Beatrice – Rückkehr ins Buchland. Markus Walther
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Das Innere des Kuriositätenladens hatte sich auch geändert. Zwar waren die Wände, die sich um das Schaufenster bogen, noch immer voller Regale. Doch die Exponate waren komplett ausgetauscht worden. Da waren Spieluhren, Plastikroboter und Handys, Schneidebrettchen mit Brotmesser, Tablet-PCs und leere Konservendosen, die mit einer Schnur verbunden waren. Neben der Tür, die zum Bücherraum führte, stand nun eine englische Telefonzelle. Auf unterschiedlich hohen Podesten in der Mitte des Raumes hatte jemand verschiedenste Schreibutensilien platziert. Gänsefedern, Kugelschreiber, Füllfederhalter und Stempel in allen Größen.
„Na, mein Lieber“, sprach Quirinus Ingo gönnerhaft an, „haben Sie etwas in meinen Schätzen gefunden?“
Überrascht stellte Bea fest, dass ihr Mann tatsächlich einen kleinen Drahtkorb in der Hand hielt. Der Verkäufer legte gerade einen in Leder eingebunden E-Book-Reader hinein. Dabei strahlte er, als hätte er den Rockefellers einen Trabanten zum Preis eines Lamborghinis aufgeschwatzt. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst“, entfuhr es Bea.
Ingo lächelte verlegen. „Wenn man ihn zuklappt, sieht er aus wie eines deiner Bücher.“
„Wenn man ihn aufklappt“, sagte Bea mit aller ihr zur Verfügung stehenden Ironie, „kannst du sogar darin lesen.“
„Ja, aber es passen 3500 Titel drauf. Ist doch nett.“
„Wie viele Bücher hast du in diesem Jahr gelesen?“
„Äh. Vier.“ Ingos Blick huschte hilfesuchend zum Verkäufer. Der nickte ihm auffordernd zu. „Ich kann sogar die Schrifthöhe variieren.“
„Siehst du schlecht?“
Ingo suchte die Flucht im Angriff: „Was hast du bloß gegen E-Books?“
„Herr Plana hätte gesagt …“, begann Bea.
„Du bist nicht Herr Plana“, unterbrach Ingo. Es klang grober, als es gemeint war.
Eine besonders scharfe Antwort lag Bea bereits auf der Zunge, doch Quirinus, der sich offenbar gerade köstlich amüsierte, sagte: „Ah! E-Book-Lesegeräte. Die Cola-Dosen unserer Zeit. Hier sieht man Blech, Kunststoff, Aluminium, ein Sondermüll-Akku und etwas Silikon. Auf der anderen Seite zeigt sich ein Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen, das biologisch abbaubar ist.“ Er drehte sich zu Bea: „Man soll sich dem Neuen nicht verschließen, sage ich immer.“ Jetzt wandte er sich Ingo zu. „Aber man darf es hoffentlich hinterfragen, ohne dass jemand böse wird.“
„Sie mögen auch keine E-Books?“, fragte Ingo irritiert.
„Doch! Doch!“ Quirinus legte einen Arm um Ingos Schulter und führte ihn in Richtung Kasse. „Ich bin der Inhaber eines Ladens voller Kuriositäten. Ich bestreite meinen Unterhalt mit so was.“ Ohne Punkt und Komma plapperte Quirinus einfach weiter, während er mit rascher Feder eine Quittung vorbereitete. „Sie haben eine gute Wahl getroffen! Egal, aus welchen Tiefen des Antiquariats Ihre Frau ein Buch hervorholt, Sie werden es sich schon vorher – vielleicht sogar kostenlos – aus dem Internet besorgen können. Irgendwann ist das Internet die wahre babylonische Bibliothek. Fitzek, Flemming oder Follett sind nur einen Klick entfernt. Ich kenne da ein paar Plattformen, auf denen Sie ganz umsonst … Ach, das kriegen Sie noch raus. Aber selbst wenn Sie Ihre Bücher kaufen möchten, sind Sie billiger dran. Buchhändler! Wer braucht die schon?“ Das alles klang nicht so, als würde er sich über Ingo lustig machen. Nein. Es hörte sich wie eine halbwegs sachliche Beschreibung der gegebenen Tatsachen an … wenn sie von einem fleißigen Versicherungsvertreter vorgetragen wurden. „Alles in allem – wenn Sie drei Jahre lang so richtig, richtig viel lesen – sieht die Umweltbilanz auch viel besser aus; besser als die beim althergebrachten Buch.“ Nun, zum Schluss seiner Ausführungen zwinkerte Quirinus Beatrice zu. Verschwörerisch. Hinterlistig. Teuflisch. „Im Allgemeinen habe ich natürlich nichts gegen Buchhändler.“
