Drei Dekaden. Hermann Ritter

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Drei Dekaden - Hermann Ritter

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Wunsch nach Irrationalität.

      Ich habe aufzuzeigen versucht, dass es die Transzendenz ist, welche uns die Magie ermöglicht, die uns auch wieder an die Religion bindet. Doch das Erkennen dieser Transzendenz ist eine reine Geistesleistung, kein Ergebnis eines religiösen Fühlens und Sehnens, das uns nach Gott verlangen lässt. Doch nicht nur unser Geist bindet uns an Gott – ebenso sind wir mit Gott über Herz und Seele verbunden. Die Wissenschaft beantwortet die Fragen unseres Verstandes, doch bei der Beantwortung der Fragen unserer Seele hat sie kläglich versagt. Wir Heiden sind auch alle Kinder der wissenschaftlichen Aufklärung, doch wir haben uns jenen Zauber erhalten, der uns immer wieder fragen lässt, warum die Sterne am Himmel leuchten und warum uns Gott mit Gefühlen versehen hat. Wir sind Kinder der Wissenschaft, aber Enkel der Magie. Und alles stammt von Gott.

      Beenden will ich diesen Text mit den Aussagen über Religion von jemanden, der dies wesentlich schöner formuliert hat, als ich es werde je formulieren können; Thomas Morus.

      Von den religiösen Anschauungen der Utopier. Die religiösen Anschauungen sind nicht nur über die ganze Insel hin, sondern auch in den einzelnen Städten verschieden, indem die einen die Sonne, andere den Mond, die einen diesen, die anderen jenen Planeten als Gottheit verehren. Es gibt Gläubige, denen irgendein Mensch, der in der Vorzeit durch Tugend oder Ruhm geglänzt hat, nicht nur als ein Gott, sondern sogar als die höchste Gottheit gilt. Aber der größte und weitaus vernünftigste Teil des Volkes glaubt an nichts von alledem, sondern nur an einziges, unbekanntes, ewiges, unendliches, unbegreifliches göttliches Wesen, das die Fassungskraft des menschlichen Geistes übersteigt und durch dieses gesamte Weltall ergossen ist, als wirkende Kraft, nicht als materielle Masse; ihn nennen sie Vater. Ihm allein, sagen sie, dient Ursprung, Wachstum, Fortschritt, Wandel und Ausgang aller Dinge zum Wohlgefallen, und keinem anderen außer ihm erwiesen sie göttliche Ehren.101

       DAS PRIMAT DES GÖTTLICHEN

      Der Mensch wird mit der Geburt in die Schöpfung hineingeworfen. Er beginnt sein Leben ohne Anleitung und ohne Regeln zum Umgang mit den Kräften, welche die Welt bestimmen. Im Laufe seines Lebens eignet sich der Mensch die Regeln an, die er zur Bewältigung seiner Existenz braucht.

      Zwei Quellen sind es, aus der wir Regeln schöpfen: Die eigene Erfahrung und Dinge, die wir lernen. Beide Quellen stehen in Verbindung, doch begreifen wir ihr Wirken oft als getrennt.

      Weiter teilen wir diese Regeln in einen materiellen und einen immateriellen Bereich. Der materielle Bereich wird z.B. durch die Naturwissenschaft repräsentiert, der immaterielle Bereich z.B. durch Religion und Magie, aber auch Philosophie und Geschichtswissenschaft.

Erfahrungen im materiellen Bereich Gelerntes im materiellen Bereich
Erfahrungen im immateriellen Bereich Gelerntes im immateriellen Bereich

      Noch einmal: Wir beginnen unser Leben ohne die Übergabe eines Regelwerks durch eine höhere Instanz. Auch der Beginn der menschlichen Zivilisation muss ohne eine Erstverkündung durch irgendwelche höheren Wesen auskommen. Stattdessen übernimmt es die Kultur, in der wir aufwachsen, uns Regeln zu vermitteln. Wir übernehmen die Verifizierung dieser Regeln am eigenen Erleben. (So ist die Schwerkraft eine Regel, die wir immer wieder ohne Probleme überprüfen können …)

      Die Regeln, denen wir folgen, sind also eine Kombination, eine Mixtur aus kulturellen Vorgaben und eigenem Erleben. Keines von beiden ruht auf objektiven Grundlagen, keines von beiden wird erkennbar aus einer göttlichen Ebene oder ähnlicher Instanz gespeist.

      Die Folgerung, die man daraus ziehen sollte, ist einfach: Es darf keine unumstößlichen oder undiskutierbaren Regeln geben, weil es keine objektiven, allgemein vermittelten Regeln gibt.

