Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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der mit seinen Arbeitern das Drückende der Zeit teilt und es ihnen tragen hilft.«

      »Herr Hubertus bleibt schon deshalb immer ein Ehrenmann, weil er bereits mit den undankbaren Menschen so viel geteilt hat, dass ihm selbst nichts mehr bleibt für seine alten Tage. Wir wollen doch einmal sehen, wer unserm Herrn hilft und mit ihm teilt – zum Beispiel jetzt, wo unsere Kassen leer sind!«

      »Brechen wir ab, lieber Kaleb, und lassen Sie uns von dem reden, was als Nächstes ansteht. Wir müssen in drei Tagen viertausend Gulden beschaffen, um den Lohn und einen Wechsel von tausend Gulden zu zahlen, der mit dem letzten dieses Monats einlaufen wird.«

      »O mein Gott«, jammerte der Alte, »ich habe nicht einmal mehr hundert Gulden in meiner Kasse!«

      »Ich habe bereits über einen Ausweg nachgedacht«, fuhr Franz in einem ruhigen Ton fort.

      »Reden Sie, reden Sie!«

      »Sie wissen, dass mich Herr Hubertus für die Dauer seiner Krankheit mit Vollmacht versehen hat, statt seiner das Geschäft zu leiten und Unterschriften zu vollziehen. Die Häuser, mit denen wir in Verbindung stehen, kennen diese Vollmacht, und ich werde sie noch einmal benutzen, um von dem Bankhaus W. viertausend Gulden abzuheben, und zwar von den zwanzigtausend Gulden, die unser Herr dort vor acht Monaten deponiert hat. Ich hoffe, dass in einigen Wochen, wie mir Briefe melden, Gelder aus Sachsen eingehen; dann bringe ich die Summe zurück. Herr Hubertus selbst würde die Verlegenheit nicht anders beseitigen können, und da wir auf diese Weise ohne Aufsehen zum Ziel gelangen, so glaube ich …«

      »Ganz recht, ganz recht«, unterbrach Kaleb den Redenden, »der Plan ist gut, ich kann ihn nur billigen. Sollte aus Sachsen auch keine Zahlung erfolgen, so haben wir doch Zeit gewonnen, dass sich Herr Hubertus erst völlig erholen kann und sich nicht schon vorher mit der Leitung des Geschäfts befassen muss. Ach, es steht recht schlecht mit uns!«

      »Nicht so schlecht, wie Sie glauben«, sprach Franz, »denn wir haben sowohl von hiesigen als auch von auswärtigen Kaufleuten nicht unbedeutende Summen zu fordern, und Arbeitsmaterial für die Fabrik ist auch noch für einige Zeit vorhanden; ist die Geldkrise vorüber, sind wir aus aller Verlegenheit. Darum behalten Sie frohen Mut, mein alter Freund, und zeigen Sie Herrn Hubertus morgen ein freundliches Gesicht; Sie wissen, er hat es gern.«

      »Herr Franz«, rief Kaleb, »schon vor drei Jahren hat Ihre Tätigkeit und Umsicht eine Wunde geheilt, die das Fallissement in L. unserm Geschäft schlug – ich hoffe, dass Sie den Kampf mit der gegenwärtigen drückenden Lage auch glücklich bestehen werden. Solange Sie nicht fürchten, will ich meine Hoffnung auch behalten.«

      Nachdem Kaleb diese Worte gesprochen hatte, trat er an das mit grünem Tuch beschlagene Pult heran, neigte sich dem Ohr des jungen Mannes zu, als ob er ihm ein wichtiges Geheimnis mitzuteilen habe, und fuhr halblaut fort:

      »Wissen Sie, Herr Franz, was ich täte, wenn ich Herr Hubertus wäre?«

      »Sie würden doch nicht die Fabrik schließen?«, fragte Franz lächelnd.

      »Nein, aber ich würde morgen Ihre Hochzeit mit Fräulein Anna feiern.«

      »Kaleb!«, rief Franz, indem er errötend in seine Grammatik sah.

      »Ja, Sie verdienen, dass Sie der Schwiegersohn des Herrn Hubertus und der Gatte seiner liebenswürdigen Tochter werden. Und ich bin der Erste, der Ihnen, aber auch Herrn Hubertus zu dieser Heirat Glück wünscht. Nun schlafen Sie wohl, mein wackerer, junger Freund!«

