Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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      Anna winkte dem Greis; dieser aber, vom Gefühl der Dankbarkeit durchdrungen, achtete nicht darauf, ergriff die Hand Richards und sprach:

      »Richard Bertram, ein Schriftsteller mit einem schönen Talent begabt. Leider liegt es jetzt unter der Last politischer Ereignisse begraben; ich hege indes die feste Hoffnung, dass es sich bald eine schöne Geltung verschaffen wird.«

      »Mein Herr«, antwortete Anna, ihre Fassung nur mit Mühe behauptend, »als eine Verehrerin der Dichtkunst schätze ich mich glücklich, einen ihrer Jünger kennenzulernen; erlauben Sie mir, dass ich Ihnen die ausgesprochene Hoffnung des Herrn Wilibald als meinen herzlichsten Wunsch zu erkennen gebe.«

      Richard vermochte nur: »Mein Fräulein« zu stammeln und sich tief, wie vor einer Königin, zu verbeugen. Sein Anzug war, obwohl ärmlich, dennoch sauber und ganz geeignet, die schlanke, kräftige Gestalt in einem vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen. Das feine weiße Gesicht des jungen Mannes war in diesem Augenblick mit einer Purpurröte übergossen, die von einer ungewöhnlichen Bewegung seines Innern zeugte; sein langes braunes Haar hing in natürlichen Locken auf die Schultern herab, und das große blaue Auge haftete wie angewurzelt auf dem Boden. Die Gegenwart des jungen Mädchens, das Richard zwar schon gesehen, aber nicht gesprochen hatte, schien ihn außergewöhnlich zu berühren, denn er war seiner so wenig Herr, dass er die Regeln des Anstandes und eine passende Antwort auf Annas freundliche Anrede völlig vergaß.

      Obgleich Anna bei dem Anblick des jungen Mannes nicht minder verwirrt war, so hatte sie doch zu viel Takt, um sich ganz von dem Eindruck bemeistern zu lassen. Ein seltsames Gefühl, dessen Ursprung sie im ersten Augenblick in dem Mitleid suchte, das sie für den armen, jungen Mann empfand, hatte sich ihrer Brust bemächtigt, denn dass es mehr sei, konnte sie nicht glauben, da sie ihn erst einige Male flüchtig gesehen hatte. Annas Mitleid war zu groß mit dem verlegenen Richard, als dass sie ihn länger in dieser peinlichen Lage lassen konnte; mit dem artigen Ton einer gebildeten Dame unterbrach sie die eingetretene Stille, noch ehe es Herr Wilibald vermochte, der schon Miene dazu machte.

      »Mein Herr«, sprach sie, »in einigen Tagen ist der Geburtstag meines Vaters. Ich gedenke ihn dieses Jahr festlicher zu begehen als sonst, da er seit kurzer Zeit von einer schweren Krankheit genesen ist: Würden Sie mir wohl zu diesem Zweck ein passendes Gedicht liefern?«

      »O wie gern!«, stammelte Richard und sein Auge blickte ermutigt empor; doch wie von dem Strahl einer mächtigen Sonne geblendet, schlug er die Blicke wieder zu Boden, denn er hatte in Annas liebliche Augen geschaut, die voll unaussprechlicher Milde und Empfindung auf ihn gerichtet waren. Auch das junge Mädchen, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, bebte zurück – weshalb, wusste sie sich nicht zu erklären; sie fühlte nur, dass ihr ganzes Gesicht wie Feuer brannte und dass ihr Blut heftiger in den Adern pulsierte als sonst.

      Auch diesmal trat die Zeit als Vermittlerin auf, denn die Uhr der nahen Pfarrkirche kündigte die Mittagsstunde an.

      »Zwölf Uhr«, lispelte sie, »ich muss eilen! Kann ich mir vielleicht übermorgen das Gedicht von Herrn Wilibald holen oder abholen lassen?«

      »Es wird bereit sein«, antwortete Richard, indem er sich tief verneigte.

      »So leben Sie wohl, Herr Wilibald!«

      Anna reichte dem Greis die Hand, grüßte den immer noch bestürzten Richard durch eine anmutige Verbeugung und verschwand wie eine Fee durch die kleine Tür. Als Wilibald wieder öffnete, um ihr das Geleit zu geben, hörte man ihren leichten Fußtritt schon auf den unteren Stufen der Treppe.

