Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader
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Die letzten Worte hatte Franz so leidenschaftlich gesprochen, dass Anna, wie zum Scherz erschreckend, einen Schritt zurückgewichen war. Der junge Mann bemerkte das Zurückweichen nicht, denn um die Glut seines Gesichts zu verbergen, hatte er sich wieder zu dem armen Rosenstrauch gewendet und brach mit einer wahren Hast Blatt um Blatt und Knospe um Knospe ab, die er anschließend auf den Weg warf. Anna hatte einige Augenblicke Zeit, sich zu fassen; ruhig, mit der ihr eigentümlichen Milde, trat sie ihm wieder näher, ergriff seine Hand und sprach in einem Ton, der Franz das Herz durchschnitt:
»Was wollen Sie denn für eine Antwort von mir, lieber Franz? In meinem Institut, das ich erst seit einiger Zeit verlassen habe, hatte ich nie Gelegenheit, über solche Dinge zu reden; die Sprache der Liebe ist mir noch fremd, ich höre sie heute zum ersten Mal; aber ich muss auch bekennen, dass mich diese Sprache durch ihre Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit erschreckt. Ist es nicht gleichviel, unter welchem Titel Sie mir lieb und wert sind? Ich kenne alle Pflichten einer christlichen Hausfrau und versichere Ihnen, dass ich sie mit großer Freude erfüllen werde. Was verlangen Sie mehr von mir?«
»O mein Gott, können Sie mir verzeihen?«, rief Franz, indem er sich den Schweiß von der hohen Stirn trocknete und bei dieser Gelegenheit auch den Tränenschleier entfernte, der sich über seinen Augen gebildet hatte. »Ach, meine Fragen müssen Sie wohl erschreckt haben und ich erscheine Ihnen als ein unzurechnungsfähiger Mensch. Es ist ja klar, Anna«, fuhr er schmerzlich lächelnd fort, »wie können Sie mich anders lieben, als es jetzt der Fall ist; später wird es vielleicht anders sein. Ach«, rief er freudig, »die Hauptsache ist, dass Sie außer mir keinem andern so zugetan sind; ich kann deshalb ruhig sein, nicht wahr? Wo auch sollten Sie einen andern jungen Mann kennengelernt haben?«
»Herr Franz!«, sprach Anna mit vorwurfsvollem Ton und wendete sich schmollend halb zur Seite. »Kann ich nun gehen?«
»Hören Sie mich noch einen Augenblick an: Jetzt, da ich weiß, woran ich bin, will ich Ihnen einen Plan mitteilen, den ich im Laufe dieses Sommers noch ausführen werde.«
»Einen Plan?«, fragte das junge Mädchen verwundert.
»Ja, einen schönen Plan.«
Franz stockte einen Augenblick, als ob ihm die Mitteilung dieses Planes wieder leidtun würde oder er sich dessen schämte.
»Nun«, fragte Anna neugierig, indem sie sich ihm wieder zuwandte.
»Anna«, begann der Kommis endlich mit halber Stimme, als ob er fürchtete, von einer dritten Person gehört zu werden, »damit sie sich vor der Welt, und vorzüglich vor Ihren Freundinnen, Ihres Mannes nicht zu schämen brauchen, habe ich beschlossen, mich in all den Wissenschaften auszubilden, die Sie in der Pensionsanstalt erlernt haben und die mir bis jetzt fremd geblieben sind – zum Beispiel Geschichte, Zeichnen, Musik; es ist zwar ein wenig spät, aber Sie werden mich anfeuern und meine Studien leiten. Wollen Sie das?«
»Gern, mein Freund«, antwortete das junge Mädchen fast gerührt; »nur fürchte ich, dass Sie Ihre Lehrerin in kurzer Zeit überflügelt haben werden, denn ich kenne Ihre Ausdauer und Ihren empfänglichen Geist. Doch«, fügte sie sanft hinzu, »nicht des Zweckes wegen, den Sie vorhin nannten, wollen wir uns beschäftigen, sondern der Unterhaltung und des Vergnügens wegen. Meine kleine Bibliothek steht Ihnen zur Verfügung, sooft Sie es wünschen; hören Sie, sooft Sie es wünschen.«
Die Fabrikuhr deutete durch zwei halbe Schläge an, dass eine halbe Stunde vergangen war.
»Mein Gott«, rief Anna überrascht, »schon halb elf Uhr? Nun, kann ich jetzt gehen?«
»Ach, Verzeihung«, rief der glückliche Franz, »dass ich Sie so lange mit meinem lästigen Geschwätz aufgehalten habe. Auf Wiedersehen, auf recht baldiges Wiedersehen!«
»Der Kommis küsste die niedliche Hand der Jungfrau, dann ging er durch den Weg, den er gekommen war, in sein Kontor zurück.
