An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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institutionelle Tradition dies nicht verhindert. Die aktuelle Marginalisierung der Kirche deckt auf, dass sie schon lange nicht mehr ihren Ort in Gesellschaft und Kultur, Staat und Politik einfach selbst bestimmen kann. Sie ist zwar Subjekt ihrer selbst, aber eben auch Unterworfene ihrer Zeit. Sie und ihre Themen werden ihr auch von außen gesetzt, und nirgends zeigt sich dies deutlicher als dort, wo sie getroffen aufbraust.

      Der zentrale religionssoziologische Hintergrundbefund hierfür dürfte sein, dass sich Religion offenbar zunehmend nach jenem Muster vergesellschaftet, nach dem in dieser Gesellschaft nun einmal immer mehr organisiert wird: Religiöse Praxis wird zunehmend nach den Regeln des Marktes organisiert. Für diese Annahme spricht nicht zuletzt, dass auf ihrer Basis die drei gegenwärtig virulentesten religionssoziologischen Thesen auf einer höheren Ebene synthetisiert werden können.

      Die schon etwas ältere Säkulariserungsthese7 hält dann die schlichte Wahrheit fest, dass sich niemand auf spezifische Märkte begeben muss und dass sich tatsächlich manche gar nicht erst auf den religiösen Markt begeben. Die These von der religiösen Individualisierung8 hält dann fest, dass, wer sich aber auf den religiösen Markt begibt, auf diesem Markt zumindest grundsätzlich auch jene Freiheit behält, wie sie Kunden zusteht: Er behält sie diachron, denn er kann den Anbieter wechseln, wenn er will, und er behält sie synchron, denn er kann verschiedene Anbieter kombinieren. Und er behält die Freiheit zu wechselnder Intensität, auch das entspricht normalem Kundenverhalten.

      Die Postsäkularitätsthese9 hält dann die selbst etwas verwunderliche Verwunderung fest, dass es den religiösen Markt überhaupt noch gibt, dass er doch unerwartet stabil zu sein scheint und dass mit ihm weiter zu rechnen ist, wie etwa die Zahlen des Religionsmonitor 2008 zeigen.10 Oder anders und kurz gesagt: Die Säkularisierungsthese hält die Freiheit vor dem religiösen Markt, die Individualisierungsthese die Freiheit im religiösen Markt und die Postsäkularitätsthese die Freiheit des religiösen Marktes – etwa gegenüber den mehr oder weniger Gebildeten unter seinen Verächtern – fest.

      Für die Kirchen, die katholische zumal, hat diese innerhalb der Deregulierungsgeschichte Europas letztlich erstaunlich späte Deregulierung religiöser Praxis einschneidende Folgen. Es bedeutet schlicht: Religion wird nicht mehr im kirchlichen Dispositiv vergesellschaftet, das Religion in Konzepten von exklusiver Mitgliedschaft, lebenslanger Gefolgschaft und umfassender religiöser Biografiemacht organisierte.

      Es herrscht auch nicht mehr das aufklärerische Dispositiv des Religiösen, das sich an der Konsistenz religiöser Praxis und religiöser Inhalte vor der Vernunft abarbeitete und von dieser Konsistenz her Religion beurteilte, manchmal auch verurteilte. „Der Problemhorizont religiösen Erlebens ist die individuelle Lebensführung“,11 so der Münchener Soziologe Armin Nassehi in seiner Auswertung des Religionsmonitors 2008. Die für den Religionsmonitor geführten Interviews folgen daher auch „zum größten Teil nicht jener bürgerlichen Erwartung an Konsistenz und konfessionelle Eindeutigkeit der religiösen Selbstbeschreibung.“12 Was herrscht kann man vielleicht am ehesten als autologisches Dispositiv bezeichnen, als Organisation und Praxis von individueller Religion nach dem, durchaus nicht beliebigen und trivialen, aber stets individuellen biografischen Bedürfnis. Das folgt einer eigenen Logik, der Logik der prekären Lebensbewältigung auch mit Hilfe von Religion.

       2 Die zweifache Gefahr des Marktes

      Die alten Anbieterinstitutionen der Religion geraten dadurch natürlich unter massiven Transformationsstress. Vor allem müssen sie ein Konzept finden, auf dem Markt zu agieren, ohne ihm zu verfallen. Das müssen sie, denn sie haben gar keine Alternative: Die Kirchen können den Kontext ihres Handelns nicht mehr selber kontrollieren, was sie ja lange konnten und noch länger wollten. Dem Markt verfallen, das dürfen sie nun aber um ihrer Botschaft willen auch nicht. Denn in dieser Botschaft geht es um Umkehr und Erlösung, um Tod und Auferstehung der Leidenden und nicht um das schöne, reiche Leben des spätestens gegen die Armen und Kranken erbarmungslosen Marktes.

