit mir begraben lagen, sich frei in das Volk ergießen und endlich das Ziel erreicht haben, das ich erstrebte, das ist mein schönster Lohn, ich begehre keinen andern!«

      »Aber Ihre Lage, Ihre Krankheit …«

      »Sorgen Sie sich nicht«, fuhr Wilibald fort, »ich bedarf nur wenig, und dies wenige wird mir als ein Almosen zugesendet. Ich fürchte nicht, dass der Geber ermüdet, denn wie lange noch werde ich seiner Menschenfreundlichkeit bedürfen? Sie wundern sich – ja, ja, ich besitze noch Stolz! Werke, wie diese«, rief er aus, indem er das Buch emporhielt, »kann nur das Bewusstsein, sie gefertigt zu haben, belohnen! – Wer ist der Präsident Ihres Vereins?«, fragte der Kranke nach einer Pause.

      »Ich darf ihn Ihnen nennen«, war die Antwort, »denn wir betrachten Sie als unser Mitglied, obgleich wir bis jetzt Gründe hatten, unsere Tätigkeit nur heimlich auszuüben. Der Präsident ist der General von B.«

      »Wie, der General

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