Max und Moritz - Was wirklich geschah. Johannes Wilkes
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Читать онлайн книгу Max und Moritz - Was wirklich geschah - Johannes Wilkes страница 4
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging.
»Wahnsinn!«, entfuhr es Karl-Dieter.
Mütze hingegen pfiff durch die Zähne. Dann zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und schoss ein Foto.
»Was für eine Frechheit!« Karl-Dieter schüttelte den Kopf, als sie Richtung Mühle weitergingen. »Die armen Waisenkinder so zu verhöhnen, noch dazu in vierhebigen Trochäen.«
»Vierhebige was?«
»Ach, egal, das Geschmier ärgert mich total.«
»Was ärgert dich daran? Dass du dein Bild von den ach so braven Jungs korrigieren musst? Vielleicht ist deine liebe Tante Dörte doch etwas blauäugig gewesen. ›Menschen necken, Tiere quälen, Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen‹, das klingt ja doch etwas anders, das klingt nach echten Flegeln.«
»Rufmord ist das, wenn du mich fragst, nichts weiter. Und die beiden können sich noch nicht mal dagegen wehren, jetzt, wo sie weg sind.«
»Rufmord fällt nicht in mein Ressort«, grinste Mütze.
Als sie den Ewigen Frieden erreichten und die Tür aufsperrten, hörten sie den Spitz knurren.
»Der will sich doch nur wichtigmachen«, sagte Mütze – und tatsächlich, als sie in den Flur traten, machte sich der Spitz winselnd aus dem Staube.
»Wir scheinen die einzigen Gäste zu sein.« Karl-Dieter betrachtete das Schüsselbrett, an dem nur ihr Schlüssel fehlte.
»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.«
»Wieso?«
»Hast du den Käfer draußen nicht gesehen, das Cabrio?«
»Und wenn er der Witwe gehört?«
»Würde mich doch sehr wundern«, sagte Mütze und blickte sich um, »steh mal kurz Schmiere.«
»Was hast du vor?«
»Will mich nur mal kurz umschauen.«
Knarrend öffnete er eine Brettertür, hinter der eine schmale halb gewendelte Treppe zum Keller hinabführte.
»Ich bin dann mal weg!«
Während Mützes Schritte im Keller verklangen, sah Karl-Dieter unruhig zum Fenster hinaus. Bestimmt kam die Witwe jeden Augenblick vom Friedhof zurück. Hoffentlich beeilte Mütze sich. Das seltsame Gedicht, es hatte Karl-Dieter verunsichert. »Wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!« Was hatte das zu bedeuten? Was war denn das, das Ende? Was sollte diese merkwürdige Anspielung? Wer hatte das geschrieben? Wer erdreistete sich, sich in dieser miesen Art über die beiden verschwundenen Schüler lustig zu machen, wer erlaubte sich, so zu tun, als ob die beiden die schlimmsten Verbrecher wären? Karl-Dieter glaubte weiter Tante Dörte. Tante Dörte konnte sich nicht täuschen. Wen sie ins Herz geschlossen hatte, der war ein anständiger Mensch. Punkt. In diesem Augenblick sah Karl-Dieter eine dunkle Gestalt um die Ecke biegen, rasch näherte sie sich dem Haus. Die Witwe!
»Mütze!«, rief er in den dunklen Keller hinab. Da klackerte es schon an der Haustür, die Wirtin trat ein.
Fünftes Kapitel
Schnaufend ließ sich Karl-Dieter auf das Bett fallen. Im letzten Moment hatte er die Kellertür schließen können. Was aber, wenn die Wirtin das Knarren gehört hatte, wenn sie einen prüfenden Gang in den Keller machte und Mütze entdeckte? Dann war Schluss mit inkognito, dann würde ihr klar werden, welches Spiel hier gespielt wurde. Und wenn Witwe Bolte tatsächlich Dreck am Stecken hatte, wie es Tante Dörte vermutete, dann konnten sie gleich ihre Koffer packen.
