Unheilige Heilige. Nadia Bolz-Weber

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Unheilige Heilige - Nadia Bolz-Weber

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Sache mit dem Christentum aus dem Effeff beherrscht – jemand, zu dem andere aufblicken können wie zu einem Paradebeispiel der Rechtschaffenheit. Aber so verlockend es sich manchmal anfühlen kann, diejenige zu sein, die die beste Christin ist, die am engsten „Jesus nachfolgt“, diesen Schuh konnte ich mir einfach noch nie anziehen, und das ist es auch nicht, was meine Gemeindeglieder von mir brauchen. Ich renne nicht Jesus nach. Jesus ist mir auf den Fersen. Ja, ich bin eine Leiterin, aber ich leite die Leute doch nur hinaus auf die Straße, wo sie dann von dem rasenden Bus der Beichte und Absolution, der Sünden und der Heiligung, des Todes und der Auferstehung erfasst werden – von dem Evangelium Jesu Christi. Ich bin eine Leiterin, aber nur dadurch, dass ich sage: „Ach, scheiß drauf. Ich gehe als Erste.“

      Am nächsten Tag stand ich im rötlichen Abendlicht in dem Gemeindesaal, in dem sich das House for All Sinners and Saints versammelt, und gestand all dies meiner Gemeinde. Ich sagte ihnen, dass ich aus einer Million Gründen gerne eine prophetische Stimme für Veränderung wäre, aber jedes Mal, wenn ich es versuche, steht mir meine eigene Verkorkstheit dabei im Weg. Ich sagte ihnen, dass ich nicht als Vorbild für irgendetwas tauge, außer dafür, auf Jesus angewiesen zu sein.

      Als ich zum ersten Mal eingeladen wurde, auf dem Festival of Homiletics, einer landesweiten Predigerkonferenz, einen Vortrag übers Predigen zu halten, sollte ich darüber sprechen, wie im House for All Sinners and Saints gepredigt wird. Ich wusste nicht recht, was ich dazu sagen sollte. Also fragte ich meine Gemeinde. Ihre Antworten waren voller Leidenschaft, aber keine davon hatte damit zu tun, wie toll sie es fänden, dass ihre Predigerin so ein großartiges Vorbild für sie sei. Nicht einer sagte, er sei begeistert von all den praktischen Lebenstipps in den Predigten, wie man an seiner Ehe arbeiten und sie stärken könne. Dagegen sagten fast alle, sie fänden es schön, dass ihre Predigerin ganz offensichtlich genau die Worte verkündigt, die sie selbst braucht, und alle anderen einfach dabei mithören lässt.

      Mein Freund Tullian drückt es so aus: „Die am besten qualifizierten Leute, um das Evangelium zu verkündigen, sind diejenigen, die wirklich wissen, wie unqualifiziert sie dafür sind, das Evangelium zu verkündigen.“

      Jesus hat nie seinen Blick durch den Raum schweifen lassen, um das beste Vorbild für einen heiligen Lebenswandel zu finden und diese Person dann auszusenden, damit sie anderen von ihm erzählt. Er hat immer die Strauchler und die Sünder geschickt. Das tröstet mich.

      Walspucke im Superdome

      Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren und dem Herrn aus den Augen zu kommen.

      – Jona 1,1-3

      Als die lutherische Konfession, zu der wir gehören, mich einlud, auf ihrem Nationalen Jugendtreffen 2012 in New Orleans vor 35 000 Jugendlichen und Erwachsenen zu sprechen, sagte ich nein danke. Ich habe Jugendliche noch nie als mein Publikum gesehen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Jugendliche mich nicht cool finden. Leute im mittleren Alter meinen zwar immer, dass Jugendliche mich doch cool finden müssen, aber das ist etwas anderes. Sicher, ich sehe nicht so aus wie die typische respektable Frau von Mitte vierzig, und ich benehme mich auch nicht so, aber wahrscheinlich finden mich nur Leute, die älter sind als ich, besonders hipp. Ich weiß das, und deshalb sagte ich nein danke. Zweimal.

      Außerdem habe ich kein „Herz für die Jugend“. Manche Leute, mein Mann und meine Freundin Kristen zum Beispiel, lieben Kids. Aber mir ist es einfach lieber, wenn ich keine Zeit mit Jugendlichen verbringen muss (es sei denn mit meinen eigenen Kindern, die ich vergöttere und die mich zum Lachen bringen und die einfach großartig sind). Und vor allem ist es mir lieber, wenn ich mich nicht vor Zehntausende von ihnen hinstellen muss. Wäre ich Jona, so wären Jugendveranstaltungen mein Ninive. Ich will nur in Tarsis Rednerin sein.

