Original Linzer Tortur. Erich Wimmer

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Original Linzer Tortur - Erich Wimmer

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Vampire«, fluchte Isonzo. »Es ist immer das Gleiche. Sie saugen dir Zeit und Chi aus deinem Körper. Und wenn du sie zurückweist, bevor sie dich leergesoffen haben, dann explodiert ihre Wut. Sie wollen dich dafür töten, dass du dich ihrer Willkür entziehst und dein Blut womöglich jemand anderem schenkst. Gedenk dieser Worte: Es gibt nur die eine und die andere Menschensorte: Sauger und Ausgesaugte.«

      »Und zu welcher Gruppe gehören wir?«, fragte Korab.

      Isonzo lächelte breit. »Wir sind Forellen in Wellen und Wirbel. Aber vorher, du Zwirbel, treffen wir noch den lieben Kraken und quaken mit ihm und seinem Assistententeam.«

      »Was heißt Assistenten?«, fragte Korab. »Wer sind die überhaupt?«

      »Leute, harmlose, liebe, wie scheue Sonnenstrahldiebe«, blieb der Angesprochene auf der lyrischen Welle, bevor er wieder eine Spur sachlicher wurde. »Seinfreund ist ein Computergenie und ein begnadeter Didgeridoo-Spieler, Molly Müller ist Anthropologin. Sie kommt gerade aus Neuguinea. Hat dort ihre Dissertation geschrieben über ein Pygmäenvolk, bei dem sie ein paar Jahre gelebt hat.«

      »Was macht eine Anthropologin in der Krakentruppe?«

      »Frag sie«, sagte Isonzo, »der Krake rekrutiert ständig neue Leute. Gestern am Grillenweg hab ich Molly Müller zum ersten Mal gesehen.«

      »Das heißt«, schlussfolgerte Korab, »die drei sind in deiner Stadtwohnung abgestiegen?«

      »Genau«, bestätigte Isonzo, »aber treffen wollten sie dich hier draußen in der Jurte. Ist gemütlicher.«

      »Und anonymer«, sagte Korab so leise, dass Isonzo es unmöglich hören konnte.

      2

      Isonzos Jurte stand auf einem fünf Hektar großen Augrundstück zwischen Traunmündung und Donau. Dieses Areal hatte sein früh verstorbener Vater, der durch eine Fleischhauerei reich geworden war, vor Jahrzehnten billig gekauft. Damals waren die Baumarten im Auwald – vorwiegend Pappeln und Weiden – wirtschaftlich uninteressant gewesen, ebenso wie der Wert eines Rückzugsgebietes für bedrohte Tierarten und die Bedeutung einer immobilienfreien Überschwemmungszone.

      Nachdem er den Auwald und ein Zinshaus in Linz geerbt hatte, war Isonzo in die Mongolei gefahren und hatte so lange bei den Einheimischen gelebt und von ihnen gelernt, bis er eine Jurte selbst bauen konnte. Dann war er wieder zurückgekommen und hatte sich durch die Mitarbeit als Wildfütterer bei den hiesigen Jägern so beliebt und unentbehrlich gemacht, dass die nichts anderes als Ja sagen konnten, als er ihnen den Plan von der Aufstellung seiner Jurte vorlegte. Offiziell war die exotische Rundhütte ein transportables Futtermitteldepot für Rehe. Diese Funktion seines Bauwerks war das Bollwerk gegen den immer und überall drohenden Einfall von Beamtenhorden aus der Linzer Baubehörde, die den Hunnen und Hussiten an Abrisswut in nichts nachstanden.

      »Moment«, rief Korab, als die Jurte schon in Sichtweite gekommen war, »mein Schuhband ist offen.«

      Er kniete nieder und zwirbelte so langsam und ausführlich an den Bändern, als sollte er anstelle der Schlaufe eine Lotosblüte knüpfen. Um sich zu beruhigen, verdrängte er den Kraken und seine Truppe und klammerte sich an die Aura der Gegenstände in Isonzos rundem Heim. Das erdweiche Ocker und das krustige Blutrot der Nomadenteppiche, der kleine, mit feinen Ziselierarbeiten versehene Ofen, auf dem immer irgendein Fischeintopf vor sich hin köchelte, der gläserne Bücherkasten, der die Quintessenz von Isonzos papierenen Freunden enthielt, sowie die beiden einzigen Bilder an den Jurtenwänden. Auf einem war Dostojewski mit Ölfarben verewigt. Er stand in einem dunklen Keller, der sich in eine unüberschaubare Zahl von immer noch dunkler werdenden Abteilen verliert. Das zweite Bild war eine DIN-A3-Fotografie von Anna Politkowskaja. Auch sie war eine von Isonzos Heldinnen. Zwei Russen, zwei Seelen so tief wie der Baikalsee, unbeugsam und ohne Angst vor den großen Dämonen. Borgt mir etwas von eurem Drachentötermut, bat Korab im Stillen, erhob sich neu motiviert, ging noch die paar Schritte und trat endlich ein.

