Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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ich kenne die Qualen einer vierundzwanzigjährigen Gefangenschaft, zu der mich die Willkür niederträchtiger Minister verdammt hat, weil ich die Wahrheit geschrieben und pfäffische Gräueltaten ans Licht gezogen habe. Mein ganzes Lebensglück hat die Hand eines Menschen zerstört, der mit frecher Willkür das Ruder des Staates lenkte, weil er allein die Herzlosigkeit dazu besaß, weil er allein das Netz zu weben vermochte, das man um Millionen von Menschen spann, um sie in körperlicher und geistiger Knechtschaft schmachten zu lassen. Ich war einer der Kühnen, die dieses Netz zerreißen wollten, und darum, weil ich der Regung meines Geistes folgte, wurde ich eingekerkert und moralisch gemordet. Das Volk hat diesen Elenden zwar gerichtet, die Revolution des März hat Gutes geboren, jener ist schimpflich aus dem Vaterland gejagt worden und mich hat die Großmut des Landesvaters, die er ausübte, um das empörte Volk zu beruhigen, wieder in Freiheit gesetzt: aber als ein markloser, abgezehrter Greis stehe ich da; die Kraft meines Lebens liegt im Staatsgefängnis begraben; nicht einmal so viel ist mir geblieben, dass ich die elende Maschine meines Körpers den kurzen Weg fortschleppen kann, den sie noch bis zum Grab zu machen hat – ich muss von dem Mitleid anderer leben! O hätte ich nie das Licht der Freiheit erblickt, hätte mich doch mein Kerker, der mir wenigstens Nahrung gewährte, ohne sie erbetteln zu müssen, begraben!«

      Der Greis sank mit dem Kopf auf den elenden Holztisch und lag mehrere Minuten da, als ob er still weinte; dann aber erhob er sich wieder und rief:

      »Nein, ich muss! Zwar ist die Hand abgehauen, die das nichtswürdige Netz webte, aber noch sind die Fäden desselben nicht zerrissen, noch gibt es der geschickten Schurken genug, die das Loch wieder ausbessern, das der erste Freiheitssturm hineingerissen hat. Ich will tausendmal lieber die jähen Schläge einer Revolution als das langsam schleichende Gift einer sogenannten gesetzlichen Regierung. Die Nachwelt wird auf dem Ruin unserer Zeit, auf den Trümmern unseres Glückes, auf den gehäuften Leiden erduldeten Despotismus, genannt Freiheit, eine glücklichere Periode wahrer Freiheit erbauen und dankbar die Früchte von dem Baum genießen, den ich jetzt pflanzen helfen will! Auf, Alter, kämpfe und räche dich!«

      Die Feder fuhr wieder über das Papier; die Zweifel, die die Arbeit des Greises unterbrochen zu haben schienen, waren durch dieses Selbstgespräch beseitigt und sein Geist erstarkt und ermutigt, denn es bildete sich Zeile um Zeile, sodass schon nach kurzer Zeit die Seite des grauen Papiers vollgeschrieben war. Als er das Blatt wenden wollte, wurde leise an die Tür geklopft. Ohne zu antworten, ergriff Vater Wilibald rasch sein Manuskript, legte es in den Kasten seines Tisches, verschloss denselben und steckte den Schlüssel in die Tasche; dann ging er zur Tür, schob einen kleinen Riegel zurück und öffnete.

      »Guten Morgen, Herr Wilibald«, sprach freundlich, aber nur halblaut, eine angenehme, weibliche Stimme.

      »Ach, mein liebes Fräulein!«, rief der Greis überrascht; »treten Sie doch bitte ein.«

      Der Greis öffnete so weit wie möglich die kleine Tür und Anna Hubertus, erhitzt vom Steigen der finsteren Treppen, trat mit hochroten Wangen ein.

      Die Verlegenheit des alten Mannes, dass er die schöne junge Dame in seinem ungeordneten Zimmer empfangen musste, war in der Tat komisch. Mit großer Emsigkeit schob er alles beiseite, was ihm nicht am rechten Platz zu stehen schien, doch stets brachte er dann den Gegenstand dahin, wo er am wenigsten an seinem Platz war – kurz, er musste zuletzt selbst darüber lächeln und Annas freundlicher Aufforderung, sich ruhig zu verhalten, genügen. Anna war indes zum Fenster getreten, hatte den halb verwelkten Veilchenstrauß aus dem kleinen Becher entfernt und dafür die Rosen hineingestellt, die sie am Morgen im Garten ihres Vaters gepflückt hatte.

