Himmlisch frei. Renata Schmidtkunz

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Himmlisch frei - Renata Schmidtkunz

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Österreich 1), sowie in Gesprächen mit Freundinnen und Freunden immer wieder feststellte, dass sich die Fragen nach dem Woher und Wohin, nach Gerechtigkeit und dem guten Leben für alle häufen. Und weil ich glaube, gemerkt zu haben, dass ich nicht die einzige bin, die Ordnung in ihr areligiös-rational-emotional-politisches Denksystem bringen muss.

      Der Zauber der Welt

      ∞

      Was Transzendenz ist und was sie kann

      Die zentrale These dieses Buches lautet also, dass uns Transzendenz in einer ihr feindlichen, von kapitalistischem Effizienzdenken geprägten Gesellschaftsordnung abhanden gekommen ist, und dass wir wieder mehr davon brauchen, um frei und selbstbestimmt ein gutes Leben führen zu können. Doch was ist das eigentlich, Transzendenz?

      Eine 85-jährige Freundin aus Kärnten, Liesl Wirnsberger, die in ihrem beruflichen Leben Landwirtin, Wein- und Bergbäuerin war und eine Kennerin der Natur, der Kräuter und ihrer Heilkräfte ist, nicht religiös, sehr belesen und welterfahren ist, und die über einen bestechenden Humor verfügt, antwortete, als ich ihr diese Frage stellte: »Weißt du, ich fühle es, aber ich kann es nicht ausdrücken.« Dieser Satz ließ mich innehalten. Warum, fragte ich mich, kann eine so kluge Frau wie Liesl das nicht ausdrücken?

      Nach der Definition des deutschen Philosophen Ernst Tugendhat, Autor des 2007 erschienenen Buches Anthropologie statt Metaphysik, ist Transzendenz das »Übernatürliche«, das, was »jenseits der raumzeitlichen Welt« ist. Raum und Zeit sind aber die wichtigsten Wahrnehmungskriterien des Menschen. Wir nehmen unsere Wirklichkeit durch Raum und Zeit wahr, unser ganzer Alltag besteht daraus, wir denken in Raum und Zeit. Dass die Transzendenz jenseits davon liegt, macht es uns schwer, sie zu erfassen. Sie entspricht nicht unseren täglichen Erfahrungen.

      Ich beschloss, mehr Menschen nach ihrem ganz persönlichen Verständnis von Transzendenz zu befragen, darunter einige meiner Interviewpartnerinnen und -partner aus meiner Radioreihe Im Gespräch. Einige wirkten überrascht und hatten unerwartet viel Mühe, Transzendenz zu beschreiben. Viele sagten: »Ich glaube nicht an Gott!« oder »Mit der Kirche will ich nichts zu tun haben.«

      Wenn ich einwandte, es gehe mir nicht um Gott, die Kirchen oder spezifische Religionen, waren manche erst recht überrascht. Doch von einigen Menschen bekam ich Rückmeldungen, die mich bei der Arbeit an diesem Buch inspirierten.

      »Transzendenz ist das Instrument und das Ziel auf dem Weg der Entwicklung«

      Angelika Hagen, Musikerin und Coach, schrieb mir:

      Transzendenz ist für mich eine Art der erweiterten, vertieften Wahrnehmung, die grundsätzlich allen Menschen zur Verfügung stehen würde. Sie ist ein Instrument und das Ziel auf dem Weg der Entwicklung zu sich selbst und der All-Verbundenheit mit dem großen Ganzen. Wichtige Elemente sind dabei unter anderem Musik, Malerei, Poesie, Tanz und ähnliche Ausdrucksformen, Natur, Achtsamkeitspraxis, Dialogkultur.

      Hagen assoziiert Transzendenz also nicht mit dem Gott einer bestimmten religiösen Tradition, sondern versteht den Begriff als eine Art des Lebens, der Haltung zum Leben. In diesem Leben geht es um die Entwicklung des Menschen »zu sich selbst«. Das heißt, Sensitivität und Aufmerksamkeit sind ein Weg des Lernens, um sich als Mensch zu vervollkommnen. Es erscheint mir naheliegend, dass eine Künstlerin wie sie die Kunst als Weg zur Transzendenz versteht.

