An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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es weitaus besser als in den Gemeinden, aus dem beschriebenen „Dreier-Milieu-Ghetto“ auszubrechen.

      So tröstlich diese Ergänzung des Sociovisions-Befundes erst einmal ist, provoziert sie doch zwei Fragen: Auf welcher Basis gelingt ihnen diese Milieuüberschreitung und wie gestaltet sich dann das Verhältnis zum gemeindlichen Binnenmilieu? Hinter diesen Fragen aber lauert noch eine dritte: Wie kann die katholische Kirche in dieser Situation überhaupt noch ihre Steuerungs- und Handlungsfähigkeit behalten?

      Der Ausdifferenzierungs- und Professionalisierungsprozess der pastoralen Struktur der deutschen katholischen Kirche kann als Versuch gedeutet werden, der neueren Milieudifferenzierung der deutschen Gesellschaft zu folgen. Das scheint in nicht geringem Maße gelungen: Zur Caritas gehen, falls notwendig, auch die kirchlich sonst kaum ansprechbaren „Konsum-Materialisten“; avancierte Künstler und damit „Experimentalisten“ finden sich etwa im „Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten“ oder in der Kölner „Kunststation St. Peter“, und für die „Postmateriellen“ gibt es manch gutes Kloster oder wenigstens Anselm Grün. Man fällt auf die seit den 1970er-Jahren dominierende Selbstdefinition der Kirche als „Gemeindekirche“ herein, wenn man übersieht, dass die Kirche dieser Gesellschaft ein breit ausgebautes und durchaus nachgefragtes Handlungsnetz jenseits der Gemeinde anbietet.

      Allerdings verlagern sich damit die Milieuspannungen in die Kirche, besser und genauer: sie verstecken sich zwischen den Ritzen der weitgehend unabhängig voneinander agierenden kirchlichen Handlungssektoren.23 Deren wechselseitige Nichtwahrnehmung ist mit den Händen zu greifen und jetzt auch besser zu verstehen.

      Die Kirche ist auf den (religiösen) Markt geraten – ohne Zweifel eine Änderung ihrer Kontextbedingungen epochalen Ausmaßes. Sie darf aber nicht unversehens einer institutionalistischen Marktperspektive verfallen. Denn sie ist weder der Macht, noch dem Markt, sondern ihrer Botschaft verpflichtet.

       4 Der unbequemen Außenperspektive nicht ausweichen

      Es bedarf an dieser Stelle der Überlegungen einiger theologischer Vergewisserungen. Zum einen ist an den universalen Heilswillen Gottes zu erinnern. Gott will, so heißt es etwa in 1 Tim 2,4, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“. Die deutet nicht auf ein bevorzugtes begnadetes Segment von Menschen, auf einige wenige Auserwählte, sondern auf alle Menschen überhaupt. Die Kirche als das Volk Gottes in seiner sichtbaren Verfasstheit ist Zeichen dafür, dass alle Menschen in universaler Weise zum Heil berufen sind. (vgl. Gaudium et spes 23f).

      Zum anderen ist die Kirche nicht für sich selber da, sondern für die Verkündigung der Botschaft vom Gott Jesu in Wort und Tat. Die Bindung der Kirche an ihre sakramentale Sendung reißt sie aus dem Sog ihrer reinen institutionellen Selbsterhaltung und verweist sie auf ihre Existenz begründende Aufgabe: die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat.

      Pastoral im Sinne des Konzils ist nun aber genau das, was geschieht, wenn die Kirche diese ihre Aufgabe in Angriff nimmt. Das Zweite Vatikanische Konzil hält die pastorale Konstitution der Kirche fest. Sie ist dazu da, heutige Existenz kreativ mit dem Evangelium zu konfrontieren und dies in einer zweifachen Richtung: das eigene individuelle wie soziale Leben aus der Perspektive des Evangeliums zu befreien und das Evangelium aus der Perspektive der eigenen Existenz zu entdecken.

      Auf dieser Basis lassen sich drei naheliegende Reaktionsmechanismen auf die Sinus-Studie als veritable Versuchungen identifizieren. Zum einen droht die Strategie „Verleugnen, Verharmlosen, Herunterspielen“. Sie liegt menschlich und im gewissen Sinne sogar wissenschaftlich nahe. Niemand nimmt unbequeme Wirklichkeiten gerne zur Kenntnis, gar solche, die zu Handlungskonsequenzen nötigen, von denen man noch nicht einmal genau weiß, welche das sein sollen. Erkenntnissen, die solche Krisensituationen und deren implizite Ohnmachtserfahrungen nach sich ziehen, weicht jeder gerne aus.24

      Natürlich kann man, wie an jede Forschung und an empirisch-sozialwissenschaftliche zumal, auch an diese Studie methodische Anfragen stellen, etwa was mit „qualitativer Repräsentativität“25 genau gemeint ist oder welchen Status die milieu(mit)konstituierenden „Wertorientierungen“ zwischen verhaltensnormierenden moralischen „Werten“ und eher ästhetischen Konsum- und Lebensstilvorlieben besitzen.

