Original Linzer Tortur. Erich Wimmer

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Original Linzer Tortur - Erich Wimmer

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      »Du gefällst mir«, sagte der Krake trocken, »bist ein Scherzkeks.«

      »Museumsmäßig betrachtet bin ich sogar noch weniger«, ergänzte Korab, »ich bin sowas wie das letzte Segment vom Enddarm. Freiberuflicher Kunstvermittler. Ich hab’ zwar ein Kunstgeschichtestudium abgeschlossen und sogar eine Diss geschrieben, über Stahlskulpturen und die ästhetische Bedeutung von Rost, falls ihr es genau wissen wollt, aber das hilft mir überhaupt nichts. Ughde, das ist die Abkürzung für Unser geliebter Herr Direktor Ebner, der Oberboss des LinzMuseums, also Ughde, mein Herr und Gebieter, kennt noch nicht einmal meinen Namen. Kunstvermittler wie ich, die durch sein Museum schwirren, haben für ihn den gleichen Stellenwert wie die Bakterien, die durch seine Darmzotten wandern. Wir freien Mitarbeiter haben null hoch minus null Befugnisse. Ich kann nicht einfach den Direktor fragen, ob ich etwas in seinem Depot abstellen darf.«

      »Du sollst auch niemanden fragen«, erklärte der Krake. »Stellst das Bild einfach unauffällig ins Eck, zwischen die anderen Bilder. Dort, wo garantiert kein Mensch nachschaut. Ist ja zeitlich beschränkt.«

      Der fleischige Kopf des Kraken machte einen Schwenk Richtung Tisch. Beim Anblick der dort abgestellten schmalen, aber professionellen Klimakiste sprangen Korab die letztwöchigen Zeitungs-Schlagzeilen wie eine bösartige Affenbande vor den inneren Projektor: Wertvolles Schiele-Bild aus dem Lentos gestohlen. Professionelle Kunstdiebe stehlen Schieles Gemälde »Frau mit Katze«. Unersetzlicher Verlust für Linz. Profibande raubt den teuersten Schiele.

      Korab räusperte sich. Dieses Bild, das da so ruhig und unsichtbar in seiner Holzverschalung lag, war mit grässlicher Wahrscheinlichkeit eine Ikone der Moderne. Eine der Ikonen. Unbezahlbar, einzigartig und von dubiosen Kunstsammlern sicherlich begehrt wie ein reifer Apfel von der Schwerkraft. Daran bestand für Korab kein Zweifel. Der bestand nur darin, ob er diesem Moment und den in diesem Moment auf ihn einstürmenden Ansprüchen gewachsen war.

      Der Krake ist ein konsensualer Typ, hörte Korab Isonzo in Gedanken wiederholen. Es geht da nur um eine kleine Gefälligkeit. Eine winzige Zuarbeit. Natürlich hatte er es besser gewusst. Natürlich hatte sein Problemabwehrzentrum völlig zu Recht den Großalarm zeitgerecht ausgelöst. Und jetzt stand er da, mit den Zähnen im Mund, wie sein Großvater gerne formuliert hatte. Korab wäre sogar bereit gewesen, in ein Kanonenrohr zu steigen, nur um sich von hier wegzuschießen.

      »Ich überlege …«, sagte Korab und erlebte einen Glücksfall, der viel zu ideal war, um real zu sein. Aus seiner rechten Hosentasche kam sein neuester Klingelton, das plätschrige Klatschen eines original ungarischen Wallerholzes, mit dem man laut Isonzo sogar die vorsichtigsten Welse aus ihren Unterwasserhöhlen locken konnte. Korab entschuldigte sich bei den Anwesenden, griff nach seinem Telefon und verließ die Jurte.

      Im Freien marschierte er sofort Richtung Nordpol, bevor er sich mit seiner Detektivstimme meldete, die er deutlich rauer anlegte als seine Kunstvermittlerstimme. Er sprach seinen Namen sogar ein wenig unwillig aus, als hätte er einen Haufen anderer Fälle am Hals, die dringend nach einer Lösung verlangten.

      »Guten Tag. Hier spricht Sarah Rabental«, erklärte ihm die Stimme einer vermutlich etwas älteren Frau. »Sind Sie der Detektiv aus der Zeitung?«

      »Ja«, bestätigte Korab, »ich hab da ein kleines Inserat geschaltet.«

      »Gut. Sehr gut. Ich habe nämlich ein dringendes Anliegen, Herr Detektiv. Meine Bekannte ist verschwunden. Jetzt brauche ich jemanden, der sie sucht.«

      »Das ist sehr bedauerlich, aber da müssen Sie sich an die Polizei wenden«, versuchte Korab, die Affäre zu umschiffen. »Die hat ganz andere Möglichkeiten. Ich suche aus Prinzip keine Verschollenen. Verschollene waren entweder nur besoffen und liegen dann in irgendeiner Bar länger am Klo – und niemand will dafür etwas zahlen, wenn ich die heimbringe – oder sie sind tatsächlich verschollen und daher mit noch so viel Aufwand unauffindbar. Und für ergebnislose Recherchen zahlt auch niemand gern. Verschollene sind für einen Detektiv eine echt miese Mission.«

      »Das verstehe ich schon«, antwortete Frau Rabental, »aber an die Polizei kann ich mich nicht wenden. Die soll meine Bekannte gar nicht finden.«

      »Und warum?«, fragte Korab mit erhöhter Aufmerksamkeit.