      Der Kassierer reichte dem Buchhalter die Hand, dann verließ er, indem er sich noch einmal freundlich grüßend umsah, das Zimmer. Auch Franz schloss sein Buch, als er allein war, stützte mit der Hand seinen Kopf und hing den Gedanken nach, die der Wunsch des Greises in ihm erweckt hatte. So mochte wohl eine Viertelstunde vergangen sein, als die Kontoruhr Mitternacht anzeigte. Franz erhob langsam sein Haupt, ergriff das tief herabgebrannte Licht, verschloss die Tür des Kontors und stieg die Treppe hinauf, um sich auf sein Zimmer zu begeben, das im zweiten Stock des Hauses lag. Langsam und leise schlich er über den Korridor des ersten Stocks, denn er wollte die Ruhe seines Herrn nicht stören, dessen Zimmer sich hier öffneten; den wahren Grund: dass niemand seine nächtlichen Studien gewahrte, wagte er sich selbst nicht zu gestehen, obgleich dieser ihn besonders leitete – die Liebe hatte ihn ja erzeugt. Plötzlich blieb er stehen und lauschte, denn wie Klänge einer vom Lufthauch bewegten Äolsharfe schlugen die Töne von Annas Piano an sein Ohr.

      »Sie ist noch wach!«, flüsterte der junge Mann, und noch leiser als zuvor setzte er mit klopfendem Herzen seinen Weg fort. Eine Minute später betrat er sein Zimmer.

      Anna hatte sich heute früher als sonst in ihr Zimmer zurückgezogen; ohne sich deutlich bewusst zu sein, warum, sehnte sie sich nach Einsamkeit; sie fühlte keine Neigung zur Unterhaltung. Um ihren Gedanken eine bestimmte Richtung zu geben, ergriff sie die Gedichte ihres Lieblingsdichters Matthisson und suchte sich in dessen Poesie zu versenken; aber wie Nebelgestalten schwankten die Buchstaben vor ihren Augen; sie las die Verse, ohne dass sich ein Begriff in ihr gestaltete. Unwillig mit sich selbst legte sie das Buch wieder beiseite und sah durch das geöffnete Fenster in die prachtvolle Mainacht hinaus. Aber auch die Poesie des gestirnten Himmels, der sich rein und klar über der ruhigen Stadt ausspannte, vermochte heute keinen Eingang bei dem jungen Mädchen zu finden; ihr sonderbar verwandeltes Herz fand nirgends Befriedigung, es zeigte sich widerspenstig und eigensinnig wie noch nie. Anna warf sich in die Ecke des Sofas, legte ihr reizendes Köpfchen in das schwellende Kissen desselben und betrachtete gedankenlos das Spiel eines Nachtfalters, der durch das offene Fenster Eingang gefunden hatte und in stets engeren Kreisen um das Licht flatterte. In dieser Situation traf sie eine Magd an, die, ein zusammengerolltes Papier in der Hand tragend, leise die Tür öffnete.

      »Was bringst du?«, fragte Anna, ohne ihre Stellung zu verändern.

      »Ein Papier von Herrn Franz«, war die Antwort der Magd.

      »Gib!«, rief das junge Mädchen eifrig, in dem es rasch aufstand und die Papierrolle ergriff.

      »Haben Sie noch einen Auftrag für mich, Fräulein?«

      »Für heute nicht; morgen früh jedoch möchte ich um fünf Uhr geweckt werden.«

      »Soll geschehen. Gute Nacht!«

      »Gute Nacht!«

      Als ob Anna sich fürchtete, das Papier zu öffnen, blieb sie einige Augenblicke unschlüssig in der Mitte des Zimmers stehen; ein leichtes Zittern hatte ihren ganzen Körper ergriffen und die Leere in dem widerspenstigen und eigensinnigen Herzchen von vorhin schien plötzlich ausgefüllt zu sein. Langsam trat sie endlich zu dem Tisch, auf dem das Licht brannte, löste die Schleife des roten Bändchens, das um das feine Velinpapier geschlungen war, und öffnete die Rolle. Doch kaum hatte sie den Blick auf die erste Zeile geworfen, als der Schmetterling, der sich an dem Licht beide Flügel verbrannt hatte, prasselnd auf den Tisch fiel. Erschrocken bebte sie zurück und das Papier entsank ihren Händen.

      Der Sturz des unglücklichen Tieres hatte das arme Mädchen völlig außer Fassung gebracht; es bedurfte einiger Minuten, ehe die Erschrockene sich wieder erholte; dann ergriff sie abermals das Papier. Mit stets wachsender Aufmerksamkeit las sie nun die schön geschriebenen Zeilen und mehr als einmal rief sie aus: »Vortrefflich, wunderschön!« Nachdem sie das Gedicht gelesen hatte, nahm sie ihren Platz auf dem Sofa wieder ein. Jetzt starrte sie aber nicht gedankenlos in das Licht, sie hatte einen reichen Stoff zum Nachdenken. Unwillkürlich stellte sie Vergleiche an zwischen den beiden jungen Männern, die an dem vor ihr liegenden Gedicht gearbeitet hatten. Leider fielen diese Vergleiche nicht zum Vorteil des Kopisten aus, so viel Kunst und Geschmack er in den Schriftzügen auch

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