Im Schoß der Familie. Franziska Steinhauer

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Im Schoß der Familie - Franziska Steinhauer

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er sich entmutigt. Ich bewege mich nur ungeschickt in solchen Kreisen. «Als Sie sahen, dass es einen Mord gegeben hatte, was taten Sie dann?», erkundigte er sich tapfer weiter.

      Die Versammelten stöhnten auf. Ein Mord! Ungeheuerlich!

      «Ich schloss die Tür hinter mir und ging in die Küche, um es der Köchin zu erzählen. Danach hat der Hausdiener den Arzt der Familie …» Das Mädchen verstummte.

      Der Tatortphotograph drängte sich durch die Versammelten, stieß mit seinem Stativ einige der Damen und Herren zur Seite. «Entschuldigung, ich muss hier durch!» Während Ganter ungerührt das Gespräch fortsetzte, begann der Mann seine Vorrichtung aufzubauen.

      «Hm. Wann wurde Fräulein Loliot zum letzten Mal gesehen?

      Hat jemand bemerkt, wann sie sich von der Gesellschaft entfernt hat?», versuchte Ganter einen professionellen Vorstoß auf ungefährlichem Gebiet.

      Allgemeines Diskutieren setzte ein. Nach ausführlichem Hin und Her kam man überein, dass die junge Frau nach dem Wechsel von der Tafel in die Bibliothek nicht mehr in der Runde der Damen gesehen wurde.

      Ein junger Mann drängte sich zwischen den Leibern hindurch und sank nach einem Blick auf die Tote schluchzend gegen den Türrahmen. Seine Schultern zuckten wild. Er barg sein Gesicht in den Unterarmen und ächzte leise den Namen des Opfers.

      «Und wie ist Ihr Name?», erkundigte sich Ganter selbst für seine Ohren bemerkenswert unfreundlich. Er hatte eigentlich Mitgefühl in seine Stimme legen wollen – das war gründlich fehlgeschlagen.

      «Das ist der Sohn des bekannten Lyrikers Franz Koch», zischte ihm Gerlinde hastig zu. «Xaver Koch.»

      «Wie soll ich ihn erkennen können? Er sieht den Türrahmen an!», patzte Ganter zurück, dem allerdings weder Franz Koch noch dessen Sohn ein Begriff waren.

      Der Photograph hatte inzwischen sein Stativ direkt über dem Körper der Toten in Position gebracht und die Kamera oben im Gestänge befestigt. Jetzt sah er sich suchend im Raum um, nahm ein Fußbänkchen und stellte es neben die dünnen Metallbeine, die nun an der Seite der jungen Frau auf dem Teppich standen, kletterte hinauf und richtete die Linse ein. Danach schoss er das erste Bild.

      Die Gastgeberin schluchzte, dem Herrn des Hauses standen Tränen in den Augen, der ganze Flur war erfüllt von eifrigem Getuschel. Dem Stimmengewirr entnahm Ganter, dass man sich nun dem Vater der Getöteten widmete.

      «Der arme Mann! Erst stirbt ihm die Frau, und nun ermordet jemand die Tochter. Wie tragisch», übernahm eine resolute Stimme die Einleitung, und schnell stimmten alle in das Jammern und Wehklagen ein.

      «Er überlässt sie der Pflege durch den Freund, um sie vor Unbill zu schützen, und dann …»

      «Er wird untröstlich sein, wenn er davon erfährt.»

      «Was für ein schreckliches Schicksal! Alle Lieben verloren …»

      «Wann er wohl davon hören mag? Ist er nicht irgendwo in Afrika?»

      «Wie kann man jemanden eine solche Nachricht schonend beibringen?»

      «Er hatte so große Pläne mit Mireille …»

      Und dann übertönte die Stimme des Dichtersohnes alle anderen: «Ich habe sie so geliebt! Alles Glück hat mich für immer verlassen! Ohne sie kann ich nicht weiterleben!» Er taumelte in Richtung Treppe, wurde von vielen Händen aufgehalten und sank schließlich auf den Stufen erneut in sich zusammen.

      Auch das noch, stöhnte der Ermittler innerlich auf. Vater im Ausland, das Haus voller Gäste und ein heulender Liebestoller – das wird ja immer besser!

