Original Linzer Tortur. Erich Wimmer

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Original Linzer Tortur - Erich Wimmer

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an dem Bild eines grotesken Gnoms, das er gerade abgab.

      Die alte Frau kehrte zurück in den Nebenraum, schlüpfte in die Träger eines bis an den Rand gefüllten Rucksacks und ergriff eine vollbepackte Reisetasche. Damit marschierte sie vorbei an dem Gefesselten, blieb aber in der geöffneten Tür stehen, um die Tasche noch einmal abzusetzen.

      »Weißt du, Ernst«, sagte sie mit einem Ton, der zugleich entschlossen und wehmütig klang, »dein Lebtag lang hast du alles andere lieber mögen als mich. Deine Waffen, die Jagd und diese … Briefmarken. Drum war es höchste Zeit, dass ihr einmal heiratet, du und deine Marken … und noch was, Ernst … schau endlich einmal Richtung Gott. Wird nicht mehr lange dauern und du stehst vor ihm. Dann wirst du dich vor ihm verantworten müssen … und er wird dich nicht fragen, warum du unschuldige Viecher aus dem Hinterhalt abgeknallt hast. Er wird dich was ganz anderes fragen: Warum hast du in deinem ganzen Leben kein einziges gutes Wort für einen anderen Menschen gehabt? Das wird er dich fragen. Und an deiner Stelle würde ich mir die Antwort gut überlegen. Weil die Ausrede, dass du selber eine schwere Jugend gehabt hast, die kannst du vergessen. Die gilt nicht vor Gott. Er hat dir ein langes Leben gegeben und dich reich beschenkt. Aber statt es ihm zu danken, hast du den anderen immer ins Gesicht gespuckt. Und ich war blöd genug, dass ich so lange zugeschaut hab … aber jetzt ist Schluss.«

      Ruhig und zielstrebig nahm sie die Tasche wieder auf und verließ die Wohnung.

      »Thudhu Shräggshau dhuhoihoide hohoarshshau«, krakeelte Herr Wagner, bevor seine allerletzten Kraftreserven verpufften. Völlig erschöpft sackte er in sich zusammen. Ihm blieb nur noch eine einzige konkrete Hoffnung: das Putzschwein. Dieser Trampel hatte sich sein schönes Geld noch nie entgehen lassen. Das würde sie auch heute nicht tun, dieses Rindvieh! Wenigstens einmal in ihrem nichtsnutzigen Leben konnte auch sie zu etwas nütze sein und ihm diese verfluchten Stricke vom Körper schneiden. Und dann würde er aufstehen, zu seinem Waffenschrank gehen, die Elefantenbüchse herausnehmen, sie mit dem größten Kaliber laden und seiner von Gott verdammten und vom Teufel zum Abschuss freigegebenen Gattin nachlaufen und ihr zeigen, was er von ihrem Abgang hielt.

      Dass sie irgendwann abgehen würde wie ein entzündeter Nierenstein, das hatte er im hintersten Hirnwinkel vielleicht für möglich gehalten, besonders in letzter Zeit, seit sie gar nicht mehr aus der Kirche herausgekommen war und sich immer wieder bei diesen verfluchten Priestern wichtig gemacht hatte. Aber diese hinterfotzige Art und Weise ihres Abgangs hatte er so nicht auf der Rechnung gehabt. Damit hatte sie ihn kalt erwischt. So viel musste er der Wahrheit halber zugeben. Ein derartiges Spektakel hätte er ihr nicht zugetraut, diesem verlotterten Luder, dieser pfaffenhörigen Frömmlerin, dieser dreckigen Mistsau.

      Die Vorstellung, wie ihr kleiner Körper durch die Wucht des schweren Kalibers abhebt und durch die Luft fliegt, quer durch das Wohnzimmer, bevor er schließlich auf den nadelspitzen Gazellenhörnern landet, der imaginäre Anblick seiner zwischen den Tierschädeln von der Wand hängenden Gattin, das Bild ihres mit Blei vollgepumpten, blutleeren, schlaffen Kadavers, den er den Geiern vorwerfen wird, damit die ihn bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, diese Vision verschaffte Herrn Wagner eine Welle der Genugtuung, die sich zu einem breiten, inneren Grinsen auswuchs. Ein Gefühl, das er dringend brauchen konnte, um die Wartezeit bis zu seiner Befreiung zu überbrücken.

1. Teil Großraum Linz

      1

      Ein mongolisches Zelt am Eingang zum Fegefeuer, bewohnt von drei diabolischen Hexenmeistern, die unlösbare Knoten in seinen mausgrauen Schicksalsfaden knüpften …

      Mit diesem Bild nahm Pius Korab seine allernächste Zukunft vorweg. Und das Schlimmste dabei war, dass er keine Wahl hatte. Er würde diesen Ort in Kürze erreichen und dann eintreten müssen in diesen mirakelschwangeren Kultraum. Kein Wunder, dass sein innerer Angsthase panisch an einem Fluchtplan feilte, während er seinem Freund Isonzo und dessen Hund Mooser scheinbar unbekümmert folgte. Die beiden marschierten zielsicher durch die Traunau, obwohl die Pfade kaum zu erkennen waren. Der beginnende Frühling hatte seine Bärlauchteppiche bis in die letzten Auecken gebreitet. Frischer Knoblauchduft hing wie eine unsichtbare Wolke zwischen den Pappeln.

