Max und Moritz - Was wirklich geschah. Johannes Wilkes
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»Tante Dörte hat gemeint, wir sollten vorsichtig sein und zunächst undercover ermitteln.«
Tante Dörte! Das Wort seiner Ziehmutter war Karl-Dieter heilig. Mit Max und Moritz war die Tante weitläufig verwandt, so viel hatte Mütze verstanden. Der verstorbene Vater der Zwillinge, Erwin Bolte, sei Tante Dörtes Schwippcousin gewesen, was immer ein Schwippcousin auch war. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter habe sie die Jungen in den Ferien immer mal wieder bei sich in Dortmund-Dorstfeld zu Gast gehabt, ganz bezaubernde Jungs, wie sie stets betonte. Und Max und Moritz müssen sich bei ihr pudelwohl gefühlt haben, ja es hätte stets Tränen gegeben, wenn der Abschied nahte, wusste Karl-Dieter. Nach Ablauf des Trauerjahres habe Erwin Bolte erneut geheiratet, die Wirtin des Ewigen Friedens aus Finsterfelde. Mit ihrer Stiefmutter aber hätten sich die Jungs überhaupt nicht verstanden, deshalb das Internat im Spreewald.
»Aber warum eine Besserungsanstalt? Sind die beiden denn solche Strolche gewesen?«
»I wo! Tante Dörte hat stets von ihnen geschwärmt, ich weiß auch nicht, warum es der Spreewald sein musste.«
»Und warum die Undercover-Geschichte? Hat Tante Dörte dir gegenüber einen Verdacht geäußert? Traut sie der Wirtin nicht?«
»So direkt hat sie das nicht gesagt.«
Mütze schüttelte leise den Kopf und verzog das Gesicht. Solche Zeugen liebte er. Andeutungen machen, aber nicht mit der Sprache rausrücken. Glaubte Tante Dörte allen Ernstes, die Wirtin habe ihre beiden Stiefsöhne um die Ecke gebracht?
Die Kneipe Zum Großen Kurfürst war so heruntergekommen wie alles in Finsterfelde. Ein bärtiger Mann mit Hut saß einsam an der Theke und schien damit beschäftigt, etwas aufs Papier zu kritzeln, am Tisch im Eck saßen drei Männer und spielten Skat. Einer von ihnen, ein Schmachtlappen mit altertümlichem Zwicker auf der entzündeten Nase, schniefte ständig, sein Nachbar zur Rechten, ein älterer Mann mit gerötetem, ungesund nacktem Mondgesicht ohne Wimpern und Augenbrauen, schien die Intelligenz zu verkörpern, der dritte der Herren war deutlich zu breit für den schmalen Stuhl, zudem war er seltsam weiß bestäubt, sah fast aus wie ein Schneemann. Schwarz war nur seine Augenklappe, die ihm ein leicht verwegenes Äußeres verlieh. So saßen sie kartendreschend über ihrem Bier und sahen misstrauisch auf, als Mütze und Karl-Dieter den Raum betraten. Der Wirt, ein Mann mit verschmutzter Schürze und gemütlichem Gesicht, begrüßte die beiden Gäste.
»Gibt’s noch was Warmes?«, fragte Mütze.
»Hühnerfrikassee.«
Mütze sah Karl-Dieter an. Karl-Dieter nickte. Hühnerfrikassee, warum nicht? Hatte es früher bei Tante Dörte an manchen Sonntagen gegeben. Mit frischen Champignons, Kapern und gebuttertem Reis ein Gedicht. Sie setzten sich, und Mütze bestellte sich ein Bier. Karl-Dieter hingegen fiel die Wahl schwerer, obwohl oder gerade weil die Auswahl an alkoholfreien Getränken sehr übersichtlich war. »Eine Apfelsaftschorle, bitte!«, sagte er nach langem Zögern.
