Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach

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Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach

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zwischen den welken Gräsern das Knabengesicht. „Ist nichts passiert, Vater. Nur mein Knie blutet.“ Gleich darauf kommt der kleine Held humpelnd bei seinem Vater an, der ihm erleichtert den Arm um die Schulter legt und den Jungen an sich drückt.

      „Mein Gott, Junge“, würgt er hervor, „jage uns nur nicht solche Schrecken ein!“ Wenngleich dem Halbwüchsigen die liebevolle Geste gut tut, ist sie ihm doch angesichts der Zuschauer recht peinlich. Sich straffend dreht er sich aus der väterlichen Umarmung.

      „Ich bin doch nur in einen Karnickelbau getreten und im Fallen auf einen Ast aufgeschlagen. Es war gar nichts!“ Damit wendet er sich wieder seinem Ziel zu und erreicht gleich darauf mehr hinkend als gehend die Wartenden.

      „Na, du Bote Hinkebein, was hast du mir zu melden?“ Hildebrand hütet sich, sich zu dem Jungen herunter zu beugen, das hätte diesen sicher in seinem Stolz verletzt, wo er doch gewiss von seinen Freunden beobachtet wird. Und tatsächlich erwidert Bernhard ernsthaft und gar nicht kindlich wirkend:

      „Bei Reinhold sind fünf Fremde. Sie sprechen gar seltsam, aber er kann sie wohl verstehen. Er spricht mit ihnen, aber ich höre nur itschzitschkitsch. Er hat gesagt, dass das Sorben wären und dass von ihnen keine Gefahr ausginge. Du sollst zu ihm kommen, die Sorben hätten einen Vorschlag.“

      Hildebrand hebt die Schultern und streicht sich über den Bart. „Und? Was meint ihr dazu?“, wendet er sich an Heinrich und Theobald. Die beiden schmunzeln zwar noch versteckt über den Kleinen, scheinen aber dennoch unsicher zu sein. Schließlich meint Theobald:

      „Wenn Reinhold das sagt, kann man dem trauen. Er kennt das Volk der Sorben schon. Aber du solltest nicht allein unterwegs sein, sonst verlieren wir im unglücklichen Falle womöglich unsere erfahrensten Leute.“

      Mechthilde, die inzwischen vom Wagen geklettert und zu ihrem Sohn getreten ist, mischt sich in das Gespräch der Männer:

      „Nimm doch Johannes mit. So groß und kräftig wie der ist – der nimmt es mit zwanzig Sorben auf.“ Lachend stimmt Hildebrand zu und wendet sich an Bernhard, der immer noch ganz stolz neben seinem Vater steht:

      „Ich denke, trotz deiner Verwundung kannst du immer noch unser flinker Bote sein, oder? Laufe also zum sechsten Wagen, Johannes soll kommen und seine Axt mitbringen. Lasst euch aber nicht von den Sorben sehen!“ Noch ehe er den Satz beendet hat, saust der kleine Blondschopf los wie Hermes der Götterbote.

      „Von wem er das wohl hat? Der Bursche scheint weder Angst noch Schmerz zu kennen.“ Bedeutungsvoll nickt Hildebrand Heribert und Mechthild zu. Heribert entgeht die Anspielung auf seine Ängstlichkeit nicht.

      „Vielleicht war ich auch einmal so?! Es gab den Jungen noch nicht, als wir damals kurz hintereinander erst in die Hände der Sachsen und dann in die der Franken fielen. Da kann man schon etwas von seinem Mut einbüßen“, murmelt er beschämt.

      Hildburga steht plötzlich bei ihnen, sie mag diese Seitenhiebe nicht, die in der Gesellschaft gern gegen die Schwächen Einzelner geführt werden.

      „Was müsst ihr immer nach dem Popel in der Nase der anderen suchen? Jeder hat seine guten und seine schlechten Seiten. Nur die guten Seiten aller machen uns stark, wenn wir sie richtig nutzen. Wenn wir die Mischung richtig vornehmen, spielen die Nachteile keine Rolle. Das ist wie beim Kräuteraufguss.“

      „Ist ja gut, Alte“, wendet Theobald begütigend ein, „wir wollen ja gar nicht zanken. Aber den Kleinen loben wird man noch dürfen?“

      „Ach, ihr Mannsbilder, doch nicht, indem ihr Vater und Mutter schmäht!“ Sie wendet den Männern den Rücken zu und schlurft zu ihrem Wagen zurück.

      Hildebrand schmunzelt in seinen Bart.

