Unheilige Heilige. Nadia Bolz-Weber

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Unheilige Heilige - Nadia Bolz-Weber

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klar geworden, dass er mein „konservativer Alibifreund“ sei, so wie manche Leute einen „schwarzen Alibifreund“ haben. Seine Reaktion darauf war, dass er mich ausgerechnet zu Schießübungen einlud.

      Während ich meine Fingerspitzen nach meinen Zehen reckte, antwortete mein liberales, immer für schärfere Waffengesetze eintretendes Ich voller Begeisterung: „Im Ernst? Klar habe ich Lust.“ Schließlich sollte die Politik niemals dem Spaß im Weg stehen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.

      In derselben Woche wurde George Zimmerman von dem Vorwurf des Mordes an Trayvon Martin freigesprochen.1 Mein Erlebnis mit Clayton war nur eines von mehreren in dieser Woche, die es mir praktisch unmöglich machten, mich auf den Standpunkt der liberalen Empörung und moralischen Überlegenheit zu stellen, den ich später so gerne eingenommen hätte. Manchmal stürzen das Leben und seine Mehrdeutigkeiten unsere Ideale in eine Krise.

      Ein paar Tage nach seinem Angebot sah ich Claytons untersetzte, muskulöse Gestalt auf meine Haustür zukommen. Er hatte eine schwere schwarze Tasche bei sich. Er wollte mir einen Schnellkurs im sicheren Umgang mit Waffen verabreichen, bevor wir zum Schießstand fuhren, denn ich hatte in meinem ganzen Leben noch keine Schusswaffe in der Hand gehabt. Clayton ist Texaner, Republikaner und ein großer Verfechter des zweiten Verfassungszusatzes. Aber da er auch einen Abschluss von der Texas A&M University und einen Teil seines Lebens in Saudi-Arabien verbracht hat, wo sein Vater in der Ölbranche arbeitete, bezeichnet er sich als einen „gebildeten und weitgereisten Hinterwäldler“.

      „Vier Dinge musst du wissen“, begann Clayton meine allererste Lektion in Waffensicherheit. „Erstens, geh immer davon aus, dass jede Waffe, die du in die Hand nimmst, geladen ist. Zweitens, ziele nie mit einer Waffe auf etwas, das du nicht zerstören willst. Drittens, lass den Finger vom Abzug, bis du schussbereit bist. Und viertens, kenne dein Ziel und das, was sich dahinter befindet. Eine Pistole ist im Grunde nichts anderes als ein Briefbeschwerer“, fuhr er fort. „An und für sich ist sie nur gefährlich, wenn jemand sich nicht an diese Regeln hält.“

      Ich weiß nicht genau, was die Statistik über Todesfälle durch pistolenförmige Briefbeschwerer sagt, dachte ich, aber das werde ich auf jeden Fall mal nachschlagen.

      „Okay, fertig?“, fragte Clayton.

      „Keine Ahnung“, erwiderte ich.

      Er legte eine mattschwarze Pistole und eine Schachtel Munition auf unseren Küchentisch. Es fühlte sich ungefähr genauso verboten an, als hätte er gerade ein Kilo Kokain oder einen Stapel Pornozeitschriften auf die Fläche gelegt, an der wir als Familie zusammen beten und essen.

      Ich bemühte mich, intelligente Fragen zu stellen. „Was für eine Pistole ist das?“

      „Das ist eine Vierziger.“ Als ob ich auch nur die leiseste Ahnung hätte, was das bedeutete.

      „Was ist eine Neun-Millimeter? Von denen habe ich schon öfter gehört.“

      „Das hier.“ Er hob sein T-Shirt an und zeigte mir seine versteckte Pistole.

      „Mann, du trägst dieses Ding doch wohl nicht dauernd bei dir, oder?“

      Er lächelte. „Wenn ich nicht gerade in Turnhosen oder im Schlafanzug herumlaufe, doch.“

      Später auf dem Parkplatz des Schießstandes, auf dem fast nur Pick-ups herumstanden, machte ich die scharfsinnige Bemerkung: „Nicht ein einziger Obama-Aufkleber.“

      „Komisch, was?“, grinste er.

      Wenn ich irgendwo an einem coolen Ort bin, sagen wir, in einer alten Kathedrale oder einer angesagten Eisdiele, poste ich das immer auf Facebook. Aber nicht hier. Teils, weil es Montagmorgen war und Clayton unsere Verabredung für diese Schießübung als „Arbeitstreffen“ eingetragen hatte, aber auch, weil ich keinen Ärger mit meinen Freunden oder Gemeindegliedern – fast alles Liberale – haben wollte, die mich bestimmt gefragt hätten, ob ich den Verstand verloren hätte oder von irgendwelchen Rednecks entführt worden sei.