      »Keine Angst, Pius«, sagte Isonzo, »du belangst den Falschen mit irgendwelchen Sorgen. Spätestens morgen sind deine Skrupel Sterngeschnupel. Du hörst dir einfach sein Angebot an. Und wenn es dir zu steil wird oder zu geil klirrt oder zu wenig wohlfeil schwirrt – dann sagst du ganz einfach Nein.«

      »Nichts ist komplizierter als ein einfaches Nein«, entgegnete Korab hilflos, »warum sagst du mir nicht ganz einfach Näheres über dieses … Angebot?«

      Isonzo breitete pathetisch die Arme aus, als wäre er der Heilige Franz von Assisi, der einem verwirrten Nagetier die drei Hauptaspekte der Frettchenfrage erklärt.

      »Weil es dir der Krake höchstpersönlich unterbreiten möchte. Vom Grund seiner Seele, durch Schlund und Mundhöhle will er dich alleine sprechen, ohne frechen Störfunk von irgendeinem Skunk.«

      Nach dieser Antwort verstummte Korab, als hätte man ihm den Mund mit Schaumrollenschaum ausgespachtelt. In seiner magischen Innenwelt war mit dem Aussprechen bestimmter Worte und Namen Unheil verknüpft. Und der Krake war ohne Zweifel der Inbegriff eines solchen Namens. Dahinter stand eine Persönlichkeit, die laut Isonzos Definition zur Speerspitze der global agierenden AntiKa-Bewegung gehörte. Dieser lose über sämtliche Kontinente verstreute Bund diverser Kapitalismuskritiker war effizient vernetzt und hatte es sich zum Ziel gesetzt, den geldgeilen Moloch mit seinen eigenen Mitteln zu bekämpfen. Man wollte nicht die alten Fehler wiederholen und alles mit allen teilen, wie das Kommunisten, Hippies und sonstige rührige Spinner versucht hatten. Die humane Gleichheit war eine Illusion, die nur für Paragraphen in schwülstigen Verfassungen reichte, aber in der Praxis immer an den unterschiedlichen Charakteren und Mentalitäten der Menschen scheitern musste. Die AntiKa wollte dieser Diversität Rechnung tragen und gleichzeitig auf eine solidarische Weise jene ökonomischen Grenzen definieren und als verbindlich einfordern, an denen das Kapital kontraproduktiv wurde. Geld sollte weiterhin benutzt werden, aber wieder als Mittel zum Zweck und nicht als Zweck an sich, der sich immer wieder zu einer unkontrollierbaren Instanz auswuchs, die den überwiegenden Teil der Menschheit versklavte. Diesem Programm hatten sich der Krake und seine Mitstreiter mit einer Vehemenz verschrieben, die einem Teufelspakt in nichts nachstand. Aus der absoluten Illegalität diverser Großvermögen, die einzelne oder Konzerne besaßen, leitete die AntiKa das absolute Recht ab, bei ihrem Kampf um ökonomische Gerechtigkeit ebenso auf illegale Mittel zurückzugreifen. Dazu gehörte unter anderem das Fälschen von Geld und Dokumenten – und genau hier lag das Quellgebiet von Korabs nicht geringer Sorge.

      Auf Vermittlung Isonzos, der zusammen mit dem Kraken Biologie studiert hatte und seither einer seiner engsten Freunde war, fälschte die AntiKa für Korab seit Jahren diverse Ausweise und ersparte ihm damit eine Menge Ausgaben. Wenn Korab ins Kalkül zog, dass er als freischaffender Privatdetektiv, diplomierter Kunstvermittler und selbst ernannter Fishing Guide gerade einmal genug verdiente, um die Standgebühr für seinen Wohnwagen zu bezahlen und sich halbwegs passabel zu ernähren, dann war die Geldmenge, die er sich ersparte, weil er jedes Jahr eine kostenlose Karte für die öffentlichen Verkehrsmittel in Linz bekam, geradezu zu einem Grundpfeiler seiner Existenz geworden. Ganz zu schweigen von den Fischereilizenzen und den diversen Ausweisen, mit denen er seine Identität je nach Bedarf wechseln konnte. Dass er immer wieder glaubhaft als Polizist, Tierarzt oder Universitätsprofessor für Kunstgeschichte auftreten konnte, hatte er ausschließlich dem Kraken und der fälschungstechnischen Brillanz seiner Truppe zu verdanken. Theoretisch konnte Korab eine Bitte des Kraken ablehnen, aber in der Praxis stand er soweit in seiner Schuld, dass er deutlich spürte, wie das Wort Nein langsam aus seinem Wortschatz verdunstete.

      »Der Krake ist bei weitem nicht so arg wie der Sarg, in den ihn deine Gespenstermaler stecken«, verteidigte Isonzo seinen Kumpel erneut, weil es nicht schwer war, das ungewöhnlich lange Schweigen Korabs

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