Drei Dekaden. Hermann Ritter

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Drei Dekaden - Hermann Ritter

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der genau einen Schritt vor uns herläuft.

      Doch die hier benutzten Bilder haben eventuell nur kurzzeitig Macht; sie gelten zwar für unsere Zeit, aber nicht für die vorgehergehende Epoche und wahrscheinlich auch nicht für die folgende Epoche.

      Die Ausbildung von Nachwuchs ist schwierig, da nicht garantiert werden kann, dass die Bilder noch in 50 oder gar 100 Jahren Macht besitzen. Und sicherlich kommt irgendwann im Laufe einer Ausbildung auch die Frage, wie man die Sicherheit solcher Bilder überhaupt garantieren will. Da es neue Bilder sind, deren Bedeutung erst in dieser Generation so signifikant geworden ist, dass sie für Magie eingesetzt werden können, kann man nicht aus ihrer Herkunft auf eine glorreiche Zukunft schließen. Die vom Schüler erwünschte magische Sicherheit ist nicht herzustellen. Überhaupt ist hier die Mystifizierung schwierig. Man vergleiche nur den Mythos hinter klassischen/modernen Alternativen wie Strom und Stecker mit Licht und Fackel, oder Pistole und Macht mit Messer und Macht.

      Natürlich ist diese Richtung sehr hip, aber es erinnert mich immer ein wenig an moderne Freizeit-Rollenspieler a la Shadowrun oder Film-Freaks, die auch brav Matrix und Highlander sehen, bis sie die Dialoge mitsprechen können.

      Die Zukunft dieser Alternative ist nicht vorhanden, da sie keine Vergangenheit hat und haben will. Doch der, der außerhalb der Zeit rein im Moment leben will, wird die Vergangenheit verlieren und die Zukunft nie kennenlernen.

      3. Wir entschlacken die alten Bilder und versuchen herauszubekommen, was wirklich hinter den Bildern steht. Dieses gefundene wahre Ding transferieren wir dann in die Gegenwart und suchen uns ein zeitgerechtes Bild. Passend zu Platons Höhlengleichnis und seiner wahren Welt könnte man dies Platons Lösung nennen.

      Ich halte dies von den drei vorgeschlagenen Lösungen für die sinnvollste Lösung. Sie verlangt Interesse an Vergangenheit und (!) Zukunft, eine Einbindung in Traditionen und einen Ausblick in die Zukunft.

      Diese Lösung macht Ausbildung möglich, obwohl hier gefundene Bilder im Einzelfall schwächer sein können als neue Bilder (siehe Alternative #2) oder alte Bilder (siehe Alternative #1). Aber im gesamten Überblick wiegen die Vorteile dieser Lösung die Nachteile gegenüber den beiden anderen Alternativen bei weitem wieder auf.

      Ich habe eben bei der Beschreibung der dafür nötigen Technik den Begriff transferieren gebraucht. Ich halte diesen Transfer für einen der wichtigsten Begriffe bei der Diskussion des Zusammenhangs zwischen Magie und Religion. Wir brauchen den Transfer von Bedeutungen und Begrifflichkeiten in die Gegenwart. Aber dieser Transfer wird bei magischen Gegenständen/Gebräuchen schwierig. Er kann eigentlich nur bei Religionen funktionieren, weil hier die Überlieferungslage besser ist und der Glauben einfacher zu erlangen ist als magische Ergebnisse (hier geht es um den Widerspruch zwischen subjektiver und objektiver Erkenntnis). Mit anderen Worten: Ich brauche einen Transfer von Bedeutungen in reale Gegenstände, um für ein Ritual – nein: für Magie allgemein – eine der Gegenwart entsprechende Darstellungsform zu finden. Dieser Transfer fällt mir einfacher, wenn ich einer religiösen Umgebung entstammte, weil Religion und Glauben sowieso den Transfer von Inhalten beinhalten. Wir müssen jetzt nur noch diese Transferleistung auf die Magie übertragen.

       2. Zur Religion

       a. Das Christentum

      Es ist auch unter Heiden inzwischen unkritisch: Das Christentum ist die prägende Religion des Abendlandes, ist der Kulturträger der letzten zweitausend Jahre für Mitteleuropa. Was man auch immer über die Untaten des Christentums oder die eigenen theologischen Probleme mit dem Gotte-hochgenagelt92 haben mag, ohne das Christentum gäbe es unsere abendländische Musik nicht, unsere lateinische Schrift nicht, keine Kathedralen und keine Territorialstaaten.93 Das Christentum erklärt unsere Erziehung, färbt viele der Bilder vor, die wir für Magie und Religion benutzen und wieder für uns mit Beschlag belegen wollen. Schon allein aus diesem Grunde ist die Auseinandersetzung mit dem Christentum für unseren Glauben von Bedeutung. Viele unserer Bilder sind zwar heidnischen Ursprungs, doch christlich verbrämt. Wenn wir nicht in der Lage sind, den christlichen Anteil zu definieren, dann können wir ihn auch nicht aus den Bildern subtrahieren. Und unsere Bilder behalten dadurch einen christlichen Anteil, weil wir es eigentlich ablehnen, uns mit dem Christentum zu beschäftigen.

