1975. Wolfram Hanel
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Ratte pellte sich ungerührt ein hartgekochtes Ei.
Die Sonne wurde langsam wärmer. Appaz klemmte die dunklen Gläser auf seine Brille.
»Hartgekochte Eier, ist ja Wahnsinn«, sagte Kerschkamp und griff zu.
Ratte nahm einen Schluck Cola und rülpste.
Kerschkamp tauschte den Platz mit Lepcke. Die Eierschalen bröckelte er in den Aschenbecher, der genau in der Mitte oben auf dem Armaturenbrett war. Dann zog er den Aschenbecher aus der Halterung und gab ihn nach hinten, weil Ratte rauchen wollte.
An der Steigung hinter der Werratal-Brücke musste Appaz in den zweiten Gang zurückschalten. Mit knapp vierzig quälten sie sich die Kriechspur hoch. Ein Tanklastzug schob sich von hinten heran und zog hupend vorbei.
»Ist leer, der Arsch, deshalb«, erklärte Kerschkamp.
Lepcke streckte den Kopf nach vorne.
»Ist alles okay?«, fragte er und schielte auf die Tachonadel, die sich zitternd der Dreißig näherte.
Appaz war froh, als er endlich wieder in den Dritten gehen konnte.
»Jetzt aber«, sagte Kerschkamp, als sie über die Kuppe waren.
Lepcke lehnte sich zurück. Er nahm Ratte die halb gerauchte Kippe aus der Hand. Ratte hatte den Kopf gegen die feuchte Zeltbahn gelegt und pennte.
Hinten lag der Ami mit angezogenen Beinen und las wieder.
Kerschkamp drehte Appaz eine Zigarette. Eine von denen, die so locker waren, dass man sie nach dem ersten Zug eigentlich schon wieder wegwerfen konnte.
»Sag mal«, sagte Kerschkamp plötzlich, »hast du das gesehen? Heute Morgen, die Schuhe, die Sabine anhatte, glaubst du, dass sie die ganze Nacht über, also, ich meine, auch wenn sie mit Ratte …«
Er machte eine vage Handbewegung.
Appaz zupfte sich ein paar Tabakkrümel von der Lippe.
»Klar«, sagte er, »das sind wahrscheinlich ihre Reitstiefel. Für den langen Weg nach Laramie.«
»Redet ihr über mich?«, fragte Ratte von hinten und drehte die Musik leiser.
»Quatsch«, sagte Kerschkamp.
Sie grinsten sich an.
»O Mann«, sagte Kerschkamp.
»Kiss my aura, Dora«, sang Zappa, »mmh, it’s real angora, would you like some more-a?«
Bergab lief der Bus fast hundertzehn, brauchte dabei aber auch mühelos beide Fahrspuren, egal, wie stark Appaz das Lenkrad festhielt. Appaz nahm ein bisschen Gas weg. Bei fünfundneunzig wurde es besser, und er konnte wieder mit einer Hand lenken. Die andere hatte er auf dem Schaltknüppel, der bei jeder Teernaht ruckte und zitterte.
Kerschkamp fing an, von der Schule zu erzählen. Wie er in der Achten mal mit Richter in den Alpen war. Appaz kannte die Geschichte schon. Wie Richter jeden Morgen neue Regeln auf gestellt hatte, und wer gegen irgendeine dieser Regeln verstieß, musste sich die Hose runterziehen und kriegte von Richter mit der flachen Hand den Hintern versohlt. Und eines Tages hatte Richter dann absichtlich selber gegen eine dieser Regeln verstoßen und von den Schülern verlangt, dass sie ihn bestraften. Genau so, wie er sie sonst bestraft hatte. Mit Schlägen auf den nackten Hintern. Zu Hause hatte keiner was gesagt, weil sie alle Angst gehabt hatten. Woraufhin Richter im nächsten Jahr wieder in die Alpen fuhr. Mit einer neuen achten Klasse.
»Scheiße, was«, sagte Kerschkamp.