Blindbuch
Da Ingo ziemlich verschnupft auf Beas Reaktion reagiert hatte, sprachen sie den Rest des Abends nur noch das Allernötigste miteinander. Die Aufräumaktion im Keller wurde nicht mal in Erwägung gezogen. Ingo fläzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer und probierte demonstrativ die diversen Funktionen des Lesegerätes aus. Immerhin gab es auch zahlreiche „Apps“, die über das reine Lesevergnügen hinausgingen. Das Wort „Kuriosum“ durchfuhr Beatrice. Nachdem Ingo sich über eine Stunde mit dem ergänzenden Computerprogramm für seinen PC und den dazugehörigen Updates beschäftigt hatte, widmete er sich eine weitere Stunde einigen Minispielen. Schließlich blieb er bei einem Enhanced E-Book hängen. Ob er es tatsächlich las, konnte Bea nicht feststellen. Der mitgelieferte Soundtrack quäkte allerdings blechern und lautstark aus einer kleinen Öffnung an der Unterseite des Geräts und passte sich seinem angeblichen Lesefortschritt an. Mal blieb die Musik leise und unauffällig, mal schwang sie sich zu epischen Höhen auf.
Da sie sich nicht wirklich gestritten hatten, bemühte sich Bea in keinster Weise um eine Versöhnung. Sollte ihr Mann noch ein bisschen im eigenen Saft schmoren und mit dem Teil glücklich werden. Ausgerechnet ein E-Book-Reader! Sie kam sich verraten vor. Und seine Aussage, dass sie nicht Herr Plana sei, machte sie tatsächlich wütend. Als ob sie es nicht wüsste. Sie war kein Auktoral. Das hatte sie auch nie von sich behauptet.
Andererseits … Plana war der Protagonist ihrer Geschichte. Durch diese Geschichte war das Buchland erst möglich geworden. Und das Buchland war nun real. Herr Plana war auch real gewesen. Seine Gedanken waren irgendwie aus ihrem Kopf gekommen und hatten seine Person erschaffen. Oder hatte sie alles falsch verstanden? Wieder stand sie auf dieser Treppe, die sich spiralförmig in den Himmel streckte und beim Beschreiten doch nicht nach oben führte.
Dem Tag war endgültig die Farbe vergangen. Das bläuliche Schwarz der Nacht kroch durch die Straßen. Ingo war auf dem Sofa eingeschlafen. Der Reader lag noch eingeschaltet in seiner erschlafften Hand.
Beatrice nahm das Gerät und suchte nach der kleinen Taste, die einen nach oben offenen Kreis mit einem senkrechten Strich zeigte. Sie fand stattdessen einen winzigen Hebel an der Seite. Darin eingraviert, so klein, dass es kaum lesbar war, standen die Worte: „Hiermit sollest du den Apparath ausschaltigen.“
Natürlich: Wenn man sich ein solches Gerät in einem Kuriosum zulegte, musste man mit Überraschungen dieser Art rechnen. Also tat Beatrice wie ihr geheißen und sortierte alsdann den Reader im Bücherbord zwischen den Werken von Bruce Sterling und H.G. Wells ein.
Aus dem Schlafzimmer holte sie Ingos Plumeau und deckte ihn damit vorsichtig zu. Ein zaghafter Kuss auf die Stirn (die er sofort angestrengt zusammenzog), ein leises „Ich liebe dich“. Danach ging sie zur Garderobe, zog sich eine Jacke über und machte sich auf, um ein paar Gedanken zu sortieren, denn an Schlaf war für sie gerade nicht zu denken.
Die Straße war menschenleer, das Schaufenster des Antiquariats dunkel wie ein Loch in der Zeit. Auch die anderen Läden waren unbeleuchtet. Warum ihre Füße sie gerade hierhin getragen hatten, wusste Beatrice nicht. Schon hatte sie den Schlüssel in der Hand, schloss auf und stand im nächsten Augenblick zwischen den geliebten Büchern.
Sie wisperten wieder!
Aufgeregt.
Fordernd.
Wissend.
„Was wollt ihr mir sagen?“ Beas Stimme war nur ein Hauchen. Sie wagte es nicht, laut zu sprechen, weil sie Angst hatte, ihre Freunde mit ihren Worten zu verschrecken. Die Antwort, die sie erhielt, war so vielstimmig, dass sie nichts verstand.
Was