Die Stammtischbrüder hatten die Karten beiseitegelegt, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Zu Mützes Ärger hatte der Wirt das Radio lauter gedreht, sodass vor lauter Helene-Fischer-Gedudel nicht zu verstehen war, worüber sich die drei unterhielten. Auf einmal stehst du da und lachst mich an, in meinem Kopf ist eine Achterbahn … Mütze hasste es, inkognito unterwegs zu sein. Üblicherweise hätte er jetzt lässig seinen Dienstausweis gezückt. Schwungvoll hätte er sodann das Foto von Max und Moritz auf den Skattisch geknallt und die drei Herren gefragt, wer die beiden Jungen zuletzt gesehen hatte. Aber wenn Tante Dörte meinte …
Der Wirt brachte die Getränke und zwei dampfende Teller.
»Biofleisch«, sagte er mit geheimnisvollem Lächeln, als würde er Karl-Dieters Vorlieben erahnen.
Karl-Dieter war überrascht. Biofleisch! Nie im Leben hätte er das erwartet, nicht in Finsterfelde, nicht in diesem Lokal.
»Von welchem Hühnerhof?«, wollte er wissen.
»Von hier natürlich, aus unserem schönen Finsterfelde«, bekam er zur Antwort, was ihn noch mehr erstaunte.
Karl-Dieter griff hungrig zu. Gar nicht mal so schlecht, das Frikassee. Nicht wie bei Tante Dörte mit Kapern und Champignons, sondern mit Spargel und Erbsen. Nur etwas zu viele Zwiebeln für seinen Geschmack, unauffällig schob er sie an den Rand, von dort löffelte sie Mütze entschlossen auf seinen Teller. Kein T-Bone-Steak, kein Eisbein, dann eben ein Frikassee.
»Es ist eigentlich gar kein Frikassee«, sagte Karl-Dieter, während er prüfend die Augen schloss.
»Was dann?«
»Es ist nach Art eines Blanketts zubereitet, anderes Garverfahren, andere Bindung.«
Mütze staunte wieder einmal. Karl-Dieter, das Schleckermäulchen. Nichts entging seiner Zunge. Auch die Damen vom Erlanger Hausfrauenbund, bei denen Karl-Dieter Kochkurse belegte, gerieten regelmäßig in Verzückung über Karl-Dieters sensorische Fähigkeiten. Während der Kommissar sein Frikassee oder auch Blankett verputzte, sah er immer wieder unauffällig zum Nachbartisch hinüber. Man hatte das Bier ausgetrunken und war zum Wein übergegangen. Täuschte er sich oder feixte man dort drüben? Dieses Grinsen auf dem Mondgesicht und das fröhliche Niesen des Schmachtlappens, hatte das mit ihnen zu tun?
Viertes Kapitel
Auf dem Weg zurück, die Sonne kratzte schon über den Horizont, kamen die Freunde am Friedhof vorbei.
»Schau!«, sagte Mütze und blieb überrascht stehen.
Über den niedrigen Steinwall hinweg sah man neben einem frischen Grab eine Frau in Schwarz stehen. Sie schien damit beschäftigt, die Grabstätte mit Blumen zu bepflanzen.
»Witwe Bolte«, flüsterte Karl-Dieter.
Unwillkürlich traten die beiden hinter eine verrostete Tafel, auf der die Gemeinde Veranstaltungen und Beschlüsse bekanntmachte. Was nicht zu den offiziellen Verlautbarungen passte, war ein handgeschriebener Zettel, in aller Hast schien ihn jemand mit Tesafilm befestigt zu haben. Karl-Dieter las den Text und erbleichte.
Ach, was muss man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen
Welche Max und Moritz hießen.
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.
Ja, zur Übeltätigkeit,
Ja, dazu ist man bereit!
Menschen necken, Tiere quälen,
Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen
Das ist freilich angenehmer
Und dazu auch viel bequemer,
Als in Kirche oder Schule
Festzusitzen