Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach

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Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach

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Lothringischen.“

      Hildebrand will sich nicht schon wieder aus dem Gespräch drängen lassen und stellt schnell seine Frage zu den Bauten auf dem Berg. Da schließt Hildburga die Augen und beginnt mit rauer Stimme leise zu deklamieren:

       „An des Bächleins breiten Auen

       konnten weit nach Ost sie schauen.

       In Nord und Süd des Waldes Hängen

       konnten nicht das Tal beengen.

       Dort bauten sie auf einer Höh’

       als fortgeschmolzen ward der Schnee

       auf fels’gem Grund und auf der Stell

       nach altem Brauche ein Kastell.

       Ein Trupp von Kriegern blieb nun dort,

       die andren zogen ostwärts fort.

       Sie zogen einen halben Tag

       nicht mehr es wohl gewes’ sein mag,

       sie kamen in ein ries’ges Tal

       mit Fluss und Bach in großer Zahl.

       Auf dem hohen Bergsporn dann

       legten sie die Feste an,

       wie es ihnen war hienieden

       von König Dagobert beschieden.“

      Erschöpft hält sie inne. Hildebrand zwirbelt gedankenvoll seinen Bart. ‚Es gab also zwei Kastelle, dann muss noch eines im Osten sein. Also scheinen uns die Sorben richtig zu führen‘, dachte er.

      „Bringt Mutter Hildburga zu euch auf den Wagen, Reinhold. Dein Sohn soll sich zu Rudolf setzen, damit der jemanden zur Seite hat. Wir fahren weiter. Also hurtig, solange noch die Sonne scheint.“ Mit einem einzigen Satz ist Reinhold auf dem Wagen, umfasst mit seinen starken Armen Hildburga und als wäre sie ein Blatt im Winde, vollführt er mit ihr einen Halbkreis in der Luft und senkt die Kranke federleicht in die Arme Gunhilds, wo sie einen sicheren Halt findet. Er springt flugs wieder herab und geleitet seine Frau mit der zerbrechlichen Alten zu seinem Gefährt.

      Bevor Hildebrand sein Fuhrwerk erreicht hat, treten Heinrich und Theobald an ihn heran.

      „Ach, das habe ich ganz vergessen!“, entfährt es dem Kolonnenführer. Er hatte doch Reinholds Sohn geschickt, die beiden zu holen. Schnell klärt er die Freunde auf und während sie an ihre Plätze eilen, holpern die ersten Wagen bereits los und rollen langsam zu Tal. Ludwig, der nun neben Rudolf auf dem zweiten Wagen sitzt, schaut neugierig auf die Landschaft.

      In seiner Reife zwischen Kind und Manne stehend, betrachtet er alles von beiden Seiten aus, aufgeregt und neugierig gleich einem Knaben, Vor- und Nachteile abwägend wie ein Mann. Dabei kommt ihm zugute, dass er von Kindesbeinen an auf dem Händlerwagen seiner Eltern mitgefahren war und die Welt vom fernen Lothringen bis hin zur Elbe, vom Meer bis zu den Alpen gesehen hat. So ist er gegenüber denen im Vorteil, die nur ihr Tal und dessen kleinen Umkreis kennen und nun unversehens in der Fremde sich befinden. Unablässig tasten seine wachsamen Blicke die Unebenheiten der Senke wie auch den Waldrand ab.

      „Eine herrliche Landschaft ist es“, wendet er sich Rudolf zu, „es ist doch zu schade, dass sie noch nicht unter den Pflug genommen wurde.“ Rudolf ist es ganz lieb, sich mit dem nur wenig jüngeren zu unterhalten. Hildburga mag eine liebenswerte Begleiterin sein, aber sie ist eben doch eine alte Frau.

      „Weißt du, Ludwig, wenn die Sorben es gekonnt hätten, wären sie sicher hier sesshaft geworden. Aber wie sollen sie mit ihren Holzpflügen die Baumwurzeln dem Boden entreißen? Wir können das mit unseren Eisengeräten, aber mit Holz? – Nein, das geht nicht.“

      „Da mag was dran sein, aber in der Aue sind doch nicht so viele Wurzeln“, hält der Junge dagegen. Rudolf kann den Bauern in sich nicht leugnen.