      Ohne Zweifel: Die Kirche ist auf den (religiösen) Markt geraten, eine irreversible Änderung ihrer Kontextbedingungen epochalen Ausmaßes. Eines aber hat sich nicht geändert: Wie schon in früheren Epochen ihrer Geschichte und damit in der Inkarnationsgeschichte der christlichen Botschaft unterliegt die Kirche auch heute der Dialektik von „nicht entkommen können“, aber auch „nicht verfallen dürfen“. War sie in vormodernen, feudalen Zeiten „an die Macht“ geraten und damit in eine Situation, der sie ebenfalls weder entkommen konnte, noch einfach verfallen durfte, was ihr zwischen Franz von Assisi (1181-1226) und Bonifaz VIII. (1235-1303) bekanntlich recht unterschiedlich gelang, so steht die Kirche heute vor dem Grundproblem, aus einer institutionalistischen Marktperspektive herauszukommen, ohne deren Wahrheitsgehalt, nämlich tatsächlich „auf dem Markt“ zu sein, zu übergehen.

      Die Kirche befindet sich auf dem Markt und dem entkommt sie nicht. Sie hat dennoch oder gerade deshalb etwas zu repräsentieren, was jenseits des Marktes liegt. Der religiöse Markt eröffnet nun aber, wie jeder Markt, viele Möglichkeiten, vor allem befreit er von religiöser Repression. Das ist eine große Befreiung. Aber er ist auch blind gegenüber zentralen Phänomenen menschlicher Existenz. Er neigt zum Beispiel dazu, die Unabgeschlossenheit und Geheimnishaftigkeit menschlicher Existenz einzuebnen in ein reduktionistisches Bedürfnis/Konsum-Schema und in einem konsumintensiven Leben das Ziel menschlicher Existenz zu sehen. Vor allem aber ist er gegenüber jenen gnadenlos, die sich nicht auf ihm behaupten können: etwa den Armen und Kranken.

      In dieser Situation droht der Kirche eine verhängnisvolle Verkehrung: Einerseits lösen die Pluralisierungs- und Relativierungsprozesse, die funktionierende Märkte provozieren, innerkirchliche Probleme allein schon bei ihrer Wahrnehmung aus. Viele kirchliche Leitungsverantwortliche sind offenkundig irritiert vom Souveränitätsverlust, den das bedeutet. Mit anderen Worten: Man hat Probleme mit der freiheitsstiftenden Funktion des Marktes. Das sieht man nicht zuletzt daran, dass man sich gerade hier gerne in enthobene Positionen der Singularität, der scheinbaren Nicht-Relativierbarkeit und Unangreifbarkeit flüchtet. Natürlich bleiben das im Wesentlichen diskursive Strategien mit vor allem selbsttherapeutischem Charakter. Verhängnisvoll werden sie freilich, wenn sie den Diskurs verlassen und versuchen, in kontrollierbaren Restfeldern der Kirche praktisch zu werden, sei es in periodischen Kontrollattacken gegenüber dem wissenschaftlichen theologischen Diskurs, sei es in jenen katholikalen13 Kristallisierungen, die zu beobachten sind.

      Andererseits droht die Gefahr, dass man das Problematischste des Marktes akzeptiert: seine Selbstreferentialität, die den Markterfolg als letztes Handlungskriterium auf dem Markt setzt.14 Es wird nicht reichen, mehr oder weniger heimlich auf den Markterfolg zu schielen, wie es auf den verschiedenen Ebenen der Kirche wohl weit mehr geschieht, als man sich eingesteht. Denn dann holt einen ein, was damit verbunden ist: der religiöse Substanzverlust, genauer und wichtiger: der christliche Substanzverlust, der Verlust des Wissens, warum es einen gibt, unabhängig davon, welchen Erfolg man hat.

      Man kann freilich in der gegenwärtigen Situation auch nicht bestehen, indem man sich in behauptete diskursive oder soziale Singularitäten flüchtet, indem man Relationalität, also sich selbst auf die Probe stellende Bezüge, grundsätzlich ausschließt. Eine Zeit lang wird eine verunsicherte Kultur ein solches exotisches Gegenprogramm fasziniert beobachten, dann aber holt diese Struktur ein, was ihr eben untrennbar eingeschrieben ist: ihre Selbstgerechtigkeit und ihre Blindheit sich selbst und den realen Bezügen gegenüber.

      Die Marktsituation enthält für die Kirche mithin eine doppelte Versuchung: die Versuchung, auf den Markt genauso aufzuspringen wie früher auf die Nähe zur politischen Macht in der alten Verbindung von Thron und Altar oder zur pädagogischen Steuerungsmacht in der Herrschaft über die Einzelnen im geschlossenen katholischen Milieu zu werden. Und sie enthält die Versuchung, den Freiheitsgewinn des Marktes in regulierten diskursiven oder gesellschaftlichen Zonen zurückzunehmen.

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