Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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stehen und dankte dem Grüßenden mit einem heiteren, doch ruhigen Lächeln, wobei sie ihm die Hand entgegenstreckte.

      Der junge Mann war einfach, aber sorgfältig gekleidet, fast mit jener Ängstlichkeit, die den jungen Leuten eigen zu sein pflegt, wenn ihnen besonders daran liegt, jemandem zu gefallen. Sein Gesicht war zwar bleich, aber ohne ihm ein krankes Aussehen zu geben; sein dunkelblaues Auge, von schwarzen Wimpern und starken dunklen Brauen beschattet, zeugte von Geist und Charakter, und die Regelmäßigkeit seiner Züge verlieh ihm ein Interesse, das mancher blühende Jüngling umsonst zu erstreben sucht. Drei- bis vierundzwanzig Jahre schienen bereits an seinem Haupt vorübergegangen zu sein.

      »Wie, Anna«, sprach der junge Mann in einem vertraulichen, doch ehrerbietigen Ton, »so früh wollen Sie schon ausgehen?«

      »Ich kann es, dem Himmel sei Dank«, antwortete Anna und ließ ihre Hand in der des Fragers ruhen, »ich kann es, denn mein Vater bedarf jetzt schon meiner Sorge nicht mehr. Die zurückgekehrte Gesundheit des Körpers hat einen so wohltätigen Einfluss auf den sonst so verschlossenen Charakter des Greises ausgeübt, dass er schon vor einer Viertelstunde einen Spaziergang aufs Land unternommen hat, wozu er, wie Sie wissen, bis jetzt nicht zu bewegen war. Ich wollte ihn begleiten, allein er lehnte es ab und forderte mich auf, da die Reihe an mir sei, mich den Damen unsres Vereins anzuschließen und die Wohnungen der Armen zu besuchen, die durch den Druck der Zeit dem Elend preisgegeben sind.«

      »Anna«, rief der junge Mann mit Empfindung und drückte die kleine Hand an seine Lippen, »Sie können diesen köstlichen Maitag nicht besser beginnen als durch Handlungen der Wohltätigkeit! Ich weiß, Ihrem schönen Herzen ist es fremd, mit dem Wohltätigkeitssinn zu kokettieren; Sie trachten nicht danach, wie so viele andere Damen unserer Residenz, durch Spenden an die Armut Aufmerksamkeit erregen zu wollen und nur unter Beachtung einer gewissen Förmlichkeit den Leidenden beizustehen, einer Förmlichkeit, die alles Mitgefühl in der Brust erkalten lässt und in eine Mode verwandelt – aber weil ich Ihr Herz kenne, fürchte ich, dass der Anblick des Jammers, den so viele Tausende unserer Mitbrüder jetzt erdulden, Sie schmerzlich berühren und in Ihnen Gefühle erwecken muss – ach, Anna, und ich habe Ihnen so viel zu sagen!«

      »Fürchten Sie das nicht«, sprach Anna mit einem zauberischen Lächeln, »das Bewusstsein, Gutes getan zu haben, ist kein drückendes Gefühl. Nur wenn ich daran denke, dass ich nicht allen helfen kann, treten mir die Tränen in die Augen, und ich muss bekennen, dass ich nur mit Bitterkeit an die Urheber all dieses Elends denke. Glauben Sie mir, lieber Franz, wäre ich eine Kaiserin, es sollte anders um die armen Leute stehen; anstatt vor dem Ausbruch der Verzweiflung fliehen zu müssen, sollte mich alles freudigen Auges als Mutter begrüßen; die Dankbarkeit sollte meine Schutzwache sein und die Liebe meiner armen Untertanen die glatten Worte verdrängen, die jene herzlosen Damen flüstern, die, alle Weiblichkeit verleugnend, nur ehrgeizigen Plänen nachhängen, das Gewimmer der Armut verspottend. Darum lassen Sie mich, lieber Franz, ich kehre bald zurück und dann …«

      »Nur einige Augenblicke«, rief der junge Mann dringend und ergriff abermals die Hand des jungen Mädchens, »später habe ich keine Zeit, da die Arbeiter heute ihren Lohn ausgezahlt bekommen.«

      »So bleibt uns morgen und übermorgen noch Zeit!«

      »Anna«, sprach Franz mit einem bitteren Lächeln, »soll auch ich an Ihren Wohltätigkeitssinn appellieren? Bin ich von Ihrer Milde ausgeschlossen?«

      »Franz, Sie lästern!«, rief das junge Mädchen schelmisch drohend, und eine Röte der Verlegenheit überzog ihr liebliches Gesicht, die mit dem frischen Purpur der Rosen zu wetteifern schien. Beide standen einen Augenblick verlegen da, dann sprach Anna in einem Ton, der deutlich die Reue verriet, dass sie dem jungen Mann nicht gleich Gehör geschenkt hatte:

      »So reden Sie, lieber Franz, ich werde ein wenig rascher gehen, um die versäumte Zeit aufzuholen. Was haben Sie mir zu sagen?«

      Franz ergriff sanft ihren Arm und zog sie hinter den Rosenstrauch zurück, der die Aussicht auf die Fabrikgebäude verdeckte; Anna, die Blicke auf ihren Rosenstrauß geheftet, folgte ohne Widerstreben, obgleich der Ausdruck ihres Gesichts deutlich anzeigte, dass sie die Unterredung lieber vermieden hätte.