      «Jemand muss Franz Koch informieren. Er soll ihn abholen kommen, sonst tut er sich am Ende tatsächlich noch etwas an. Er ist hoffnungslos romantisch veranlagt, will mir scheinen!», fuhr der Hausherr dazwischen, und Karl eilte zur Haustür, um dem Lyriker einen Wagen zu senden.

      Ganter erkannte, dass er nun eingreifen musste. «Herr von Weitershausen, ich brauche einen ruhigen Raum, in dem ich mich mit Ihren Gästen unterhalten kann. Dieses Zimmer wird verschlossen, den Schlüssel nehme ich an mich, und ein Beamter wird davor Posten beziehen. Wo kann ich mit Ihren Gästen sprechen?» Fritz Ganter legte eine Extraportion Autorität in seine Stimme.

      Während Gerlinde dem Ermittler den Schlüssel reichte, kam ein uniformierter Beamter hinzu, der bisher dafür Sorge getragen hatte, dass die Gesellschaft auf dem Flur blieb und nicht in das Mordzimmer drängen konnte. «Jürgen Brummler», stellte er sich knapp vor und bezog sofort steif seinen Platz direkt neben der Tür.

      «Sie soll einfach so da liegen bleiben? Die ganze Nacht?», empörten sich einzelne weibliche Stimmen.

      «Unser Arzt wird sie zu gegebener Zeit zur Leichenschau abholen», verkündete Ganter ruppig und scherte sich diesmal nicht um das protestierende Stöhnen.

      «Gerlinde wird Sie ins Speisezimmer führen. Dort sind Sie bei Ihren Gesprächen ungestört», erklärte von Weitershausen und gab dem Hausmädchen ein Zeichen. «Ich denke, der Tisch ist bereits abgeräumt, und andere Spuren unseres Festes muss ich Sie bitten zu übersehen. Es war ein glücklicherer Ausgang geplant», sagte der Gastgeber bitter. «Versammeln Sie sich doch bitte alle in der Bibliothek. Auf diesen Schock brauchen wir eine kräftige Stärkung», forderte er dann lauter, machte eine raumgreifende Armbewegung, und artig setzte sich die Gästeschar in Bewegung. Eine mitleidige Seele klaubte den Sohn des Lyrikers von den Stufen und trug ihn davon.

      «Herr von Weitershausen, ich würde die Gespräche gern mit Ihnen beginnen», erklärte Ganter, der gleichzeitig versuchte zu ignorieren, dass ihm schon bei diesen Worten der Schweiß ausbrach. Wie sollte das erst während der Befragung werden?

      «Gut.» Von Weitershausen gab sich entschieden aufklärungsbereit. «Wenn Sie nur erlauben, dass ich zuvor die Gäste mit dem Notwendigsten versorgen lasse, stehe ich Ihnen sofort zur Verfügung.»

      Ganter nickte nur. Was blieb ihm anderes übrig?

      «Seit wann lebte Mireille Loliot in Ihrem Haushalt?»

      «Seit mehr als einem Jahr. Mein guter Freund, Jean Loliot, reiste in wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten ins Ausland. Seine Firma produziert leistungsstarke Motoren und Antriebssysteme. Er ließ seine Tochter in unseren Händen zurück.» Der Hausherr barg für einen Augenblick sein Gesicht in den auffallend großen Händen, schluchzte trocken auf und atmete mehrfach tief durch. In einer Geste der Verzweiflung strich er sich die schweißfeuchten Haare aus der Stirn, dann sah er Ganter mit sengendem Blick an. «Ich weiß gar nicht, wie ich ihm je wieder unter die Augen treten kann – nachdem ich auf so entsetzliche Weise versagt habe.»

      «Warum nahm er seine Tochter nicht mit auf die Reise?», hakte Ganter nach, ohne auf die Äußerung von Weitershausens zu reagieren.

      «Mit Mireilles Gesundheit stand es nach dem Tod ihrer Mutter nicht zum Besten. Das Mädchen war schwach, ihre Konstitution angegriffen. Der Hausarzt der Familie riet Jean dringend davon ab, ihr die Strapazen einer solch abenteuerlichen Reise zuzumuten.» Er schluchzte erneut. «Doch nun sieht es so aus, als wäre es allemal besser für das Mädchen gewesen, ihren Vater zu begleiten!»

      «Was kann Fräulein Loliot im Gästezimmer gewollt haben? Fühlte sie sich vielleicht nicht wohl?»

      «Doch. Mireille genoss solche Empfänge immer von ganzem

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