Unheilige Heilige. Nadia Bolz-Weber

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Unheilige Heilige - Nadia Bolz-Weber

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stehen haben. Die Vorstellung fühlte sich falsch an, dass ihr Name dort auf dem Tisch läge, beleuchtet von der Passakerze2 daneben, zusammen mit den Namen des heiligen Franziskus und Cesar Chávez´. Ich will, dass Rassisten in ihrer „Rassistenschublade“ bleiben. Wenn sie anfangen, sich in die „Heiligenschublade“ hinüberzuschleichen, macht mich das nervös. Aber so läuft das nun einmal. An Allerheiligen bekomme ich es mit kniffligen Widersprüchlichkeiten zu tun, mit Heiligen, die böse waren, und Sündern, die gut waren.

      Ich persönlich finde es irgendwie wichtig, den Unterschied zwischen einem Rassisten und einem Heiligen zu kennen. Aber wenn Jesus immer wieder so Sachen sagt wie, die Letzten werden die Ersten sein, und die Ersten werden die Letzten sein, und die Armen sind glücklich, und die Reichen sind verflucht, und Prostituierte sind willkommene Gäste beim Abendessen, dann muss ich mich fragen, ob unser Bedürfnis danach, Schwarz und Weiß säuberlich voneinander zu trennen, vielleicht gar nicht dem Glauben entspricht, sondern sogar eine Sünde ist. Wenn wir wissen, in welche Kategorie Schierling gehört, dann hilft uns das sicher, zu entscheiden, ob wir gefahrlos davon trinken können oder nicht. Aber zu wissen, in welche Kategorie wir uns selbst und andere einsortieren sollten, hilft uns überhaupt nicht dabei, Gott so gut kennenzulernen, wie die Kirche ihn oft zu kennen behauptet.

      Und überhaupt habe ich die Erfahrung gemacht, dass nicht unsere eigene Fähigkeit, heilig zu leben, uns zu den Heiligen Gottes macht, sondern Gottes Fähigkeit, durch Sünder zu wirken. Der Titel „Heiliger“ wird immer verliehen, niemals verdient. Oder um es mit dem Apostel Paulus zu sagen: „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“ (Philipper 2,13). Mir ist klar geworden, dass alle Heiligen, denen ich je begegnet bin, aus Versehen dazu geworden waren. Es sind Leute, die unversehens in die Erlösung hineinstolpern, so als wären sie gerade auf der Suche nach etwas ganz anderem gewesen. Leute, die ein kleines Problemchen mit dem Alkohol haben und es schaffen, nüchtern zu werden, und dann anderen dabei helfen, es ebenso zu schaffen. Leute, die gleichermaßen freundlich und feindselig sind.

      Neben Alma befand sich auf unserem Allerheiligen-Tisch eine Ikone von einem anderen zufälligen Heiligen: Harvey Milk. Er wurde als erste Person, die sich zu ihrem Schwulsein bekannte, in Kalifornien in ein öffentliches Amt gewählt und 1978 von einem anderen städtischen Beamten erschossen. Auf unserer Ikone hatte Harvey Milk fünf silberne Einschusslöcher in der Brust und stand mit einem goldenen Heiligenschein auf dem Kopf vor der Golden-Gate-Brücke. Ein Künstler aus unserer Gemeinde, Bill McConnell, hatte die Ikone gestaltet. Später rief er mich an, weil jemand ihn zur Rede gestellt hatte, weil er eine christliche Heiligendarstellung von jemandem geschaffen hatte, der gar kein Christ war.

      Ich erklärte Bill, dass wir die Heiligen nicht wegen ihrer Frömmigkeit oder Vollkommenheit feiern, sondern weil wir an einen Gott glauben, der in dieser Welt rettende und heilige Taten ausgerechnet durch Menschen vollbringen lässt, die allesamt mit Fehlern behaftet sind.

      Daran glaube ich wirklich. Und doch konnte ich, nachdem ich aufgelegt hatte, an nichts anderes denken als daran, wie schwer es mir fällt, zu glauben, dass das, was für Alma White oder Harvey Milk gilt, auch für mich gelten könnte – dass Gott mich vielleicht gebrauchen kann, obwohl ich doch in so vieler Hinsicht für die Arbeit, die ich tue, völlig ungeeignet bin.

      Doch das ist meine Erfahrung. Ich mache immer wieder Fehler, sogar immer wieder dieselben. Ständig versuche ich (vergeblich), mir Gott und meine Mitmenschen auf Armeslänge vom Leib zu halten. Ich sage nein, wenn ich ja sagen sollte. Ich sage ja, wenn ich nein sagen sollte. Ich platze in heilige Momente hinein und merke gar nicht, wo ich bin, bis sie vorbei sind. Es fällt mir schwer, anderen Liebe zu zeigen, und dann sage ich aus Versehen das Richtige im richtigen Moment, ohne es zu merken. Ich vergesse, worauf es ankommt, und zeige wieder Freundlichkeit, wenn sie gebraucht wird, um dann erneut allzu oft auf dem Absatz kehrtzumachen und nur an mich selbst zu denken.