      »Wer ist die junge Dame?«, rief Richard, als der alte Mann ins Zimmer zurückkehrte. Verwundert über den Ton blickte dieser den hastig Fragenden an.

      »Ich weiß es nicht, lieber Richard.«

      »Wie, Sie wissen es nicht?«

      »Nein, alles, was ich weiß, ist, dass sie Anna heißt.«

      »Wie kommt es aber, dass Sie öfter Besuche von ihr erhalten? Wenn ich nicht irre, sah ich sie auch gestern in Gesellschaft einer älteren Dame bei Ihnen?«

      »Sie haben sich nicht geirrt, mein junger Freund. Beide Damen beehrten mich schon während meiner Krankheit mit ihrem Besuch. Ich bin ihnen zu hohem Dank verpflichtet.«

      »Aber mein Gott«, rief Richard ungeduldig und verwundert zugleich, »wissen Sie denn nichts weiter als ihren Namen?«

      »Nur den Namen und dass sie ein Engel von Herzensgüte ist.«

      »Sie ist ein Engel in jeder Beziehung«, rief Richard wie begeistert. »Haben Sie die himmlisch schönen Züge gesehen?«

      »Ja«, antwortete Wilibald.

      »Die göttlichen Augen, in denen die Engelsseele des Mädchens lag?«

      »Ja.«

      »Und die schöne weiße Stirn, den Sitz der Unschuld und Tugend?«

      »Ja.«

      »Und das braune Lockenhaar, das wie Wellen das reizendste Gesicht der Erde umspielte?«

      »Richard«, sprach der Alte lächelnd, »dies alles haben Sie mit einem Blick wahrgenommen? Denn soviel ich weiß, haben Sie nicht mehr als einen Blick auf die Jungfrau gerichtet.«

      »Es ist wahr«, antwortete Richard mit leuchtenden Augen, »nur einen Blick, aber er traf das Ideal meiner Träume, meiner Dichtungen; ich sah das Madonnenköpfchen nicht zum ersten Mal!«

      »Wie mir scheint, wird Ihnen das aufgetragene Geburtstagsgedicht gelingen, denn der erforderliche Grad von Inspiration ist vorhanden.«

      »Noch heute gehe ich an die Arbeit!«

      »O mein Gott«, seufzte der Greis leise vor sich hin, indem er an das offene Fenster trat, »auch ich war einst so glücklich, von einem Ideal begeistert zu sein; die feuchten Mauern des Kerkers verlöschten aber das Feuer des Jünglings, der geträumte Himmel wurde durch die Wahrheit der Hölle zertrümmert und ich erwachte, um lebendig unter dem Elend der Erde begraben zu werden.«

      Richard saß wie träumend auf dem Stuhl, auf dem zuvor Anna gesessen hatte; er schien alles um sich her vergessen zu haben und bemerkte darum den alten Wilibald nicht, der mit düsteren Blicken in die Wolken hinausstarrte. Der junge Mann schwärmte in der Gegenwart, der Greis gedachte mit einem bitteren Gefühl der Vergangenheit.

      »Junger Freund«, begann Wilibald plötzlich, als ob er seine Gedanken redend fortsetzte, »steigen Sie herab aus Ihrem Himmel und kehren Sie zur Erde zurück, denn sie erschließt Ihnen eine hoffnungsreiche Zukunft. Der Alb, der die Geister drückte, ist verjagt und mit ihm die Finsternis, die uns umfangen hielt, uns, die wir jetzt Greise sind. Wir durften nur das zu hoffen wagen, was nicht außer dem Bereich der Knechtschaft lag und die künstlich gestalteten Verhältnisse erlaubten; Ihnen aber ist das Geschick in die Hand gelegt, der Geist darf sich eine Bahn brechen und frei nach seinem Ideal ringen. Darum Mut, mein Freund, und gehören Sie der Erde an, die im ersten Morgenrot der jungen Freiheit zittert. Der Träumer ist ein Verräter an sich selbst!«

      »Würdiger Freund«, rief Richard, »Sie haben recht! Meine Mutter, meine arme Mutter wurde ein Opfer der Verhältnisse, ich will es nicht werden! Noch bin ich jung, noch sind Körper und Geist voller Kraft, sich diesen Verhältnissen entgegenzustemmen, sie zu überwinden und eigene zu schaffen. Mein Mut und meine Überwindung sollen meine Mutter rächen!«

      »Ihre

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