      „Das Weib ist schlau. Eine Schande, dass sie von den Schwarzkitteln gescholten wird. In einem hat sie besonders recht: Wir müssen die Stärken des Einzelnen nutzen.“

      „Hast du mich deswegen rufen lassen?“, mischt sich unversehens eine brummige Stimme ein. Johannes baut sich in seiner Hünenstatur vor Hildebrand auf und lässt die Axt auf die Handfläche klatschen. Trotz des kühlen Wetters trägt er einen ärmellosen Kittel, sein protziges Muskelspiel imponiert den Männern gehörig.

      „Wo steht die tausendjährige Eiche, die uns den Weg versperrt?“

      Der Herkules muss der einzige Mann in der Kolonne sein, der nicht die Ursache des Stopps erkannt hat.

      „Du hast wohl geschlafen, du Goliath?“, fährt ihn Heinrich an, den das Protzen des Dicktuers beträchtlich stört, da es sich doch immer wiederholt. „Wir sind auf die Sorben gestoßen!“

      „Ha, die sollen nur kommen, denen schlage ich auf den Wanst, dass sie noch bis übermorgen laufen!“ Der Riese schaut selbstüberzeugt in die Runde.

      „Keinen sollst du prügeln“, beendet Hildebrand die Kraftmeierei und lässt seine flache Hand derb auf den nackten Oberarm des großen Kerls sausen, „wir wollen jemandem vorführen, dass wir nicht unbewehrt sind. Deshalb wirst du jetzt mit mir gehen, aber immer fünf Schritte hinter mir bleiben, und auf gar keinen Fall auch nur ein Wort sagen. Ist das klar?“ Darauf dreht sich der Älteste um und stapft davon. Johannes hat zwar das Gesagte verstanden, nicht aber recht den Sinn begriffen. Da ihm das Denken ein wenig schwerfällt, zuckt er nur mit den Schultern und folgt in angewiesenem Abstand.

      Als die beiden Männer bei Reinhold ankommen, erblicken sie an seiner Seite einen imposanten Mann in weißem Gewand. Über seiner Schulter liegt ein dunkelblauer Umhang, der von einer bronzefarbenen Fibel gehalten wird. Trotz seines hohen Alters steht er aufrecht in geradezu königlicher Haltung und überragt Reinhold um Haupteslänge. Der weiße Bart fällt wellig über die Brust, sein Haupthaar ebenso weiß und gewellt reicht bis tief in den Rücken. Ernst und unbeugsam schaut er aus wässrigen Augen den Ankommenden entgegen. Hinter ihm stehen seine Begleiter in derben Kitteln, gut bewaffnet mit Speeren und Schwertern, aber keinesfalls Gewalt verkörpernd.

      Hildebrand nickt dem augenscheinlichen Anführer der Sorben grüßend zu. Die Hände mit den Flächen nach vorn streckend dokumentiert er seine friedliche Gesinnung. „Ich grüße euch, in deren Land wir eingedrungen sind. Wir suchen keinen Händel mit euch, wohl aber eine Bleibe bei den Unsrigen, die schon hier leben.“ Während Reinhold übersetzt, nickt der Alte leise und streicht sich würdevoll über den Bart. Seine Antwort kommt ruhig und in melodischer Weise über seine Lippen. Wie von dem kleinen Bernhard angedeutet, ist die fremde Sprache tatsächlich von vielen Zischlauten durchsetzt und rollenden R.

      Reinhold bringt seinen Gefährten das Gesagte zum Verständnis: „Sie sind aus dem übernächsten Tal ostwärts gekommen, wo sie an einem Steinbach leben. Ihr Dorf liegt weitab von ihrem Volk, sie leben von der Jagd. Der Durchzug der Ungarn fügt ihnen immer wieder großen Schaden zu. Deshalb dulden sie gern unsere Krieger in ihrer Nähe, wo sie eine uralte Burg aus Vorzeiten bewohnen. Er will uns dorthin geleiten.“

      ‚Das wäre eine große Erleichterung für die letzte Etappe des Zuges, es entledigte uns der Erkundung des Weges‘, überlegt Hildebrand. ‚Aber es könnte ebenso gut eine Falle sein. Womöglich verschwindet unsere Kolonne in diesem Urwald auf ewig?‘ Er wirft Reinhold einen fragenden Blick zu. „Sie werden uns nicht erschlagen und sich unserer Wagen bemächtigen?“ Der Alte muss in Hildebrands Miene gelesen haben, dass dieser die Lauterkeit seines Anerbietens infrage stellt. So spricht er erneut zu Reinhold, der nun übersetzt:

      „Wir

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