Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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bin ich arm«, fuhr der junge Mann fort und seine Augen wurden trübe, »so arm, dass ich oft mit Entbehrungen zu kämpfen habe, doch seit Sie mich gelehrt haben, mich selbst zu erkennen, fühle ich mich wie ein Krösus. Die Schätze, die mir der Himmel verliehen hat, kann mir niemand rauben; durch sie will ich meiner armen Mutter das Alter zu verschönern suchen!«

      »Brav, Richard«, sprach der Greis, »Sie sind ein guter, wackerer Sohn! Wie werden Sie das Gedicht fertigen?«, fügte er betonend hinzu.

      »Als ob ich es für meinen eigenen Vater schriebe.«

      »Der Himmel stärke Sie in Ihrem Vorsatz. Jetzt gehen Sie zu Ihrer Mutter!«

      Mit einem herzlichen Handschlag schieden die beiden Männer. Richard ging in das Zimmer seiner Mutter, die er zu seiner Freude außerhalb des Bettes antraf, und der greise Wilibald setzte sich, nachdem er seine Tür verschlossen hatte, wieder an seine Arbeit.

      Im Haus des Herrn Hubertus herrschte bereits vollkommene Ruhe, der Haupteingang des Vordergebäudes war geschlossen und die große Laterne im Hof ausgelöscht; nur in dem Kontor des Erdgeschosses, dessen Fenster zum Hof hinausgingen, flimmerte noch ein Licht. Franz, der erste Kommis und Geschäftsführer des Fabrikherrn, saß hier an seinem Pult und arbeitete. Die großen Register und Rechnungsbücher waren beiseite geschoben; statt ihrer hatte der junge Mann eine französische Grammatik vor sich, die seine ganze Aufmerksamkeit fesselte.

      Die Stille, die in dem großen gewölbten Zimmer herrschte, wurde plötzlich durch das Eintreten eines alten Mannes unterbrochen: Es war Kaleb, der alte bewährte Kassierer des Herrn Hubertus, der sich zur Ruhe begeben wollte und vorher, seiner Gewohnheit gemäß, noch einmal die Runde durch die Geschäftszimmer machte, um sich zu überzeugen, dass die Fensterläden und Büros ordentlich verschlossen waren. Erstaunt blieb der alte Diener an der Tür stehen, als er den fleißigen Arbeiter sah. Dieser schien den Eingetretenen nicht bemerkt zu haben, denn er wandte keinen Blick von seinem Buch ab und fuhr in seinem Studium ruhig fort.

      »Wie, Herr Franz«, sprach Kaleb näher tretend, »es ist elf Uhr in der Nacht und Sie arbeiten noch? Ei, ei, was haben Sie denn für eine wichtige Arbeit? Kann ich helfen?«

      »Sie sind es«, antwortete der junge Mann lächelnd, indem er aufblickte und dem Fragenden die Hand reichte.

      »Ich will nicht stören«, fuhr der Greis fort, »ich werde mich sogleich zur Ruhe begeben, denn morgen muss ich eine Stunde früher aufstehen, um die Vorbereitungen für Herrn Hubertus’ Geburtstag zu treffen. Doch auch Sie sollten dies bedenken und Ihre Arbeit für heute beenden.«

      »Der Geburtstag des Herrn Hubertus ist es eben, lieber Kaleb, der mich noch wach hält. Ich habe bis jetzt für Fräulein Anna gearbeitet, die ihren Vater morgen früh durch ein Gedicht überraschen will. Ich repetiere nur noch einige Regeln der französischen Grammatik, dann gehe ich auch zu Bett.«

      »Ein Gedicht!«, rief der greise Kaleb eifrig und rieb sich dabei freudig die Hände, »sind Sie auch Dichter? Ah, ich begreife – die Liebe hat Sie begeistert.«

      »Ach nein«, antwortete Franz seufzend, »ich bin ein höchst prosaischer Mensch; mein ganzes Verdienst besteht darin, dass ich die Verse sauber abgeschrieben habe.«

      »So! Wer aber ist der Dichter?«

      »Ich weiß es nicht. Fräulein Anna bat mich, die Reinschrift zu besorgen, und Sie wissen …«

      »… dass sie sich an den rechten Mann gewendet hat«, fiel Kaleb rasch ein, »denn Sie haben in der Tat eine prachtvolle Handschrift. Ja, ja, man sehe nur unsere Bücher an – eine wahre Musterarbeit; ich freue mich, sooft ich sie in die Hand nehme!«

      »Die schönen Buchstaben und Zahlen nützen aber nicht viel; ich wünschte nur, dass sie unser Geschäft förderten.«

      »Eine richtige und genaue Buchführung fördert stets das Geschäft!«

      »Aber nicht den Absatz der Waren. Wissen Sie, wie die Einnahmen dieses Monats zu den Ausgaben stehen?«

      »Nun«, fragte Kaleb mit befürchtender Miene.