      Als wir den Schießstand betraten, dessen Fußboden mit Patronenhülsen übersät und mit einem schwarzen Gummibelag ausgelegt war, wurden mir mehrere wichtige Punkte bewusst. Erstens: Unsere Pistolen waren geladen, und wir beabsichtigten, die Papierzielscheibe vor uns zu zerstören. Zweitens: Ich sollte meinen Finger nur dann an den Abzug legen, wenn ich vorhatte, zu schießen. Drittens: Hinter meinem Ziel befand sich eine Wand aus Gummi und Beton. Und viertens: Ich schwitzte.

      Ich hatte schon in meiner Nachbarschaft Schüsse gehört und wusste daher, dass Pistolen laut sind. Und aus Filmen wusste ich, dass es einen „Rückstoß“ gibt, wenn eine Schusswaffe abgefeuert wird. Aber heiliger Strohsack, ich hatte ja keine Ahnung, wie laut es tatsächlich war und wie es einen durchschüttelte, wenn man mit einer Pistole feuerte. Oder wie viel Spaß das macht.

      Wir ballerten ungefähr eine Stunde lang, und als wir fertig waren, sagte mir Clayton, fürs erste Mal hätte ich meine Sache ziemlich gut gemacht. (Außer, als mir eine heiße Patronenhülse in den Ausschnitt fiel und ich so blindwütig herumzappelte, dass er meinen Arm packen und die geladene Pistole in meiner Hand wieder aufs Ziel richten musste, wobei ich mir natürlich wie ein Volltrottel vorkam. Ein ausgesprochen gefährlicher Volltrottel.)

      Aber ich fand es herrlich. Ich fand es so herrlich wie eine Runde auf der Achterbahn oder mit dem Motorrad: nichts, was ich dauernd machen wollte, aber eine Aktivität, die ab und zu durchaus Spaß macht und mir das Gefühl gibt, lebendig und ein kleines bisschen lebensgefährlich zu sein.

      „Können wir das nächste Mal Skeet schießen?“, fragte ich begierig, als wir uns an dem mit Tarnmuster bemalten Fronttresen unsere Ausweise abholten. Der ganze Laden sah aus wie ein Jagdunterstand. So, als ob die jungen Pickelgesichter, die dort arbeiten, eine Deckung brauchten, falls irgendetwas Gefährliches oder Schmackhaftes zur Tür hereinkam, damit sie es gefahrlos abknallen könnten.

      Auf dem Weg zurück zu mir nach Hause schlug ich vor, anzuhalten und uns ein paar Papusas zu holen (gefüllte salvadorianische Maiskuchen), damit wir beide an diesem Montag eine neue Erfahrung machen würden.

      Wir setzten uns auf zwei der fünf Hocker am Fenster bei Tacos Acapulco – mit Blick hinaus auf die Wechselstuben und die mexikanischen Panaderias am East Colfax Boulevard –, und ich nutzte die Gelegenheit, um eine Frage zu stellen, die mir unter den Nägeln brannte: „Sag mal, warum in aller Welt willst du die ganze Zeit eine Pistole mit dir herumtragen?“ Ich war noch nie bewusst einem Knarrenträger so nah gewesen und sah meine Chance, nach etwas zu fragen, worauf ich schon immer neugierig gewesen war. Ich konnte nur hoffen, dass er meine Frage nicht so empfand, wie es unsere schwarze Freundin Shayla empfindet, wenn Leute sie fragen, ob sie mal ihren Afro berühren dürfen.

      Während er versuchte, mit seiner Gabel den geschmolzenen Käse zu bändigen, der sich partout nicht von der Papusas lösen lassen wollte, sagte er: „Um mich verteidigen zu können und aus Stolz auf mein Land. Wir haben dieses Recht, also sollten wir es auch ausüben. Und wenn jemand uns etwas tun wollte, während wir hier sitzen, könnte ich ihn unschädlich machen.“

      Es war für mich eine völlig fremde Weltsicht: dass Leute bei jedem Schritt mit der Möglichkeit rechnen, dass jemand versuchen könnte, ihnen etwas anzutun, und sich deswegen eine Pistole umschnallen und damit durch Denver ziehen. Ich konnte das weder verstehen noch gutheißen. Aber Clayton ist nun mal mein konservativer Alibifreund. Ich kann ihn gut leiden, und schließlich hatte er sich die Mühe gemacht, mit mir auf den Schießstand zu gehen. Also beließ ich es dabei.

      In derselben Woche, in der ich mit Clayton Schießen übte, feierten

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