      Doch all dies wäre zu offenkundig nur ein Ausweichen vor den unbequemen Außenperspektiven, welche diese Studie präsentiert, als dass eine Kirche, welche mit guten Gründen allen ihren Mitgliedern regelmäßige realistische Selbstkritik empfiehlt, auch nur in die Nähe dieser Strategie geraten sollte. Sie wäre zudem operativ verheerend: Wer sich nicht von außen wahrnehmen kann, ist in differenzierten Gesellschaften schlicht anschluss- und damit handlungsunfähig.

      Sie wäre aber auch ein massiver Verstoß gegen den eigenen Pastoralbegriff, der schließlich die inkarnatorische Struktur des eigenen Handelns festhält. Die aber ist grundsätzlich gefährdet, wo man die Wirklichkeit, zumal noch die eigene, nicht akzeptieren kann und sich an ihr vorbeimogeln will. Letztlich wäre das eine spirituelle Katastrophe: Wer sich nicht halbwegs selbstkritisch wahrnehmen kann, wird nach und nach unaufrichtig mit sich und also unredlich.

      Doch auch wenn man die Ergebnisse der Studie als Herausforderung anerkennt, droht eine Versuchung, jene des institutionalistischen Opportunismus. Man reagiert dann, weil man auf den (religiösen) Markt geraten ist, reflexartig wie ein Marktteilnehmer und versucht den Schwund der eigenen Marktanteile mit allen Mitteln aufzuhalten. Zu erkennen ist diese Strategie an ihren falschen Alternativen. Inhaltlich wird hier mit der Alternative „Profil versus Anpassung“ gearbeitet, im Blick auf die möglichen Vergesellschaftungsformen von Kirche mit der Alternative „Kundenorientierung versus Gemeinschaftsorientierung“. Die Studie selbst scheint im Einleitungsteil sowie in ihren milieuspezifisch vorgeschlagenen „Do’s & Don’ts“ solch einem Konzept nicht ganz abgeneigt zu sein.

       5 Die Institution nicht mit ihrem Daseinszweck verwechseln

      Diese Alternativen sind für christliche Pastoral aber verheerend. Sie sind allesamt direkte Konsequenz eines latenten Institutionalismus, also der Selbstverwechslung einer Institution mit ihrem Daseinzweck. Den Institutionalismus hat die katholische Kirche aber spätestens im Zweiten Vatikanum mit seiner aufgabenbezogenen sakramentalen Sicht der Kirche auf lehramtlicher Ebene grundsätzlich überwunden. Denn es geht in der Kirche immer und überall zuerst um die kreative Präsenz des Evangeliums. Die aber gibt es weder an den Menschen vorbei, denn sie sind nicht nur externe Adressaten der Botschaft, sondern als Kinder Gottes auch ein Teil ihres Inhalts. Von ihnen her allein kann und muss das Evangelium erschlossen werden, soll es für sie nicht nur Sinn, sondern auch Bedeutung haben, von ihnen her erschließt sich diese Botschaft im Übrigen auch für die Gläubigen immer neu.

      Doch der trotzige Nischenrückzug bleibt als Versuchung: Man mag uns nicht in dieser Gesellschaft, zumindest in vielen ihrer Milieus, also konzentrieren wir uns auf jene, die uns mögen, sagt man dann, konzentrieren uns auf Selbstvergewisserungsräume und distanzieren uns von den anderen. Als entwickeltes Konzept dürfte diese Strategie in der deutschen Kirche gegenwärtig wenig verbreitet sein, zu offenkundig widerspricht sie deren gesellschaftlicher Statustradition sowie, wichtiger noch, dem universalen Heilswillen Gottes, dem Missionsauftrag Jesu und dem Solidaritätsimperativ des Zweiten Vatikanums (vgl. Gaudium et spes 1). In der abgeschwächten Form eines gewissen kulturpessimistischen Gestus scheint sie mir allerdings durchaus virulent.

      Stattdessen ist zu akzeptieren, dass die Vergangenheit nicht wiederkommt. Dieser Akzeptanzimperativ, nicht in einer anderen Welt leben zu können als in jener, in der man lebt, und gerade sie als Aufgabe der Kirche anzusehen, ist christlich eigentlich selbstverständlich, sozialpsychologische Mechanismen einer Institution, die sich ihrer traditionellen Machtbasis beraubt sieht,

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