Im Schoß der Familie. Franziska Steinhauer

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Im Schoß der Familie - Franziska Steinhauer

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Chaleb, man träumt schon mal schlecht», meinte Samuel und klopfte dem Freund aufmunternd auf die Schulter.

      «Ist sie nicht wunderschön? Immer, wenn ich auf sie zuschreite, fällt mir ihre Schönheit und Anmut auf. Seht doch nur! Und wie warm das Licht zur Einkehr einlädt. Aller Zwist, aller Machloikes ist vergessen, ein jeder achtet den anderen, wie auch er selbst geachtet werden will.» Schlomo verhielt seinen Schritt, sah in Richtung Synagoge, breitete die Arme weit aus und schwärmte weiter: «Es ist wie nach Hause kommen. Niemand wird abgewiesen, jeder ist willkommen.»

      Das imposante Gebäude am Hasenberg, das einer schutzbietenden Trutzburg glich, war nur in einem kleinen Bereich beleuchtet. Der sechseckige Turm prangte über dem dreigeschossigen Haus, und in einem der seitlichen Türme brannte ganz oben noch Licht.

      «Ich will dir das ja nicht ausreden», murrte Chaleb, dem es gar nicht recht war, dass die anderen seinen bösen Traum so gleichgültig abgetan hatten. «Aber wenn wir uns jetzt nicht sputen, kommen wir zu spät zu unserem Gesprächskreis. Und dann kann von offenen Armen möglicherweise nicht mehr die Rede sein!»

      Gerlinde starrte Mireille mit offenem Mund an. Das Hausmädchen war verwirrt. Was tat die junge Frau nur im Gästezimmer?, dachte es. Ihre Räume lagen doch am anderen Ende des Ganges, dort, von wo man einen wunderbaren Blick auf den Garten hat. Hier gehörte sie nicht hin. Gerlinde ging in die Hocke. Achtete darauf, nicht in die große Blutlache zu treten. Streckte ihre Hand nach Mireilles Arm aus, streichelte ihn sanft. Wie morgens, wenn sie die junge Frau aus tiefem Schlaf weckte. Obwohl Gerlinde unschwer erkennen konnte, dass sich das Wecken für Mireille erübrigt hatte. Für immer!

      Mühsam rappelte sich das Hausmädchen auf, streifte sorgfältig seine Schuhe ab, um nichts von dem Grauen in den Flur zu tragen. Sie verließ das Zimmer so vorsichtig wie das einer schlafenden Kranken und ging mit steifen Knien hinunter in die Küche, um Barbara zu fragen, was nun geschehen sollte.

      Die feiernden Menschen, das festlich geschmückte Haus – all das kam Gerlinde plötzlich unwirklich vor, fühlte sich falsch an. Sie durchquerte die Räume wie jemand, der ein Gespenst gesehen hatte, hielt schnurgerade auf den Hoheitsbereich der Köchin zu.

      «Da bist du ja endlich! Und wie du aussiehst! Der Käse! Du hattest die Käseplatte vergessen. Mach dich auf Ärger mit der Gnädigen gefasst», empfing sie Barbara unwirsch.

      Gerlinde setzte sich an den Tisch. Schwieg. Stand unvermittelt wieder auf, griff nach einem Küchenhandtuch und begann damit das Geschirr abzutrocknen. Schon der zweite Teller entglitt ihren bebenden Fingern und zerschellte mit Getöse auf dem Fußboden.

      «Nun pass doch auf, du dummes Ding!», herrschte die Köchin sie an. «Was ist denn heute mit dir los?»

      «Oben im grünen Zimmer liegt Mireille», erzählte das Mädchen emotionslos, als spräche es über einen Scheit Brennholz.

      «Was tut sie denn da?», fragte Barbara begriffsstutzig zurück. «Sie hat doch eigene Räume.»

      «Sie macht nichts. Gar nichts, weißt du? Tote sind eben so.»

      «Tote?»

      «Ja. Dass sie nicht mehr lebt, ist nicht zu übersehen.»

      Die resolute Köchin stapfte los, um sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. Die jungen Dinger reden manchmal wirres Zeug, wusste sie, da ist es besser nachzusehen, ehe ich die Herrschaft in Angst und Schrecken versetze. Außerdem ist nie auszuschließen, dass Gerlinde von dem Alkohol genascht hat, der heute großzügig ausgeschenkt wurde, drängte sich ihr ein neuer Verdacht auf. Doch hinter der Tür zum grünen Zimmer fand sie alles so vor, wie Gerlinde behauptet hatte. Was nun?