      Das Team vom Jugendtreffen mailte mir zurück: „Oh nein, Nadia, wir haben doch nie Leute aus der Jugendarbeit als Hauptredner bei diesen Veranstaltungen. Wir holen uns immer berühmte Sportler, Stars von CNN, Desmond Tutu …“

      Desmond Tutu?, schoss es mir durch den Kopf. Ja klar, nach dem bin natürlich gleich ich an der Reihe. Aber ich antwortete lediglich: „Damit überzeugt ihr mich nicht gerade, dass ich die richtige Person bin.“

      Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Also, eigentlich wollen wir am ersten Abend des Treffens mit guter alter lutherischer Theologie einsteigen. Wir haben selten echte Lutheraner auf der Hauptbühne, und wir möchten gern, dass die Kids gleich zu Anfang der Veranstaltung mal ein anderes Bild davon bekommen, wie Lutheraner aussehen. Und wir wünschen uns eine starke Gnadenbotschaft.“

      Das saß. Der Fremdenverkehrsausschuss von Ninive hat gesiegt. Ich sagte Ja.

      Ein paar Monate, nachdem ich die Einladung angenommen hatte, fand ich heraus, dass ich nicht allen Beteiligten dort willkommen war. Auch dass Andrena Ingram eingeladen worden war, eine afroamerikanische lutherische Pastorin, die HIV-positiv ist und eine Suchtvergangenheit hat, war nicht allen recht. Offenbar waren Tausende von Eltern gewarnt worden, ihre Kinder würden womöglich gefährlichen Ideen skandalträchtiger Frauen ausgesetzt, wenn wir nicht wieder ausgeladen würden. Freilich hätte es weder den einzigartigen Anfang noch die glanzvolle Geschichte des Christentums selbst je gegeben, wenn niemand gefährlichen Ideen skandalträchtiger Frauen ausgesetzt gewesen wäre, aber sei’s drum.

      Obwohl ich der Meinung war, dass die Jugend der lutherischen Kirche sich eigentlich in der Obhut von Pastorin Ingram und Pastorin Bolz-Weber durchaus sicher fühlen konnte, trug dieses Echo nicht gerade dazu bei, meine Bedenken gegenüber einem Auftritt auf einer nationalen Jugendveranstaltung zu zerstreuen. Anfangs machte es mich wütend. Während ich also versuchte, meine Ansprache zu schreiben, war ich abgelenkt, weil ich immerzu daran denken musste, wie ich irgendeine passiv-aggressive Bemerkung darüber einflechten könnte, wie lächerlich es doch sei, dass manche Leute sich einbilden, meine Vergangenheit und mein persönlicher Stil wären irgendwie gefährlich für die heutige Jugend. Ich war ohnehin schon gebeten worden, vor den Kids keine Kraftausdrücke zu gebrauchen – so als hätten diese Jugendlichen noch nie vorher das Wort „Scheiße“ gehört und würden irreparable seelische Narben davontragen, wenn sie es von einer Pastorin bei einer Jugendveranstaltung hörten. Aber okay, dachte ich, was soll ich mich darüber aufregen.

      Am Abend vor meiner Abreise nach New Orleans saß ich mit meinem Mann Matthew, der als Pastor viel Erfahrung in der Jugendarbeit hat, meinem kleinen Sohn Judah und meiner Teenager-Tochter Harper in meinem Wohnzimmer. Da ich ein bisschen Aufmunterung für mein Selbstvertrauen brauchte, fragte ich sie, wie sie meinen geplanten Einstieg in den Vortrag fanden.

      Ich trug ihnen die ersten Zeilen vor: „Manche Leute finden, ich sehe nicht sehr lutherisch aus, wegen der Tattoos, aber dann zeige ich ihnen, dass ich auf meinem linken Arm das ganze Kirchenjahr eintätowiert habe, von Advent bis Pfingsten. Lutherischer geht’s ja wohl nicht!“ Alle starrten mich schweigend an, bis mir klar wurde, dass nur unser Hund auf meiner Seite war.

      „Jugendliche werden das nicht witzig finden“, meinte Matthew schließlich, „und möglicherweise verstehen sie noch nicht einmal, wovon du redest.“

      Worauf unsere Tochter hinzufügte: „Ja, das ist irgendwie doof.“ (Okay, vielleicht vergöttere ich meine eigenen Kids doch nicht so sehr.)

      Ich zog eine finstere

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