An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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Kirche ihre eigene Verkündigung, ihre konkrete Sozialform und ihre Interventionen in die gesellschaftliche Wirklichkeit situations- und prozessorientiert miteinander ins Spiel bringen. Diese Prozessorientierung kirchlichen Handelns verabschiedet die Vorstellung fester institutioneller Gerüste und baut eher auf die institutionelle Phantasie, den institutionellen „Möglichkeitssinn“ des Volkes Gottes etwa im Sinne des Rahnerschen „Tutiorismus des Wagnisses“.

      Kirchliche Sozialformen sind zudem, so ist immer wieder zu erinnern, kein Selbstzweck: Sie sind dazu da, evangelisatorische Probleme zu lösen, jene Probleme also, die sich ergeben, wenn man an einem konkreten Ort nach dem Sinn, vor allem aber nach der konkreten Bedeutung des Evangeliums fragt. Diese Umstellung hin zu einer vorrangigen Aufgabenorientierung und weg von der bislang herrschenden Sozialformorientierung, welche vor allem das Weiterbestehen spezifischer kirchlicher Institutionen sichern will, würde eine wirkliche Umkehr unserer bisherigen pastoral(-theologisch)en Mentalitäten und Prioritäten bedeuten.

      Es geht daher nicht um die Alternative „Anpassung oder Profil“, sondern um die gemeinsame Suche nach dem, was das Evangelium für jene bedeuten könnte, die meinen, dass es für sie nichts bedeutet, wie auch um die permanente Verunsicherung jener, die scheinbar so sicher wissen, was es für sie bedeutet. Jene, die glauben, haben das Evangelium nicht als Besitz, und jene, die mit der Kirche nichts anzufangen wissen, stehen nicht jenseits des Evangeliums. Das Evangelium ist von allen in seiner Bedeutung immer neu zu entdecken. Das geschieht auch an vielen Orten. Es geht also um die Initiierung pastoraler Prozesse und um ihre stärkere Wertschätzung und Vernetzung, wo immer sie stattfinden.

      Und es bleibt schließlich die Verpflichtung, auch heute „Kirche des Volkes“ zu sein. Als „Kirche der Selbstverständlichkeit“ geht die Volkskirche früherer Zeiten ihrem definitiven Ende entgegen. Es kommt aber alles darauf an, dass die Kirche ihren universalen Auftrag nicht preisgibt. Sicher: Niemand kann so einfach sein Milieu überschreiten. Es ist relativ sinnlos, von der Deutschen Bischofskonferenz mehr Buntheit, von den kleinbürgerlichen Gemeindemilieus mehr Großzügigkeit und von den liberal-konservativen katholischen Eliten weniger bildungsbürgerliche Arroganz und mehr pastorale Basisverbundenheit zu verlangen, so schön dies alles wäre.

      Aber man kann verlangen, der eigenen Botschaft treu zu bleiben und also Studien wie die vorliegende als geistliche Herausforderung ernst zu nehmen. Dann aber muss man ihre Außenperspektive als mögliche Innovationsperspektive wahrnehmen, jegliche Kultur des Ressentiments übersteigen und mit Aufmerksamkeit und Anerkennung sich und die anderen im Spiegel dieser Forschungen zu erkennen suchen.

      Das hat zuletzt geistliche Gründe: weil wir ohne die anderen weniger wissen, was das Evangelium heute bedeuten könnte, und weil wir weder über den Glauben, noch über die Kirche, noch gar über das Evangelium einfach so verfügen. Das tut Gott allein. In Übergangszeiten wie diesen ist es besonders wichtig, dies zu erinnern – und auszuhalten.

       DIE ENTDECKUNG DER KASUALIENFROMMEN

       Einige Konsequenzen für Pastoral und Pastoraltheologie

       „Die Innovation besteht nicht darin, daß etwas zum Vorschein kommt, was verborgen war, sondern darin, daß der Wert dessen, was man immer schon gesehen und erkannt hat, umgewertet wird.“

      Boris Grojs26

       1 Das Grundproblem: Das Neue im Unbekannten, das Unbekannte im Neuen

      Das verstörende Problem des Neuen liegt darin, dass zu seiner Analyse zuerst nur alte Kategorien zur Verfügung stehen. Das ist eine ebenso schlichte wie folgenreiche Konsequenz der Tatsache, dass die menschliche Zeit, zumindest unter irdischen Normalbedingungen, nur in eine Richtung verläuft und Menschen nicht, wie etwa Gott, in der Lage sind, aus der Zukunft in die Vergangenheit zu schauen oder gar in einer ewigen Gleichschau der Zeitlichkeit zu entgehen.

