Unheilige Heilige. Nadia Bolz-Weber

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Unheilige Heilige - Nadia Bolz-Weber

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ich kann Jesus nicht abschütteln, obwohl ich es schon versucht habe. Das Evangelium, diese Geschichte von einem Gott, der durch Jesus zu uns gekommen ist, der uns grenzenlos liebt und uns rückhaltlos vergibt und sagt, dass wir die Kraft haben, das Gleiche zu tun, lässt sich nicht zerstören durch all die blöden Fehler, von denen du in den folgenden Kapiteln lesen wirst. Es sind meine Fehler, meine Sünden und mein Versagen, aber vielleicht sind es auch unsere. Und auch die Erlösung ist unsere. Denn wenn Alma White das Licht nicht zerstören kann, das in ihre Dunkelheit hineinleuchtet, dann können wir es vielleicht auch nicht.

      Auf diesem Allerheiligen-Tisch, zwischen dem Korb mit den Heiligenplätzchen und der Karte mit dem Namen von Alma White, stellten wir unsere erste Passakerze auf, die wir kürzlich in der katholischen Buchhandlung erstanden hatten. Während der Osterwache und immer wieder während des kommenden Jahres würden wir sie verwenden, um die Gegenwart Christi in unserer Mitte zu symbolisieren.

      In jenem Jahr war die Kerze neu und weiß. Doch seither hat Victoria jedes Jahr unsere Passakerze aus den Überresten all der Kerzen hergestellt, die in den Gottesdiensten der vorausgegangenen Monate verwendet worden waren, sodass die Kerze in unserer Mitte, genau wie unsere Gemeinde selbst, jede Menge schöner Unvollkommenheiten an sich hat. Das Bienenwachs ist glatt und golden, aber durchsetzt mit kleinen verbrannten Dochtresten und Verunreinigungen. Wie die heruntergebrannten Überreste unserer eigenen Geschichten, die wir mit uns herumschleppen, und wie die unvollkommenen Stücke unserer Menschlichkeit, die der göttlichen Liebe, die wir auch in uns tragen, ihre Maserung geben.

      Wir werden eingeschmolzen und neu geformt, aber die verbrannten Stücke bleiben.

      Absolution für Arschlöcher

      Mein Kaffee war schon alle, als Larry endlich zu unserer Verabredung erschien. Dass er ein paar Minuten zu spät kam, war nicht so schlimm, aber es bedeutete, dass ich, als wir uns auf das Ledersofa im Untergeschoss meines Lieblingscafés in Denver setzten, nichts mehr zu trinken hatte, womit ich mich von diesem Gespräch, vor dem mir ziemlich graute, hätte ablenken können.

      „Cooler Laden!“, sagte er und ließ seinen Blick durch das Café schweifen, das aussieht wie eine Mischung aus einem Bordell und einer Bibliothek. „Ich habe nur ein bisschen länger hierhergebraucht, als ich dachte. Aber ich bin froh, dass ich hier bin. Ich hab mich riesig darauf gefreut, mit dir Kaffee zu trinken!“

      „Ich auch!“, log ich.

      Von wegen gefreut. Ich fühlte mich total unwohl. Am vergangenen Sonntag war Larry zum ersten Mal in unserem Gottesdienst gewesen und hatte mich gleich angesprochen. Er hatte mich am Arm gepackt, mich unangenehm lange mit seinen glasigen Augen fixiert und angefangen, davon zu reden, wie toll ihm meine Predigt in Red Rocks1 gefallen habe und wie begeistert er gewesen war, als er herausfand, dass er sogar in meine Gemeinde kommen konnte.

      Er redete viel über Roosevelt und die Demokratische Partei – zwei seiner Leidenschaften. Viel mehr habe ich von diesem Treffen nicht mehr in Erinnerung, außer dass ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte.

      Ich wusste nie, was ich zu Larry sagen sollte. Es kam mir vor, als käme er nur in die Gemeinde, weil er den Kontakt zu mir suchte, nicht, weil er hoffte, Verbindung zu Gott und zu anderen Menschen zu finden. Mag durchaus sein, dass ich im Blick auf seine Motive falschlag, aber so etwas ist mir unangenehm, ob es nun real ist oder nicht. Außerdem mochte ich ihn einfach nicht. Und das nicht einmal aus interessanten Gründen: Es waren bloß das Alter, das Geschlecht, die Postleitzahl, der Atem, die Hosenbundweite. Eben all die blöden Kriterien, derentwegen miese Charaktere sich über ganz normale nette Leute echauffieren, weil wir einfach elende Mistkerle sind. Also hielt ich mir Larry auf Armeslänge vom Leib und gab mir nie viel Mühe, einen Zugang zu ihm zu finden oder ihm zu helfen, mit anderen in Kontakt zu kommen. Aber bald würde es zu spät sein.