      Das unsere Auseinandersetzung beim Gottbild (und nicht beim Kultus!) anfangen muss, dürfte klar sein. Der Kultus ist nur umgebendes Werk, ist nur Verzierung. Mit unserem Versuch, Bilder zu transzendieren sollte nachvollziehbar sein, dass wir das hinter dem Kultus liegende Bild zu erfassen trachten. Und da landen wir beim Christentum schnell beim Gottesbild.

      Die christliche Religion ist – obwohl monotheistisch – nicht monolithisch angelegt. Es gibt nicht das einzige Gottesbild, sondern verschiedene, sich oft widersprechende Gottbilder. Ein Beispiel möchte ich kurz ausführen:

      Dass Gott nur der All-Liebende sein kann, folgt einfach aus der Tatsache seines Schöpfertums. Wer schafft, will Leben und wer Leben will, liebt, und wenn sich das Geschöpf die Liebe des Schöpfers bewahrt, indem es sie erwidert, bleibt ihm auch der Wille und die Macht, neues Leben hervorzubringen. Die schöpferische Kausalität ist somit die Kausalität des Lebens und der Liebe.94

      Wäre dieses Bild eines entrückten Schöpfergottes für Heiden akzeptabel? Wahrscheinlich schon. Da es jedoch ein christliches Bild ist, lehnen wir es instinktiv ab.

      Wir verbinden viel zu oft Religion und Religionsausübung, Idee und Ausführung miteinander. Da wir als Heiden aber selten bis nie über eigene funktionierende Religionsgemeinschaften verfügen, sind wir auch schlecht auf Grund der allzu verständlichen Fehler der Gläubigen zu kritisieren (und wehe man erinnert einen Asatru ob der christlichen Zerstörungen in Südamerika an die Beutezüge der Wikinger!). Unsere diesbezügliche Kritik am Christentum greift also nicht, weil wir als Heiden selbst keine vergleichbaren Angriffsflächen aufzuweisen haben (obwohl wir sie dringend nötig hätten).

      Das zweite Thema für die Auseinandersetzung mit dem Christentum ist die Magiekritik des Christentums. Das Christentum setzt die vom Christentum propagierte Menschwerdung Gottes gegen die von der Magie gelehrte Gottwerdung des Menschen.

      Die Grundhaltung des magischen Denkens ist: Mein Wille geschehe, die Grundhaltung des religiösen Menschen aber ist: Dein Wille, Herr, geschehe! Es ist, als werde das Crowleysche Tu, was du willst, das ja letztlich nur das Eritis sicut Deus (Ihr werdet sein wie Gott) der Schlange im Paradies rekapituliert, immer mehr zum eigentlichen Losungswort der sich vom Christentum lösenden Zeitströmungen.95

      Leider ist dies für viele (neu-)heidnische Gruppierungen wahr. Begriffe wie Demut und Glaube werden – wenn überhaupt – nur pervertiert wahrgenommen und benutzt. Dass es eine dienende Demut geben kann, heißt nicht, dass sie zur einzigen Möglichkeit der Demut werden muss. Wer demütig ist, der ist nicht immer unterwürfig. Und wer demütig ist, der ist nicht auch automatisch schwach. Unsere Magie macht sich oft einmal an der Stärke fest, die wir zu erlangen trachten, und nicht an den Gaben, die wir als Geschenk erhalten haben oder erhalten können. Magie ist ein Geschenk, genauso wie unser Leben, die Natur, der Kosmos überhaupt. Wir müssen uns dies ab und an ins Gedächtnis zurückrufen, wenn wir leichtfertig mit dem umgehen, was uns eigentlich nur geschenkt oder geliehen worden ist!

      Auch das Menschenbild des Heiden ist kritikwürdig. Unsere Götter tragen menschliche, oftmals gar allzu menschliche Züge. Sie trinken, sie lieben, sie kämpfen, sie sterben. Natürlich ist es gerade diese Menschlichkeit im Vergleich mit dem entrückten Gottessohn des Christentums, welche die heidnischen Götter interessant macht. Aber es ist nicht so, dass die Götter zu uns herunterzogen werden. Oftmals erscheint es mir, dass durch diesen Kunstgriff eher die Menschen vergöttert

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