      Die Entdeckung von Neuem verläuft normalerweise in drei Phasen:

      • in der schieren Entdeckung von etwas, das einen irritiert,

      • in seiner Entdeckung als wirklich Neues, es könnte sich ja auch als Altbekanntes in tarnend neuem Gewand herausstellen, und

      • in der grundsätzlich nie abgeschlossenen Entdeckung des Entdeckten unter neuen, erst zu entwickelnden Kategorien.27

      Das Neue als Phänomen, das Phänomen als etwas Neues und neue begriffliche Konzepte zur Neuentdeckung des Neuen, das sind wohl die normalen Erkenntnisschritte von Neuem – wenn es gut läuft.

      Die vorliegende Studie zur „Unbekannten Mehrheit“ könnte sehr dabei helfen, dass es bei der Entdeckung der neuen Situation der katholischen Kirche in Deutschland (und religionssoziologisch ähnlich strukturierten Gesellschaften) gut läuft. Denn schon der Titel dieser Studie behauptet (mindestens) zwei provozierende und ganz und gar unselbstverständliche Thesen:

      • erstens, dass die Mehrheit der Mitglieder der katholischen Kirche bestenfalls noch „Kasualienfromme“ sind, und

      • zweitens, dass sie der Wissenschaft und überhaupt der katholischen Kirche weitgehend unbekannt sind.

      Das sind beides ebenso neue wie starke Behauptungen. Vieles spricht freilich für sie, nicht zuletzt diese Studie. Irritationen über das gewandelte Verhalten erwachsener Katholiken und Katholikinnen in Großstädten und anderswo gibt und gab es ja schon länger, vor allem an der professionellen pastoralen Basis der Kirche.28 Ein immer größerer Teil ihrer eigenen Mitglieder erfüllt offenkundig die für Katholiken und Katholikinnen bestehende, auch noch im CIC 1983 can 124729 normierte und in der Nr. 2181 des „Katechismus der katholischen Kirche“30 eingeschärfte Sonntagspflicht nicht mehr oder immer seltener. Diese Mehrheit der Katholiken und Katholikinnen betrachtet ausweislich ihres Handelns die Eucharistie offenkundig nicht als „Quelle“ und „Höhepunkt“31 ihres eigenen religiösen Lebens, noch hält sie überhaupt kontinuierlichen Kontakt zum kirchlichen Sozialraum.

      Das ist tatsächlich ein ziemlich neues Phänomen, zumindest für die letzten 150 Jahre der katholischen Kirchengeschichte Deutschlands, galten hier doch Anfang der 1950er Jahre noch Kirchgangsquoten von 50 Prozent32 innerhalb eines zwar in sich differenzierten, aber doch auch klar abgegrenzten „katholischen Milieus“33. Noch überwiegt das Erstaunen und Erschrecken über dieses Phänomen.

      Dass die Gläubigen den kirchlichen Anspruch immer nur ungenügend erfüllen und am kirchlichen Leben nie ganz so engagiert teilnehmen, wie die Kirche es gerne hätte, das ist ein altbekanntes Phänomen, sonst hätte es über die Jahrhunderte nicht immer die Aufforderung zu Sonntagsbesuch, Beichte und Kommunionempfang und entsprechende Sanktionierungen gebraucht. Neu aber ist die Erkenntnis, dass der Rückgang der Sonntagskirchgänger Symptom eines fundamentalen Wandels des Verhältnisses der Kirche zu ihren eigenen Mitgliedern oder besser der Mitglieder zu ihrer Kirche darstellt. Damit ist es weder mehr möglich, die radikal gewandelte Partizipationspraxis einfachhin zu übersehen noch als „volkskirchliche Laxheit“ in altbekannte Deutungsmuster einzuordnen.

      Die vorliegende Untersuchung könnte ein Schritt sein in die Neuentdeckung des Neuen unter neuen Erkenntnisperspektiven. Dazu ist vor allem notwendig, die bisherigen, quasi-selbstverständlichen Wahrnehmungsmuster zu überschreiten. Deren Gemeinsamkeit aber ist es auch im Falle der aktuellen Transformationskrise der kirchlichen Sozialformen, das Neue vom Gewohnten her zu begreifen und als dessen Abweichung zu definieren. Die neuen Realitäten sind so noch kein Grund,

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