      »Howdy, Pius«, hörte er jemanden sagen. Ein Cowboygruß. Wie sollte er diese transkontinentale Grußvariante beantworten? Wieder einmal stand ihm sein Vorausdenken so sehr im Weg, dass er sich für seinen Notgruß entschied: »Ahoi.«

      Im Nachklang fand er diesen maritimen Ton gar nicht so unstimmig. Kuhbuben und Seebären. Grüne Weide und blaue Weite.

      »Fein von dir, dass du dir Zeit nimmst für uns«, sagte ein fleischig-muskulöser Mittdreißiger, der entspannt auf den Teppichen lümmelte und auf dessen Kopf ein totgegrillter Oktopus lag, mit verkohlten Tentakeln, die über Schläfen, Nacken und Schultern hingen. Dreadlocks, hörte Korab seinen inneren Modefachmann flüstern, dessen Stimme von den vielen vergeblichen Beratungen ganz heiser geworden war, das sind Dreadlocks, kein toter Oktopus, du modischer Totalausfall.

      »Ja«, antwortete Korab ausufernd. Es war nicht der Anblick des Kraken oder gar seine zwanglos freundliche Begrüßung, die Korab verwirrten. Es war auch nicht der erstaunlich normalhaarige, ein wenig dehydriert wirkende Seinfreund, der im Hintergrund der Jurte in seinem Laptop versunken war, als wäre der Bildschirm seine aufgeklappte Bauchhöhle. Es war Molly Müller. Diese Frau, diese junge Frau hatte Korabs innerem Teufelandiewandmaler mit ihrem Anblick glatt die Kehle durchgeschnitten. Nicht einmal ein kleines Röcheln war noch zu hören in der umfassenden Stille, die Korabs Staunen immer weiter in die Unendlichkeit dehnte. Molly Müller war nackt. Zumindest vom Nabel aufwärts. Mit gekreuzten Beinen saß sie auf einem der Teppiche, zwischen dem Kraken und Seinfreund, und bemalte ihre linke Brust mit Henna. Im Gegensatz zur Weichheit des feinen Pinsels waren ihre Brüste so hart und voluminös wie zwei mit Haut überzogene Sturzhelme für Hochgeschwindigkeitsschirennen. An der Spitze dieser mammagenen Haubitzen wirkten die Warzen wie zwei Zyklopenaugen, weil Molly feine Adern malte, die von einem dieser Augen weg ins Innere der milchschweren Berge führten. Aber das alles war noch harmlos verglichen mit dem eigentlichen visuellen Ereignis: Molly Müller trug einen kapitalen Nasenpflock und Ohrringe, die ihre Läppchen zu kleinen Lassos dehnten. Damit kannst du mindestens ein Kalb einfangen, sollten den Cowboys einmal die Schnüre ausgehen, kam endlich wieder eine halbwegs pragmatische Einflüsterung aus Korabs Innerem. Und außerdem, sinnierte sein innerer Prähistoriker weiter, freut sich jedes Pfahlbaudorf, sollte Molly einmal die Lust an ihrem Nasenpflock verlieren und ihn spenden wollen. Der Krake und Isonzo wechselten ein paar verständnisinnige Blicke, die Korabs beredtem Schweigen galten, während Molly weitermalte und Seinfreunds Finger wie Hagelschauer auf die Tastatur niedergingen.

      »Wir haben da ein kleines Problem«, setzte der Krake frisch an, obwohl sich die Halbwertszeit von Korabs Staunen noch nicht einmal halbiert hatte, »bei dem wir deine Hilfe benötigen.«

      Wobei, fragte sich Korab, kann eine Blattlaus drei ausgewachsene Nilpferde unterstützen?

      »Wir brauchen dein Museum«, wurde der Krake konkreter. »Du hast da einen unauffälligen Zugang. Sollst was deponieren. Vorübergehend …«

      »Was denn deponieren?«, brachte Korab eine Rückfrage zuwege.

      »Bloß ein Bildchen«, antwortete der Krake. »Braucht aber perfekte Lagerbedingungen. Du weißt schon, richtige Luftfeuchtigkeit, staubfrei und immer schön gleichmäßig temperiert. Sowas hat’s nur im Museum.«

      »Aber …«, begann Korab, wurde aber von Molly Müller unterbrochen, die mit ihrer Malarbeit innehielt und ihm plötzlich mit voller Aufmerksamkeit ins Gesicht sah.

      »Soll ich dir’n Safd ausbrrressn?«, fragte Molly schneeflockenweich, mit flappenden Labiallauten, blubbernden Lippenwülstchen und Augen, die sich immer weiter vergrößerten, wie zwei über einem Bergrücken nebeneinander aufgehende

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