      Ich bin und bleibe einfach ein Mensch, an dem Gott arbeitet. Und um ehrlich zu sein, ich bemühe mich nicht einmal darum. Ich bewundere Leute, die sich „geistlichen Übungen“ unterziehen, die durch Yoga oder Meditation oder Stille Zeit für ihr Wohlbefinden sorgen, aber außer dass ich jeden Morgen im Fitnessstudio richtig schwere Gewichte pumpe, fallen mir ehrlich gesagt keine Übungen ein, die ich mache, um geistlicher zu werden. Allerdings kann ich endlos davon erzählen, wie ich durch die Bibel, die kirchlichen Bräuche und das Volk Gottes – kurz, durch den Glauben – immer wieder auf den Pott gesetzt werde.

      Kürzlich fragte mich ein junger Seminarstudent während einer Fragestunde: „Pastorin Nadia, was tun Sie persönlich, um Gott näher zu kommen?“

      Bevor ich selbst merkte, was ich da sagte, erwiderte ich: „Was? Nichts. Kommt mir vor wie ein schauderhafter Gedanke, Gott näher kommen zu wollen.“ Oft wäre es mir am liebsten, er würde mich in Ruhe lassen. Gott näher kommen, das könnte ja bedeuten, dass er mir aufträgt, jemanden zu lieben, den ich überhaupt nicht leiden kann, oder noch mehr von meinem Geld abzugeben. Es könnte ja bedeuten, dass mir irgendein lieb gewordener Gedanke oder Traum weggerissen wird.

      Mein geistliches Leben ist besonders in solchen Momenten aktiv, in denen ich merke, dass Gott vielleicht durch mich etwas Schönes vollbracht hat, obwohl ich ein Arschloch bin. In Momenten, in denen mir die Barmherzigkeit des Evangeliums so sehr vor Augen steht, dass ich meine Feinde nicht hassen kann, und in denen ich unfähig bin, die Sünde eines anderen Menschen zu verurteilen (was ich, ehrlich gesagt, liebend gern tue), weil mir mein eigener Mist zu sehr bewusst ist. In Momenten, in denen ich Zeugin des Leides eines anderen Menschen werden muss, trotz meines Verlangens, in Ruhe gelassen zu werden. In Momenten, in denen andere Menschen mir vergeben, obwohl ich es nicht verdiene, und in denen diese Anderen das tun, weil auch sie vom Evangelium gefangen sind. In Momenten, in denen in der Welt verheerende, traumatische Dinge geschehen, die ich nirgendwo einsortieren und auf die ich mir keinen Reim machen kann. Es ist gut, dass ich dann eine Gruppe von Leuten habe, die sich jede Woche mit mir trifft, damit wir in diesem Raum Worte sprechen, um unsere gemeinsame Trauer über ein Unheil wie eine Schießerei in einer Schule auszudrücken und dafür zu beten. In Momenten, in denen ich dadurch verändert werde, dass ich lerne, jemanden zu lieben, den ich mir nie aus einem Katalog aussuchen würde, den Gott mir aber über den Weg schickt, damit ich seine Liebe besser kennenlerne. Doch nichts von alledem ist das Ergebnis geistlicher Bräuche oder Übungen, so bewundernswert solche Dinge auch sein können. Sie werden aus einem Leben des Glaubens heraus geboren, einem Leben, das von Riten und von Gemeinschaft eingerahmt ist, von Wiederholung, von Arbeit, von Geben und Nehmen, von der Pflicht zur Barmherzigkeit.

      All das spiegelt sich in unserer Praxis im House for All Sinners and Saints wider. Stephen, ein Mann aus meiner Gemeinde, drückt es so aus: „Unser ‚Dienst‘ besteht aus Wort und Sakrament – alles andere entspringt daraus. Wir sehen ein Bedürfnis; wir erfüllen es. Wir bauen Mist; wir sagen, es tut uns leid. Wir bitten um Gnade und Fürbitte, wenn wir sie brauchen (fast dauernd). Jesus begegnet uns durch uns gegenseitig. Wir essen, wir beten, wir singen, wir fallen hin, wir stehen wieder auf und dann wieder von vorn. Gar nicht so kompliziert.“

      Es gibt viele Gründe, sich vom Christentum fernzuhalten. Keine Frage. Ich kann es total verstehen, wenn Leute sich so entscheiden. Das Christentum hat unsägliche Abscheulichkeiten durchgemacht: die Kreuzzüge, Sexskandale bei Geistlichen, Korruption im Vatikan, betrügerische Fernsehprediger und Clowns auf der Kanzel. Aber es wird auch uns überleben. Es wird unsere Fehler überleben, unseren Stolz und unser ausgrenzendes Verhalten gegenüber anderen. Ich glaube, dass die Kraft des Christentums nicht unterzukriegen ist – das, was die allerersten Jünger dazu brachte, ihre Netze niederzulegen und alles Vertraute hinter sich zu lassen, das, was Maria Magdalena dazu brachte, vom Grab zurückzukehren und den auferstandenen Christus zu verkündigen, das, wofür die frühen Christen sich zu Märtyrern machen ließen, und was mich bis heute bei Jesus hält (oder bei der „Arbeit für die Firma“, wie es mein Freund Paul, ein Priester der Episkopalkirche, nennt). Die Kraft der grenzenlosen Gnade, die Kraft des Evangeliums, wie wir es nennen, lässt sich nicht durch Korruption

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