      »Wollen Sie mich einige Minuten ruhig anhören, liebe Anna?«, fragte Franz, indem er beide Hände der Jungfrau ergriff.

      »Reden Sie, lieber Freund, ich bin bereit zu hören!«

      Mit einem tiefen Seufzer schien sich Franz zu sammeln, dann begann er:

      »Anna, noch ehe das Grün dieser Bäume schwindet, soll ich Sie zum Altar führen!«

      »Ich weiß es«, flüsterte Anna, und senkte abermals ihre Blicke auf den Blumenstrauß zurück.

      »Mein Glück«, fuhr der junge Mann mit Leidenschaft fort, »ist so groß, dass ich kaum daran zu denken wage, und wenn ich daran denke, schätze ich mich dessen für so unwert, dass ich es nur für einen schönen Traum halte. O mein Gott – ich Ihr Gatte, der arme Kommis der Gatte eines Engels! Ach, Anna, Sie wissen nicht, dass ich Sie schon so lange liebe, wie ich Sie kenne! Und das ist schon eine sehr lange Zeit, denn als Ihr Vater mich in sein Haus aufnahm, waren Sie noch ein Kind, und ich, der ich es ebenfalls noch war, zitterte bei Ihrem Anblick, wie ich in diesem Augenblick bei dem Gedanken an mein unbeschreibliches Glück zittere. Ich liebte Sie schweigend, hoffnungslos, denn wie konnte ich mir einbilden, dass ich mich je bis zu Ihnen erheben würde oder dass Sie zu mir herabsteigen würden? Da bewirkte der Wille Ihres Vaters dieses Wunder, das mir im Reich der Unmöglichkeit gelegen hatte, und ich glaubte vor Freude und übergroßem Glück den Verstand zu verlieren. Und dennoch ist meine Freude nicht ganz rein und vollkommen, denn seit dem Tag, an dem unsere Verbindung festgesetzt wurde, sind Sie nicht mehr dieselbe, Sie sind traurig und nachdenklich, und dies macht mir wieder Kummer. Anna, seien Sie offen, betrübt Sie diese Heirat? O bekennen Sie mir den Grund Ihrer Veränderung, welcher es auch sei, ich werde Ihnen darum nicht böse sein! Ich weiß, Anna, Ihre Erziehung ist von der meinigen sehr verschieden; Sie sind in der ersten Pensionsanstalt der Residenz gebildet worden und besitzen alle jene Kenntnisse, die erforderlich sind, um in den größten Zirkeln zu glänzen, während ich, ein einfacher Buchhalter, mich nur unter meinen Registern und Fabrikarbeitern zu bewegen weiß – Sie müssen mich sehr unwissend und roh finden; darum reden Sie jetzt offen wie eine Schwester zu dem Bruder: Können Sie mich lieben, Anna?«

      »Franz«, sprach Anna mit einem milden Lächeln, das von der Güte ihres Herzens zeugte, »warum sollte ich Sie nicht lieben? Sind Sie nicht der Gefährte meiner Jugend? Sind Sie nicht meines Vaters bester, treuester Freund, dessen Sorge und Tätigkeit ihn bereits zweimal vom drohenden Untergang rettete? Konnten Sie vermöge ihrer Talente, die auch andere zu schätzen wussten, nicht schon öfter vorteilhaftere Stellungen erhalten, und haben Sie nicht stets alle Anerbietungen ausgeschlagen und sind bei uns geblieben? Ich müsste ja eine undankbare Tochter sein, wenn ich bei solchen Beweisen von Aufopferung und Liebe unempfindlich bliebe!«

      Des jungen Mannes Lippen umspielte ein trübseliges Lächeln, denn er hatte das Ausweichende in Annas Antwort nur zu gut verstanden; der heitere, gefühlvolle Ton, in dem ihm diese Antwort erteilt worden war, konnte ihn nicht täuschen. »Anna«, sprach er mit unterdrückten Tränen, indem er sich zur Seite wandte und ein Blatt von dem Rosenstrauch brach, »Ihre Worte beweisen abermals, wie gut Sie sind, und lehren mich den Schatz kennen, den Ihr künftiger Gemahl in Ihnen besitzen wird; aber Ihre Hand als Lohn für die Dienste anzunehmen, die ich so glücklich war, Ihrem Vater leisten zu können, wird mich nichts in der Welt vermögen. Dass ich ihn nicht verlassen habe, als man mir vorteilhaftere Angebote machte, rechnen Sie mir zum Verdienst an? Nein, Anna, auch ohne die Aussicht auf den Besitz Ihrer Hand wäre ich geblieben, denn bin ich nicht eines seiner Kinder? Habe ich, die arme verlassene Waise, in Ihrem Haus nicht die liebende Familie wiedergefunden, die ich in meiner frühen Jugend schon verloren habe? Nicht Ihr Vater hat

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