      »Transzendenz ist das Suchen und Erfassen von dem, was sich feinstofflich um uns herum abspielt«

      Einen im Vergleich zu Hagen ganz anderen Weg, sich dem Begriff zu nähern, beschreibt die Schriftstellerin und Journalistin Ljuba Arnautovic, Autorin des 2018 erschienenen Romans Im Verborgenen. Sie antwortete so:

      In den 1970er Jahren ging es mir um Bewusstseinserweiterung, herbeigeführt durch Hilfsmittel wie Drogen, Musik, Tanz, Meditation. Dann wurde daraus ein Suchen und Erfassen von etwas, das sich feinstofflich um uns herum abspielt, dieses »Mehr zwischen Himmel und Erde«.

      Ljuba Arnautovic ist ein Kind der Flower-Power-Bewegung, die Bewusstseinserweiterung auch als politischen Akt verstand. Die 1970er Jahre, in denen sie ihre jungen Erwachsenenjahre intensiv erlebte, waren die Zeit des Ausprobierens von Liebes- und Lebensformen, starkem politisch-feministischem Engagement und intensiven Körpererfahrungen.

      Von der Erweiterung des Bewusstseins durch psychogene Substanzen erwartete man damals, vor allem unter dem Eindruck des Vietnamkrieges, der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der sich ausbreitenden industriellen und konsumistischen Moderne, auch eine politische Veränderung: erhöhtes transzendentes Bewusstsein versus brutale Imperialpolitik. Dann, schreibt Arnautovic, wurde daraus ein Suchen nach dem, was zwischen Himmel und Erde ist, womit sie auch zeigt, dass sich unsere Vorstellungen über das Transzendente mit den Jahren verändern, genau wie alle anderen Vorstellungen, die wir uns von den Dingen des Lebens machen.

      »Transzendenz ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch zwischen Gut und Böse unterscheiden kann«

      Die tschechische Soziologin Alena Wagnerová schrieb mir:

      Ich denke, der Mensch braucht einen Bezug zu etwas, das außerhalb seiner sinnlichen, weltlichen Erfahrung liegt. Dieser Bezug macht den Menschen zum Menschen, sowohl individuell als auch ganz allgemein. Transzendenz ist unabdingbar, wenn wir die Welt und uns selbst nicht nur auf die rationale Erkenntnis reduzieren wollen. Sie ist auch die Voraussetzung dafür, dass der Mensch zwischen Gut und Böse unterscheiden kann.

      Wagnerová spricht damit etwas an, das mir besonders viel bedeutet: dass uns ein Bewusstsein für Transzendenz hilft, unsere Fähigkeiten, die Welt wahrzunehmen, zu schulen.

      »Transzendenz macht uns klar, dass wir begrenzt sind«

      Eine Frau, die vom Fach ist, die evangelische Theologin und Bischöfin Margot Käßmann, beantwortete meine Frage mit diesen Worten:

      Transzendenz ist mir wichtig, weil so klar wird, dass wir begrenzt sind in dem, was wir sehen, erkennen, beurteilen können. Gott ist mehr und größer als unsere Wahrnehmung. Das finde ich persönlich auch entlastend: Ich werde nicht die ganze Welt verändern, aber ich darf an meinem Ort, hier und jetzt, Verantwortung übernehmen für ein größeres Ganzes, für die Visionen von Frieden und Gerechtigkeit, wie sie die Bibel in den Propheten oder auch den Gleichnissen Jesu vermittelt.

      Transzendenz schafft Distanz, meint Käßmann. Man kann klarer sehen, wo die Grenzen der Vernunft liegen und wo ein Bereich beginnt, in dem wir uns nur hingeben können. Die menschliche Allmächtigkeit, die Käßmann als belastend empfindet, schwindet bei diesem Gedanken dahin.

      Auch das Urteil, die Be-Urteilung, übrigens ein wichtiges Instrument einer auf Konkurrenz und Wohlverhalten ausgerichteten Gesellschaft, verliert so seine Herrschaftsmacht. Denn gemessen an Gott, an Transzendenz, ist jedes Urteil über andere und sich selbst eine Anmaßung. Das Urteil, das einen Menschen immer auf etwas festlegt und ihm abspricht, sich jederzeit auch ändern zu können, wird so zum Gegenteil der Unendlichkeit, zum Gegenteil der unbegrenzten Möglichkeiten des Seins.

      »Transzendenz ist das Verlassen der Realität«

      Die Künstlerin Lore Heuermann, die viele Jahre auf Reisen, nicht nur im Fernen Osten, verbrachte und sich in ihrer Kunst mit dem menschlichen Körper im Raum, in Bewegung,

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