      »Wie eins zu drei! In einigen Tagen ist Monatsende, und immer laufen nur Briefe, aber keine Gelder ein. Dieser Umstand liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen; ich wage nicht, ihn Herrn Hubertus, der kaum von seiner schweren Krankheit genesen ist, mitzuteilen, und doch bin ich dazu gezwungen, da ich der Kasse kein Geld überliefern kann.«

      »O mein Gott«, rief Kaleb und der Zorn schwoll die Adern seiner Stirn, »das sind nun die Folgen der Revolution, das sind die Früchte der errungenen Freiheit! Handel und Wandel stocken, kein Mensch will sein Geld hergeben, weil er fürchtet, es selbst gebrauchen zu müssen, einer traut dem andern nicht und die Kapitalisten vergraben ihr Geld, weil sie dem Frieden nicht trauen. Es ist ja ganz natürlich, dass der Geschäftsmann zugrunde gehen muss, da der Kredit fehlt. Ach, mein armer Herr wird von Neuem krank, wenn er diese trostlose Nachricht erhält! Nein, lieber Franz, er darf sie noch nicht erfahren; wir müssen Rat schaffen, um vorderhand die Ausgaben zu decken; vielleicht gehen die Gelder im nächsten Monat ein. Welch eine Schande für unsere Firma, wenn die Fabrikarbeiter den Lohn nicht vollständig erhielten! Seit der unglücklichen Märzrevolution herrscht ohnehin ein eigener Geist unter diesen Menschen; der Lohn ist ihnen zu gering und die Arbeitszeit zu lang. Wenn das so weitergeht und die sogenannten Fortschritte nicht gehemmt werden, fordern die Arbeiter bald doppelten Lohn, gehen nach Belieben ihren Vergnügungen nach und die Fabrik muss geschlossen werden.«

      »So weit wird es nun nicht kommen«, meinte Franz; »der Mangel wird die Leute, die unsere Zeit nicht richtig auffassen, schon wieder zur Arbeit zurückführen.«

      »O es wird noch weiter kommen!«, rief Kaleb, durch diesen Einwurf gereizt. »Haben Sie den langen Natzi und den einäugigen Fritz, unsere besten Arbeiter, heute gesehen?«

      »Nein.«

      »Sie trugen eine weiße Binde am Arm, eine Muskete mit Bajonett auf der Schulter und einen Säbel mit messingnem Griff an der Seite. Statt um sieben Uhr, wenn die Fabrik geschlossen wird, zu ihren Weibern und Kindern zu gehen, sind sie auf den Exerzierplatz gegangen, um sich in den Waffen zu üben. Was soll denn daraus werden, wenn jeder Lump Waffen tragen darf? Wir kommen in die Zeiten des Faustrechts zurück, in der die Gesetze keine Gültigkeit mehr haben; die rohe Kraft übt die Gewalt aus und der ehrliche Mann wird zu Tode geprügelt. Ja, mein junger Freund, dahin kommt es, wenn nicht bald eine Änderung eintritt.«

      »Beruhigen Sie sich, sie wird eintreten«, sprach Franz lächelnd über den entrüsteten Alten.

      »Ja, sie wird eintreten«, wiederholte er mit gedehnten Worten, »aber wenn es zu spät ist! Die Regierung hat sich einschüchtern lassen; sie wagt jetzt schon nicht mehr, energisch aufzutreten, sonst würde sie dieses Unwesen mit den Volksversammlungen nicht dulden, in denen müßige, exaltierte Köpfe Reden halten und die dummen Arbeiter ebenfalls exaltieren, dass sie an ihre Brotherrn unverschämte Forderungen richten. Achten Sie einmal auf die Unterhaltungen unserer Leute in den Arbeitssälen: Demokratie, Demonstration, Proletariat und Volksbewaffnung – Worte, die diese Menschen gar nicht kennen sollten – kommen in einer Minute zehn Mal über ihre Lippen. Und nun noch die Menge Flugblätter, die seit der Aufhebung der Zensur erscheinen, um die Proletarier aufzuklären, das heißt, gegen die Regierung aufzuhetzen – nein, mein bester Franz, es konnte nicht anders kommen, der Geschäftsmann muss zugrunde gehen. Wäre ich Herr Hubertus, ich würde die Fabrik so lange schließen, bis das Gesetz seine volle Geltung wiedererlangt hätte und Treue und Glauben unter die Menschen zurückgekehrt wäre.«

      »Herr

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