Sie waren sich einig, dass sie es in ihrer Schulzeit bisher eigentlich nur mit einem Haufen von Perversen zu tun gehabt hatten.
»Alle gestört und pervers«, sagte Kerschkamp.
»Oder alte Nazis«, sagte Appaz.
Kerschkamp nickte.
»Kannst du dich noch an Biesinger erinnern?«, fragte er.
Natürlich konnte Appaz sich noch an Biesinger erinnern. Biesinger war der, der sich immer von hinten an einen Schüler angeschlichen und ihm dann mit einem kräftigen Schlag den Kopf auf die Tischplatte gestoßen hatte. »Wenn du gerade gesessen hättest, wäre das nicht passiert«, war sein üblicher Kommentar gewesen, wenn sich wieder einer von ihnen die blutende Nase hielt.
Sie nahmen sich einen nach dem anderen vor. Bei Kunze hatten sie im Unterricht der Reihe nach ans Klavier treten und die Handzeichen für die einzelnen Noten herunterbeten müssen. Wer einen Fehler machte, bekam den Taktstock über die ausgestreckten Hände gezogen. Der Sportlehrer hatte einige Übung darin, unerwartet mit seinem Schlüsselbund quer durch die Turnhalle nach irgendwelchen Störenfrieden zu werfen. Der Geschichtslehrer schlug gerne mit seiner prall gefüllten Aktentasche zu. Und im Religionsunterricht lernten sie, dass der Russe nach dem Krieg, als er in Deutschland einmarschiert war, seine Kartoffeln grundsätzlich in der Kloschüssel wusch und zum Kacken den Keller benutzte. Weil er es nun mal nicht besser wusste. In Gemeinschaftskunde wiederum erfuhren sie, dass es den Negern vor allem an Milchpulver mangelte. Und in Erdkunde durften sie immer wieder den gleichen Super-8-Film sehen, in dem ihr Lehrer mit seinem Mercedes irgendwo mitten in Afrika bunte Bonbons an kleine Negerkinder verteilte.
»Meint ihr Gnuschke?«, fragte Lepcke von hinten. »Den hatte ich in Bio, und da musste ich mich auf den Tisch legen, damit er an meinem Knie die Kühnsche Nagelung zeigen konnte …«
»Hat er bei mir auch gemacht«, erklärte Kerschkamp mit einem Nicken.
»Wisst ihr noch, wie er uns mal erzählt hat, dass seine Frau deshalb keine Kinder kriegen kann, weil sie Moos im Bauch hätte?«, fragte Appaz.
»Pervers«, sagte Kerschkamp. »Aber voll. Und jetzt müssen wir nochmal für ein Jahr dahin, Mann, Scheiße!«
»Hättest ja mehr machen können«, sagte Lepcke, »dann wärst du vielleicht nicht durchgefallen …«
»Ach ja, ganz bestimmt!«, regte sich Kerschkamp auf. »Als ob das damit was zu tun gehabt hätte! Die wollten uns fertigmachen, kapierst du das nicht? Das finden die klasse, so was, die sind alle echt pervers, Mann, so Typen wie Böhmer, weißt du, was der zu mir gesagt hat? >Wer mit einem Individuum wie Appaz befreundet ist, der hat bei mir keine Chance!< Hat er echt gesagt, letztes Jahr erst, habe ich dir das überhaupt erzählt?«
Er drehte sich zu Appaz.
Appaz nickte. Kerschkamp hatte es ihm erzählt. Er zuckte mit der Schulter und versuchte ein müdes Grinsen. Obwohl ihm nicht nach Grinsen zumute war.
»Du hättest trotzdem mehr machen können«, beharrte Lepcke.
»Ach nee, und was ist mit dir?«, fragte Kerschkamp.
»Hört doch mal auf mit dem Scheiß, Leute!«, bölkte Ratte, »wir haben Ferien, Mann, wir fahren nach Frankreich! Kennt ihr den: Les jeunes Alles ä douze ans aiment le chocolat, les jeunes Alles ä seize ans aiment le choque au lit?! Gut, was?!«
»Haha«,