      »Weil sie unschuldig ist.«

      »Woran?«

      »Kommen Sie einfach zu mir, bitte«, forderte Frau Rabental, »dann erkläre ich Ihnen alles ausführlich.«

      Korabs inneres Sparschwein machte ein paar heftige Grunzer. Seine letzte Fütterung lag ein gefühltes Jahrhundert zurück, irgendwann zu der Zeit, als Picasso sein erstes abstraktes Bild gemalt hatte.

      »Falls ich zu Ihnen komme, Frau Rabental«, sagte Korab wenig enthusiastisch, »dann kostet dieser Besuch in jedem Fall einhundert Euro. Ohne Rechnung und bar auf die Hand und ohne neuerliche Aufforderung in genau dem Moment, wo ich bei Ihnen eintrete. Und unabhängig davon, was bei unserem Gespräch rauskommt. Nur wenn Sie damit einverstanden sind, schaue ich heute noch bei Ihnen vorbei.«

      »Ich bin einverstanden«, sagte Frau Rabental, ohne zu zögern, »sehr sogar. Ich mag Menschen mit Prinzipien …«

      Nachdem sie ihre Adresse durchgegeben hatte, legte Frau Rabental auf. Korabs Bewegungen zurück Richtung Jurte waren so zäh, als wäre der Auboden mit klebrigen, kurz vorgekauten Kaugummiklumpen gepflastert.

      »Also …«, sagte Korab beim Eintreten, »es war echt nett mit euch, aber ich muss jetzt los. Ich hab einen neuen, extrem dringenden Auftrag … ja, und … also … genau, das Bild … was das betrifft, da rede ich heute noch mit unserem Archivar. Ohne den und seine Zustimmung geht gar nichts. Aber der ist ein Freund von mir, schwer in Ordnung, ein patentes, unkompliziertes Bürschchen …«

      »Kann der auch das Maul halten?«, wollte der Krake wissen.

      »Absolut«, bestätigte Korab.

      Der Krake nickte nachdenklich, während Molly Müller gerade damit anfing, auch noch ihre rechte Brust zu bemalen. Mit einem Rundumnicken verabschiedete sich Korab von den Anwesenden.

      »Und was ist mit Mampf?«, fragte Isonzo vorwurfsvoll. »Der Eintopf köchelt schon. Brachsen und Schleien werden uns freuen.«

      »Heb mir was auf«, bat Korab, »ich komm irgendwann später wieder … aber jetzt muss ich wirklich los.«

      Vor der Jurte atmete Korab tief durch. Hier war die Luft deutlich weniger mit Altlasten kontaminiert und frischer, trotz der omnipräsenten Bärlauchschwaden. Pro Kubikzentimeter schwirrten genug Sauerstoffatome herum, um Korabs Gedankenglut neu anzufachen. So viel stand fest: Frau Doktor Molly Müller war das unkomplizierteste weibliche Wesen, das ihm je begegnet war. Ihr Nacktsein war derart selbstverständlich gewesen, dass sie gar nicht unbekleidet gewirkt hatte. Im Gegenteil. In ihrer Gegenwart waren es eher die mit Gewand Behängten gewesen, die den Anschein erweckt hatten, als übertünchten sie mit Ihrem Bedeckungsfimmel irgendwelche gröberen Psychoprobleme. Aber was hatte Molly mit diesem ausgepressten Saft gemeint? In Isonzos Jurte gab es weder eine Presse noch irgendwelche Früchte.

      Während er auauswärts schritt, spürte Korab, dass in dem Wort Molly ein konkreter Gegenstand enthalten war: der Lolly. Eine klebrig süße Tiefbohrschraube aus buntem Kringelzucker, die so weit durch Mund und Gurgel dringen konnte, bis man den eigenen Seelensee erreichte und an dessen Ende Gondwana, den Urkontinent. Dort stand er zusammen mit Molly, Hand in Hand, und sah voller Erstaunen, mit welchen Pflöcken, Ringen und Tätowierungen sie ihren restlichen Körper geschmückt hatte. Mit diesen Bildern im Kopf erreichte

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