Zäh verrannen die Minuten. Atemlos lauschte Karl-Dieter in die Dunkelheit. Was mochte Mütze im Keller finden? Es würden doch nicht … Nein, Karl-Dieter verbot sich, daran zu denken, dennoch drängte sich ihm der Gedanke auf, wieder und wieder. Zugegeben, Tante Dörte schien der Witwe manches zuzutrauen, aber dass diese die beiden Jungs … Bislang hatte Karl-Dieter es nicht für möglich gehalten, jetzt aber, wo er mit klopfendem Herzen allein im Zimmer wartete, sah er vor seinem Auge Max und Moritz plötzlich vor sich, sah sie tot im Kartoffelkeller liegen, vergiftet von ihrer bösen Stiefmutter. Karl-Dieter setzte sich auf und lauschte. Wann kam Mütze endlich zurück? Hin und wieder drang ein Geräusch an sein Ohr, ein Klackern und leises Stühlerücken, das musste die Wirtin sein, sie schien im Gastraum beschäftigt. Hoffentlich ging sie nicht in den Keller. Was aber, wenn doch? Wenn sie die Brettertür öffnete und die Treppe hinunterging, hinunter in den Keller? Und wenn sie dort tatsächlich Max und Moritz … Was würde sie dann mit Mütze machen? Ob sie bewaffnet war? Ob sie eine Knarre besaß? Karl-Dieter sprang auf, öffnete die Zimmertür einen Spalt und spähte ins dunkle Treppenhaus hinunter. Unten war nichts mehr zu hören, nicht das kleinste Geräusch drang an sein Ohr. Nur noch seinen eigenen Herzschlag, den hörte er pochen. Musste er nicht nachsehen, musste er nicht ebenfalls hinunter in den Keller? Er wollte gerade los, da klang in die Stille hinein ein diskretes Knarren aus dem Treppenhaus, Sekunden später tauchte eine Gestalt aus dem Dunkeln auf. Karl-Dieter plumpste ein Stein vom Herzen. Es war Mütze.
»Und?«, fragte Karl-Dieter atemlos.
»Eine Mausefalle und ein dickes Fass.«
»Ein Fass? Was für ein Fass?«
»Ein Fass voller Sauerkraut.«
Sechstes Kapitel
Mitten in der Nacht erwachte Karl-Dieter. Wie spät mochte es sein? 2 Uhr, 3 Uhr? Und was war es, das ihn geweckt hatte? Ist es der Wind gewesen, der aufgekommen war und nun ums Haus heulte? Nein, es ist nicht der Wind gewesen, auch nicht dessen Pfeifen im Kamin, es war ein anderes Geräusch, ein ächzendes Klappern und Knarren, das sich zu einem immer schnelleren Rhythmus aufschwang. Karl-Dieter trat ans Fenster und schob die vergilbte Gardine beiseite. Die Windmühle! Das Geräusch kam von der Windmühle. Sie hatte sich in Gang gesetzt. Die schwarzen Schatten ihrer Flügel schwangen durch die Nacht wie Fallbeile, es war, als wollten sie die Dunkelheit zerhacken, dazu stöhnten Holz und Sparren zum Gotterbarmen. War das üblich? Mitten in der Nacht zu mahlen?
Karl-Dieter blickte eine Weile in die Nacht hinaus. Wo nur mochten Max und Moritz stecken? Waren sie hier in Finsterfelde? Hielt man sie irgendwo versteckt, in einem Verlies als Kellerkinder, so wie einst Kaspar Hauser? Er wollte die Gardine schon wieder zurückgleiten lassen, da sah er eine Person um die Ecke biegen. Sie hatte sich in ein Tuch verhüllt und eilte durch den Garten zu einem der rückwärtigen Fenster, das einen Spalt weit offen stand. Karl-Dieter bekam große Augen. Die dunkle Person hielt inne, zog etwas Weißes aus der Tasche und warf es durch den Fensterspalt ins Zimmer hinein.
Jetzt erst löste sich Karl-Dieter aus der Erstarrung. Rasch weckte er Mütze, der sofort zum Fenster lief. Gemeinsam starrten sie hinaus in die Nacht. Nichts war zu sehen. Nur die Schatten der Windmühlenflügel durchschnitten die Dunkelheit, wieder und wieder, dazu stöhnte und ächzte es wie unter einer großen Last.
Zitat
Denn hinderlich, wie überall.
Ist hier der eigne Todesfall.
Wilhelm Busch