      «Du arme Kleine! Erst stirbt die Mutter, der Vater reist ins Ausland – und nun stirbst du hier ganz allein. Nun, nicht ganz allein wohl. Was wolltest du hier eigentlich?»

      Die Köchin beschloss, den Hausdiener in dieses schreckliche Geheimnis einzuweihen. Der werde schon wissen, was zu tun sei. Sie trat von hinten an ihn heran und flüsterte eindringlich: «Karl! Im grünen Zimmer liegt das gnädige Fräulein. Ich fürchte, es ist tot.»

      Karls Augen sahen für einen Moment so aus, als wollten sie aus den Höhlen springen.

      Barbara wich instinktiv einen Schritt zurück, wohl um nicht getroffen werden.

      «Was? Fräulein Loliot ist tot? Das kann doch gar nicht wahr sein. Vorhin war sie doch noch bester Stimmung», antwortete er ungläubig.

      Aus den anderen Räumen klangen Musik und das leichte Geplauder der Gesellschaft bis in die Küche. Für die drei Wissenden hatten diese Geräusche keinen fröhlich beschwingten oder gar beschwipsten Klang, sondern waren völlig unpassend. Eine surreale Szenerie. Während die wichtigsten Köpfe der Stadt hier feierten, kühlte oben, wenige Meter von der Gesellschaft entfernt, der Körper des Mündels der von Weitershausens langsam aus.

      «Wie soll ich das den Herrschaften erklären?», lamentierte Karl. «Das Haus ist voller Gäste. Alle warten gespannt darauf, wer in diesem Jahr das Stipendium erhalten wird. Da kann ich doch unmöglich einfach nach der Polizei schicken. Obschon – in so einem Fall ist man wohl dazu genötigt.» Karl hob verzweifelt die Hände in die Luft.

      «Ich glaube, ich weiß, was wir tun könnten», ließ sich unerwartet Gerlinde wieder vernehmen, die so lange geschwiegen hatte, dass die beiden anderen nun erschrocken zusammenfuhren.

      «So?» Das klang drohend, und die Köchin sah auch so aus, wie sie sich mit in die Hüften gestemmten Fäusten und verkniffener Miene vor dem Mädchen in Positur schwang. «Was musstest du auch ins grüne Zimmer gehen? Ohne deine elende Neugier wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel!», fuhr sie Gerlinde ungerechterweise an.

      Karl schob die Köchin beiseite und fragte sanft: «Was können wir denn tun, Gerlinde?»

      «Der Doktor ist unter den Gästen. Sprich ihn an! Er wird dich unauffällig in den oberen Stock begleiten, er ist stets diskret, das liegt an seinem Beruf. Bring ihn zu der Toten! Er wird wissen, was zu tun ist.»

      «Ein sehr vernünftiger Vorschlag!», lobte Karl, griff nach dem Tablett mit den vorbereiteten Getränken und brach zum Rauchsalon auf.

      «Ich brauche mehr Licht!», forderte der Kommissar Fritz Ganter, der eine Stunde später neben der Leiche stand. «Wer hat sie gefunden?»

      Aus dem Erdgeschoss dudelte noch immer Tanzmusik zu ihnen herauf. Unpassend, fast beleidigend. Plötzlich verstummte sie. Offensichtlich hatte endlich jemand das Grammophon ausgeschaltet. Doch die unheimliche Stille, die nun folgte, war nicht weniger belastend.

      Gerlinde schob sich, von eiserner Köchinnenhand gestoßen, zögernd vor. «Ich.»

      «Aha!»

      «Als ich die Gästezimmer noch einmal kontrollieren wollte.»

      «Und?»

      «Nun, es war eindeutig, dass ich ihr nicht mehr helfen konnte. Ihr Arm war schon kühl. Außerdem …» Gerlinde wies anklagend auf das Heft des Messers, das sich wie ein Fleck vom weißen Mieder des Opfers abhob. Im hellen Licht der Lampen war nun auch der große Blutfleck gut zu erkennen. Ausgehend von der Stelle auf dem Mieder, hatte er sich als riesige Lache neben und unter dem zarten Fräulein ausgebreitet. Du meine Güte, dachte Gerlinde unwillkürlich, das kriege ich nie mehr aus dem Teppich raus.

      Fritz Ganter machte sich ganz andere Sorgen.

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