      „Sicher, in der Aue hast du kaum Wurzeln. Doch fallen andere Unwägbarkeiten ins Gewicht: Denn im Frühjahr kann sich das kleinste Bächlein rasch in einen reißenden Strom verwandeln, der das Ackerland überschwemmt und die Saat fortspült. Gleiches kann dir bei einem heftigen Regenguss widerfahren. Kein vernünftiger Mensch will sich und sein Gut dieser Gefahr aussetzen.“

      „Stimmt, direkt am Fluss sieht man nur wenige Felder, es sei denn, ein Wall wurde aufgeschüttet“, er überlegt kurz, „ich glaube, einen Deich haben sie es genannt. Der hält das Wasser vom Acker.“ Davon hat Rudolf schon gehört, aber gesehen hat er solch einen Deich noch nie. Bei den Friesen soll es welche geben, am Meer und an den Mündungen großer Flüsse. Die Senken gehören den Wassern, das Vieh weidet dort, aber keinem Bauern würde es einfallen, dort ein Feld zu bestellen oder gar einen Hof zu errichten. Die Anwesen der Thüringer und ihre Äcker sind weiter oben angelegt, sodass kein Wasser sie überschwemmen kann.

      „Siehst du, die Berge zeigen sich hier wie bei uns und wir tun sicher gut daran, auch höher zu siedeln“, belehrt er den Jüngeren. „So steil die Hänge auch sein mögen, man findet gewiss fruchtbare Flächen zur Bewirtschaftung.“ Ludwig schaut auf den Berg, der sich auf der anderen Seite des Tales hinzieht.

      „Stimmt, auf jener Seite sind die Neigen flach. Dort sind auch die Handelsstraßen angelegt, damit die Gespanne nicht so viel Kraft aufwenden müssen. Als wir einmal im Lothringischen waren, sind wir durch den Schwarzwald gezogen. Dort sahen die Berge ganz anders aus und man hätte glauben können, die Götter hätten einfach Eimer ausgeschüttet. Wenn nicht die alten Straßen gewesen wären, wir wären nicht hindurch gekommen.“

      Inzwischen hat der Wagen den Bach in der Mitte der Aue erreicht und die Räder rumpeln über die vom Wasser glattgeschliffenen Steine. Hier hat sich das Bächlein nur oberflächlich in den Grund gegraben, sodass die Ochsen das Gespann beinahe mühelos über den Boden ziehen.

      „Von diesem Rinnsal soll eine Gefahr ausgehen?“ Ludwig rümpft die Nase. „Da drinnen müssen die Fische doch laufen, um vorwärts zu kommen!“ Rudolf schnieft vernehmlich.

      „Da hast du nun schon fast die halbe Welt gesehen, aber die Macht des Wassers kennst du nicht. Stell dir vor, auf allen Hängen taut der Schnee und das Schmelzwasser rinnt hinab, oder ein langer starker Regen fällt. Dieses Bächlein kann all das Wasser nicht auffangen und überschwemmt die gesamte Aue!“

      „Aber dann muss ja in jedem Tal so ein Bach plätschern!“

      „Hast du auf unserer Fahrt bisher auch nur eine Senke ohne ein Wasser gesehen?“ Ludwig zieht die Schultern hoch. Darauf hat er nicht geachtet.

      Gerade hat die Spitze der Formation die halbe Strecke zwischen dem Gewässer und dem Waldessaum bewältigt, als Reinhold einen Reiter ausmacht, der zwischen den Bäumen hervorprescht. Im wilden Galopp treibt er seinen Braunen auf die Truppe zu und schwenkt seine Kappe in der Hand.

      „Hejo, Thüringer!“ Seine raue Stimme dröhnt eindrucksvoll und füllt das weite Tal, als wollte sie die Erdgeister vertreiben. „Bringt eure Karren

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