Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach страница 8

Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach

Скачать книгу

zu unseren Leuten unterwegs sein, sie würden uns gewiss jemanden entgegenschicken.“ Hildebrand wägt das Gehörte ab. Darf man dieses Wagnis eingehen? Immerhin sieht er sich in der Verantwortung für zwölf Familien und will nicht leichtsinnig sein.

      „Wir sollten auf das Angebot eingehen, die Zeit wird knapp“, sucht Reinhold die Zweifel zu nehmen, „die Besiedlung ist so spärlich hier, dass die Sorben kaum auf Hilfe von den eigenen Leuten hoffen können. So sind wir ihnen doch zahlenmäßig überlegen. Wenn nicht, haben wir ohnehin verloren.“

      „Da hast du wohl recht, doch dürfen wir sie auf keinen Fall an unsere Wagen heranlassen, sie sind unser einziger Schutz“, stimmt er zu. „Bitte sie, uns die Trasse freilegen zu helfen. Vielleicht gehen sie darauf ein.“

      Als Reinhold die Worte übersetzt, lacht der Alte breit und seine Begleiter schmunzeln verstehend.

      „So seid ihr Germanen, euer König drängt in unser Land bis zum großen Elbestrom, sodass ihr zu Recht befürchten müsst, nicht willkommen zu sein. Nun, wir lieben auch euren Karl König nicht sehr, doch leben wir weitab in der Wildnis. Wenn sich mehr Menschen hier ansiedeln, können wir uns besser gegen die Ungarn zur Wehr setzen. Also begrabt euer Misstrauen. Wir bleiben euch vorerst fern und machen den Weg frei“, lässt er wissen, hebt die Hand und wendet sich mit seinem Gefolge ostwärts.

      „Oje, nun ist er aber beleidigt!“, fährt es aus Hildebrand. Reinhold wehrt ab:

      „Ach wo, er weiß wohl, wie es in uns aussieht. Der blickt direkt in die Seele, wie Mutter Hildburga, und braucht eigentlich gar nicht unsere Worte. Bestimmt ist er ein Priester.“

      „Wie zu Hause der Pater Hermius?“, mischt sich Johannes in das Gespräch. „Der Mann sieht aber ganz anders aus, gar nicht so dunkel gekleidet und ein Kreuz trägt er auch nicht um den Hals.“

      „Eben“, spottet Hildebrand, „und das Haar ist nicht rasiert, sogar der Rosenkranz fehlt. Mein Gott, du Hohlkopf, das sind keine Christen!“ Der Lange blickt erschrocken hinter den Sorben her.

      „Was denn, das sind Götzenanbeter, so wie die alte Hildburga?“

      „Ach, Junge, lass unsere gute Hildburga aus dem Spiel. Sie ist vielleicht eine bessere Christin als wir alle!“, unterbricht ihn Reinhold. „Überdies: Wenn die Sorben Gott einen anderen Namen geben als wir, so bleibt er doch derselbe.“

      Johannes steht das Unverständnis deutlich ins Gesicht geschrieben. Zu unbeweglich ist sein Denken, als dass er die Worte begreifen könnte. Als Hildebrand abwinkt und zu den Wagen zurückgeht, folgen ihm Johannes und Reinhold, wobei der Ältere dem anderen erklärt:

      „Auch unser Volk war früher anderen Göttern zugewandt. Doch im Laufe der Zeit lernten wir, dass Wotan nur ein anderer Name für Gott ist. Von Jesus haben wir erst spät erfahren. Trotzdem waren wir immer gottesfürchtig. So mag es wohl bei den Sorben auch sein. Wir dürfen sie nicht verteufeln, sondern müssen sie für uns gewinnen. Schließlich wollen wir doch friedlich mit ihnen zusammenleben.“ Die Worte begreift der Große und nickt zustimmend.

      Die Fuhrleute haben sich bereits am ersten Wagen zusammengefunden. Die Frauen und Kinder bilden nicht weit von ihnen eine zweite Gruppe. Alle schauen gebannt auf ihren Führer, der recht ungehalten auf die Versammlung blickt.

      „Seid ihr nicht mehr gescheit?“, grollt er. „Ohne jede Obacht lasst ihr die gesamte Kolonne! Was glaubt ihr, wie schnell euer gesamtes Hab und Gut fort sein kann? Eindeutig war festgelegt, wie gesichert wird!“

      „Wird es ja auch!“, tönt eine helle Stimme aus dem Geäst. Überrascht richtet Hildebrand seinen Blick empor, wo er in halsbrecherischer Höhe seine Tochter auf zwei Ästen balancieren sieht. Über ihren Augen die Hand als Blendschutz haltend, mimt das Mädchen den aufmerksamen Beobachter.