      »O mein Gott«, rief Herr Wilibald, »wie Sie für mich alten Mann sorgen! Gleich einem lieblichen Engel, der dem Paradies entstiegen ist, schmücken Sie den Aufenthalt der Armut mit den Kindern des Frühlings! Ihre Blumen sind das einzige Zeichen, das mich an den köstlichen Mai erinnert, denn aus meinen Fenstern sehe ich nichts als die grauen, verwitterten Dächer und den lieben freien Himmel; alles andere muss ich entbehren.«

      »Warum unternehmen Sie nicht einen Spaziergang?«, fragte Anna, indem sie sich auf einem Stuhl niederließ; »die Luft ist heute warm und rein, sie wird Sie erquicken.«

      »Ausgehen? Ich?«, antwortete der Greis lächelnd. »Meine alten Füße würden mich nicht weit tragen, und dann bedenken Sie einmal die steilen, hohen Treppen! Ich werde diese Wohnung wohl erst dann verlassen, wenn man mich hinausträgt! So Gott will, liegt dieser Zeitpunkt nicht mehr fern.«

      »Beruhigen Sie sich«, tröstete das junge Mädchen teilnehmend, »die Zukunft wird sich besser gestalten, als Sie glauben.«

      »Ich hoffe nichts mehr von der Zukunft, mein liebes Kind, denn ein Greis in meinen Jahren hat keine Zukunft mehr. Und wollen Sie die kurze Frist, die ich noch zu leben habe, Zukunft nennen, so muss ich Ihnen offen bekennen, dass ich auch davon nichts erwarte als körperliches und geistiges Elend. Ich habe mit der Welt abgeschlossen, weder Furcht noch Hoffnung finden ein Plätzchen in meiner Brust. Die einzige Freude bereiten Sie mir durch Ihre menschenfreundlichen Besuche; doch auch diese ist nicht ungetrübt, denn wenn ich bedenke, mit welchen Unannehmlichkeiten und Überwindungen Sie zu kämpfen haben …«

      »Sprechen wir nicht davon«, fuhr Anna rasch fort; »wenn ich Sie heiter antreffe, ist mein Wunsch erfüllt.«

      »Gott lohne es Ihnen mit einer herrlichen, glücklichen Zukunft!«, rief Wilibald, indem er seine verschlungenen Hände gen Himmel richtete. »Doch eine Frage erlauben Sie mir, mein liebes Fräulein: Ich weiß bis jetzt nicht, welchen Namen ich in mein Gebet einschließen soll, wenn ich abends und morgens an meinen wohltätigen Engel denke – o nennen Sie mir Ihren Namen!«

      »Nennen Sie mich Anna«, sprach das junge Mädchen errötend, »doch nicht nur abends und morgens, ich wünsche, dass Sie mich immer so nennen.«

      »Sie machen mich glücklich durch diese Erlaubnis, denn mein Herz hat sich schon daran gewöhnt, Sie als meine Tochter zu betrachten – pflegen Sie mich doch wie einen Vater; darum lassen Sie mich dankbar sein und Sie wie eine Tochter lieben!«

      Der Erguss der Dankbarkeit des Greises hatte die arme Anna, die so gern eine solche Unterhaltung vermieden hätte, in die peinlichste Verlegenheit gesetzt. Vergebens sann sie darauf, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand hinzuleiten; sie konnte aber in ihrer Verwirrung keinen finden und musste sich begnügen, ihr flammendes Gesicht mit dem Taschentuch zu verdecken. Der alte Wilibald hatte sich erschöpft auf dem Stuhl vor seinem Arbeitstisch niedergelassen.

      »Wie geht es Ihrer armen kranken Nachbarin?«, rief Anna plötzlich, die froh war, ein anderes Gesprächsthema gefunden zu haben.

      »Frau Bertram ist noch immer leidend«, antwortete Wilibald, »die Aufregung von gestern hat sie so erschüttert, dass sie das Zimmer noch nicht verlassen kann.«

      »Wer pflegt denn die arme Frau?«

      »Wer sie pflegt? Ihr Sohn, und in dessen Abwesenheit – ich!«

      »Sie, Herr Wilibald, der der Pflege selbst bedarf?«

      »Ich muss wohl, wenn Richard gezwungen ist, nach Arbeit auszugehen.«

      »Nehmen Sie«, sprach Anna und legte eine kleine Börse auf den Tisch, »hier sind Mittel, um einen Arzt zu beschaffen.«

      »Anna, Anna!«, rief der Greis, »Sie tun des Guten zu viel – erst gestern waren Sie so großmütig und heute …«

      In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Richard, Frau Bertrams Sohn, trat ein; als er jedoch den Besuch erblickte, verbeugte er sich, wie es schien, bestürzt und wollte sich wieder entfernen.

      »Bleiben

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