Anna verließ, wie es schien, sinnend das Haus, bestieg einen Fiaker, der auf dem Platz hielt, und fuhr in das Innere der Stadt.
3.
Der alte Wilibald saß wieder an seinem Arbeitstisch; es schien jedoch, als ob heute die Arbeit nicht recht vonstattengehen wollte. Bald sah er durch das geöffnete Fenster in den klaren Morgenhimmel hinaus, sann einige Minuten nach und änderte kopfschüttelnd das soeben Geschriebene, bald stand er ungeduldig auf, durchschritt langsam das kleine Dachstübchen und legte ein Stück Zeug oder ein bestaubtes Buch zur Seite, denn die ärmliche Wohnung war nicht, wie gestern, gesäubert und geordnet, sondern die elenden Gegenstände lagen und standen bunt durcheinander, das Bett war, wie er es am frühen Morgen verlassen hatte, und Tisch und Stühle waren grau mit Staub überzogen.
»Mein Gott«, flüsterte der Greis, indem er sich umsah, »wie sieht heute Morgen mein Zimmer aus! Wenn Frau Bertram, meine Nachbarin, fehlt, fehlt mir alles.«
Dann begann er eifrig aufzuräumen und zu ordnen, säuberte mit einem Tuch, das er aus seinem grauen Rock zog, seinen Tisch und das schmale Fensterbrett vom Staub und tränkte die Blumen aus einem irdenen Krug mit frischem Wasser. Dann setzte er sich wieder an die Arbeit. Wohl eine Viertelstunde mochte er geschrieben haben, als er plötzlich die Feder niederlegte und sein greises Haupt in die hohle Hand stützte.
»Revolution«, sprach er dumpf vor sich hin, »Revolution! Ja, wenn alle das Wort recht verständen! Kein Staat kann bestehen, wenn zügellose Freiheit oder Gesetzlosigkeit an der Tagesordnung sind; die Leidenschaften der Menschen würden die Sicherheit der Personen und des Eigentums aufheben und der Stärkere, wie im rohen Naturzustand, den Schwächeren überall unterdrücken. Eine Nation würde mit sich selbst in den Kriegszustand übergehen und sich zuletzt aufreiben. Dies macht den Stand der Bürger in der Revolution gefährlich; der Pöbel, von keinen Gesetzen in Schranken gehalten, äußert die Wirkungen seiner rohen Natur; wer ihm als Feind angegeben oder von ihm selbst dafür gehalten wird, dessen Kopf trägt er zuerst auf Piken durch die Straßen, bis er zuletzt das Herz der Schuldigen wie der verleumdeten Unschuldigen in Stücke zerreißt. Die zusammengerottete Pöbelmasse, von einem Bluthund in Marats Manier aufgehetzt oder von einem Tyrannen wie Robespierre geleitet, schreibt der Nation Gesetze vor, fordert die tugendhaftesten und edelsten Männer als Schlachtopfer und nur revolutionäre Despotie vermag sie zu zügeln. Selten sind die Menschen sich in Grundsätzen gleich, noch seltener haben sie dieselben Vorstellungen oder gleiche Meinungen. Hierdurch werden gewöhnlich, selbst unter den Vernünftigsten, Faktionen erzeugt, die den Bösen den Sieg über die bessere Partei, die unter sich uneinig ist, erleichtert, und in der Regel ist die Zahl der Guten kleiner als jene der Schlechten. Ehe nun die Nation nicht alle Perioden der Erfahrung durchlaufen hat, tritt sie nicht auf, Ordnung und Gesetz zu erhalten und die Besseren unter sich zu unterstützen; die Frevel einer revolutionären Regierung müssen die Nation erst aus dem Schlaf wecken, denn den Pöbel ausgenommen, der nichts zu verlieren hat, ist die andere Hälfte der Nation träge, aus Besorgnis, den Pöbel zu reizen, oder aus Furcht, sich selbst zu verderben. Revolutionen müssen auf Revolutionen folgen, eine die andere stürzen, bis sich zuletzt das Ganze zu einer konstitutiven Verfassung melioriert, die Revolutionen unmöglich macht. Eine revolutionäre Regierung ist eine Despotie, weil kein Gesetz sie beschränkt, weil alles dem Willen einer kleinen Anzahl von Männern untergeordnet ist. Und leider fehlt es keiner Nation an ehr- und herrschsüchtigen Menschen, welche die Gewalt, die ihnen das Zutrauen des empörten Volkes in die Hände gibt, missbrauchen. Und wer kann uns bürgen, dass eine vernünftige Konstitution, auf die Bedürfnisse der Nation ausgelegt, dem Unwesen des revolutionären