      „Hilde!“, gellt der erschreckte Ruf Gerfriedes, die ebenfalls erst jetzt die Zwölfjährige entdeckt. Diese jedoch winkt hell lachend herunter und trällert:

      „Keine Angst, ich stehe sicher und mein Blick reicht weit. Welche Gefahr auch immer ich sehe, bis sie uns erreicht, habt ihr noch Zeit.“ Dem Vater bleibt ob des losen Mundwerkes seiner Tochter die Luft weg. Oh, wie gerne würde er ihr jetzt das Fell gerben! Indes singt Mathilde weiter:

      „Ganz dort hinten tut es mir der Bernhard gleich und zusammen sehen wir das gesamte Sorbenreich.“ Es ist die Mimik der besorgten Eltern, die den Frechdachs eilig vom Baum klettern lässt.

      Obwohl Gerfriede dem Mädchen eine schallende Ohrfeige versetzt, bringt sie es doch rasch aus der Reichweite ihres Mannes, dessen todbleiches Gesicht mit zusammengezogenen Brauen ahnen lassen, welch gewaltiger Ausbruch sich in ihm aufstaut.

      „Diese Wänster!“, flüstert einer der Männer. Georg schüttelt seine rote Mähne und wendet sich Hildebrand zu:

      „Reg dich nicht so auf! Wir waren als Kinder nicht anders. Wisse, die beiden habe ich dort hochgeschickt. Denkst du etwa, dass ein Erwachsener dort hinaufklettern könnte? Bessere Beobachtungsposten findest du aber nirgends. Heribert und Matthias wachen auch, oder siehst du sie hier?“ Hildebrand schluckt schwer.

      „Du hast die Kinder hinaufgeschickt? Sollen sie sich die Knochen brechen?“ Georg, der rabiate Mittel bevorzugt und keine Zimperlichkeit kennt, zuckt nur die Schultern. „Was meinst du wohl, wo die beiden bei einer Rast zu finden sind? Gören sind wie Katzen, sie fallen nur, wenn sie es auch wollen.“

      Das allgemeine Nicken in der weiten Runde lässt bei Hildebrands Wut abklingen und er ruft:

      „Komm schon her, Hilde. Der Sturm ist vorbei!“ Zaghaft löst sich das Mädchen aus dem Schutz des mütterlichen Rückens und reibt sich die von der Schelle gerötete Wange. Tapfer versagt es den Tränen in den Augenwinkeln den Weg über die schmutzigen Wangen. Nur ein kleines Zittern in der Stimme verrät seinen Gemütszustand.

      „Wir haben gut Obacht gegeben! Die Fremden sind auf der anderen Seite des Baches, an der Biegung, den Hang hinaufgegangen. Sie machen Kerben in die Bäume. Das sollen gewiss Zeichen für uns sein.“ Als Mathilde bei ihrem Vater ankommt, streicht dieser über ihren zerzausten Schopf.

      „Du bist schon ein rechtes Eichhörnchen, Hilde. Laufe mit Bernhard voran, aber behaltet die Kolonne im Blickfeld“, und zu den Fuhrleuten gewandt, „auf geht’s, sie zeigen uns den Weg!“

      Die Sonne berührt knapp die Baumwipfel im Westen, als die Wagen endlich den langgestreckten Hang hinunterrollen. Die Sorben haben einen recht mühelosen Weg durch den unendlichen Wald markiert, ohne noch einmal in die Nähe der Kolonne zu kommen.

      Nun lichtet sich der Wald und vollkommen überraschend breitet sich eine weite Auenlandschaft vor den Fuhrleuten aus. Im Norden ist sie vom schwarzen Wald auf der nächsten Höhe begrenzt, in den Westen windet sich ein Weg auf sumpfigem Grund mit Buschwerk von den Bergen her.

      Die Augen der Entwurzelten weiden sich an dem Ausblick und lebhaft wallen Vorstellungen, wie berückend die Landschaft im Sommer sein mag, wenn ein Blütenteppich die blassen Wiesen bedeckt. Im Tal weisen dicht stehende Weiden auf einen Wasserlauf hin, den sie mit hängenden Ruten gleich einem Schleier zu verbergen suchen. Ein nebeliger Streifen zwischen den geneigten Stämmen verstärkt den Eindruck noch. Weit vorn, am gegenüberliegenden Hang, grasen Rehe in der Sonne und vermitteln ein Bild tiefsten Friedens, das von dem Bussard, der hoch oben majestätisch kreist und nur hin und wieder durch einen Flügelschlag die Flugbahn korrigiert, unterstrichen wird.

      „Hier sollten wir siedeln und ein neues Leben aufbauen“, seufzt Gerfriede träumerisch.

Скачать книгу