      „Hallo?“ Gott sei Dank war Caitlin gleich am Telefon.

      „Können wir uns zur Beichte und Absolution treffen? Möglichst jetzt gleich?“ Ich wünschte mir eines dieser alten Telefonkabel, die man sich um die Hand wickeln konnte. Manchmal lässt sich das Zittern aus der Stimme in die Finger ableiten, wenn man etwas hat, womit man herumfummeln kann.

      Caitlin und ich hatten uns in einem Seminar kennengelernt. Sie war genau wie ich in der Church of Christ aufgewachsen und hatte das Luthertum erst später im Leben während der Pastorenausbildung entdeckt. Aber damit erschöpfen sich die Ähnlichkeiten auch schon. Vor ein paar Jahren, als wir beide die Partys für unseren vierzigsten Geburtstag planten – ich mietete dazu eine Rollschuhbahn für eine Rollschuh-Disco-Party an, während sie mit einer kleinen Gruppe enger Freunde auf einem Hügel über der Stadt den Sonnenaufgang betrachtete –, machte ich die Bemerkung, dass der Unterschied zwischen unseren Geburtstagsfeiern ein bezeichnendes Licht auf den Unterschied zwischen unseren beiden Persönlichkeiten warf. Sie hat so viele liebenswerte Charaktereigenschaften, die mir einfach fehlen. Sie entgegnete: „Die hast du natürlich auch, Nadia, es sind bloß nicht deine Lieblingseigenschaften.“

      So ist Caitlin, und deshalb ist sie auch meine „Beichtmutter“. Sie kennt mich. Richtig gut. Und sie ist von meiner Sünde überhaupt nicht beeindruckt. Ich habe ihr schon Dinge erzählt, über die ich mit keinem anderen Menschen gesprochen habe, und sie will trotzdem noch meine Freundin sein. Nicht, weil sie so großzügig ist, sondern weil sie an die Kraft der Vergebung und der Gnade Gottes glaubt. Man könnte meinen, dass das für alle Geistlichen gilt, aber glaub mir, das tut es nicht.

      „Ein Mann aus meiner Gemeinde ist heute gestorben“, sagte ich ihr, „und ich kann nicht hingehen, um seine Frau zu trösten, bevor ich etwas richtig Ekliges gebeichtet habe.“

      „Komm rüber“, sagte sie.

      Als ich eine Stunde später in ihr Büro trat, witzelte sie: „Moment mal. Du hast ihn doch wohl nicht umgebracht, oder?“

      Nein. Umgebracht hatte ich ihn nicht. Ich hatte ihn bloß nicht leiden können, obwohl er im Gegensatz zu mir ein richtig netter Kerl war. Und jetzt war er tot, und ich musste seine Witwe trösten und wusste doch genau, dass ich überhaupt nicht imstande war, ihr in ihrer Trauer zu begegnen, solange ich nur daran denken konnte, wie blöde und unfreundlich ich ihn kürzlich behandelt hatte.

      Es war eine Sache, von der nie jemand erfahren würde, aber ich musste sie einfach bekennen und mich davon freisprechen lassen: Ich hatte eine Rundmail verschickt, um Leute daran zu erinnern, sich für die Frühjahrsfreizeit anzumelden, und dabei absichtlich Larrys Adresse weggelassen. Im Ernst. Wer tut so etwas? Das hatte seither schwer auf mir gelastet, auch wenn es in der großen Welt des Verbrechens und des Verrats schlimmstenfalls ein kleines Vergehen sein mochte.

      Es ist ein furchtbares Gefühl, wenn bei einem Menschen, den man liebt, ein Hirntumor festgestellt wird. Aber noch furchtbarer ist es, wenn die Diagnose jemanden trifft, von dem man schlecht gedacht hat – jemanden, der eigentlich ein richtig netter Kerl ist, aber man selbst ist ein Arschloch und hat versucht, dafür zu sorgen, dass er mit seinen viel zu weiten Hosen und seinem Mundgeruch nicht mit zur Gemeindefreizeit kommt. Es lastete schwer auf meinem Gewissen, und ich hätte mich in Grund und Boden geschämt, wenn irgendjemand anderes davon gewusst hätte. Das heißt, eigentlich schämte ich mich auch so in Grund und Boden, obwohl ich die Einzige war, die es wusste. Aber wir haben alle Dinge, die wir für uns behalten – wie wir unserem Kind einen viel zu festen Klaps auf den Hintern gegeben haben, wie oft wir schon unseren Browser-Verlauf löschen mussten, wie wir damals geschwindelt haben, um einen Job zu bekommen, oder der Online-Flirt, von dem unser Ehepartner nichts weiß. Was auch immer, wir alle haben unsere

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