      Trotzdem verfügen wir über Regeln, die unser Leben leiten. Doch was sind das für Regeln? Regeln sind – gerade im Bereich der Naturwissenschaften – Vereinbarungen aufgrund des Versuchs, Effekte, Ereignisse etc. auf einfache Regeln zurückzuführen. Die Erklärung der Phänomene (die Bewegung der Planeten, die Schwerkraft) folgt Occam‘s razor – das Rasiermesser fordert möglichst einfache Erklärungen.

      Diese im materiellen Bereich wirksame Technik wird im immateriellen Bereich genauso angewandt. Bei der Betrachtung dieser immateriellen Seite müssen wir jedoch bedenken, dass das immaterielle mehr als die klassisch vom Heidentum abgedeckten Bereiche Religion und Magie umfasst. Ich will mich trotzdem auf jene beiden Bereiche beschränken.

      Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Regeln vermittelt zu bekommen: Aktiv und passiv. Ich will – unabhängig von möglichen Mischformen – Beispiele für diese aktive und passive Vermittlung aufzeigen.

      Die aktive Vermittlung wäre die Schulausbildung, in der Fakten und Regeln zusammen vermittelt werden. Ein Beispiel für die passive Vermittlung ist die gesellschaftliche Weitergabe von Tabus. Tabus erzeugen Regeln, ohne sie zu erklären. Auch das klassische So etwas tut man nicht! ist eine Art Tabu, weil hier eine Regel vorgeführt, aber nicht erklärt wird.

      Unser Problem als Heiden ist jedoch nicht die passive Vermittlung. In ihr schwingen – wenn auch oft mystisch verblümt – Erinnerungen an eine heidnisch-mystische Weltsicht mit (Beispiele sind z.B. der Kult um die heiligen drei Könige, das Hufeisen als Glücksbringer, das toi-toi-toi, die Räucherung von heiligen Stätten mit Weihrauch etc.).

      Die Schwierigkeiten tauchen in dem Bereich der aktiven Vermittlung von Regeln auf (z.B. beim Schulfach Religion). Hier sollte unser Wunsch nach Veränderung dahingehend wirken, dass die unumstößlichen oder undiskutierbaren Regeln, welche von den diesen Bereich dominierenden gesellschaftlichen Gruppen stammen, durch Alternativen flankiert werden. Wahlfreiheit und Zensur schließen sich gegenseitig aus!

      Aber es macht keinen Sinn, jetzt den Versuch zu unternehmen, dies auf allen Ebenen zugleich zu wiederholen. Durch das Anrennen gegen bestimmte Gruppen von Regeln – jenen Bereich nämlich, welcher das streift, was wir heilig oder mystisch nennen – kommt es dort zu obskuren Bündnissen im Esoterik-Bereich. Freunde freier Energien, UFO-Kontaktler, Revisionisten, Atlanter, Magier und Heiden treffen sich in einem Topf wieder, in den zumindest die Heiden ganz bestimmt nicht wollen.

      Unter anderem deswegen sollte man sich auf Bereiche konzentrieren, in denen man als Heide bessere Alternativen anbieten kann. Dieser Bereich umfasst meiner Ansicht nach Religion (Kult) und Magie. Die Erstellung daraus folgender Regeln resultiert in den beiden Hauptaufgaben dieser Themen: Der Vermittlung (und Suche) nach Sinn und der Vermittlung (und Suche) nach Beziehungen zwischen den Dingen.

      Sinnstiftung geschieht durch Religion. Die Verantwortung der heidnischen Religion steht hier in Konkurrenz zur staatlichen (mit-)organisierten Sinnvermittlung der christlichen Kirche. Heiden müssen Sinn stiften und Alternativen bieten. Dabei muss man sich – die geringen gesellschaftlichen Kräfte des Heidentums in Deutschland eingedenk – auf Bereiche konzentrieren, in denen ein Engagement nötig (!) ist.

      Sinnvermittlung, ja Sinnstiftung ist nötig zu heiligen Terminen (Geburt, Volljährigkeit [Geschlechtsreife, Mannbarkeit], Ehe, Tod; zur Priesterweihe und zu den Festterminen im Jahreslauf), aber auch zu existentiellen Fragen (Tod und Krankheit, aber auch Familienplanung und Beruf) und kultischen Fragen (Leben im Mythos).

      Aber Vorsicht: Im Gegensatz zum Kultischen, das bei den christlichen Kirchen sehr ausgearbeitet ist, steht bei Heiden meiner Ansicht nach das Primat des Göttlichen im Vordergrund. Die (Wieder-)Belebung heidnischer Religionen muss zuerst das Wesen der Gottheiten, ihren anderen Charakter klar machen. Der Boom des Heidentums im 20. Jahrhundert begann nicht in einem vom Christentum unterschiedenen Kultus, sondern in der Erarbeitung

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