Max und Moritz - Was wirklich geschah. Johannes Wilkes
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»Was ist?«, fragte Karl-Dieter.
»Das ist in der Tat nicht ganz unverdächtig«, sagte Mütze, ohne die Witwe aus den Augen zu lassen.
»Was denn?«
»Schau doch mal, was sie in der Hand hält.«
»Was hält sie denn in der Hand? Ich sehe nichts.«
»Ganz genau. Sie hält nichts in der Hand.«
»Was ist daran verdächtig, wenn jemand nichts in der Hand hält?«
»Was hat sie denn in der Hand gehalten, als sie zum Schneider ging?«
»Ebenfalls nichts.«
»So ist es. Wenn du zum Schneider gehst, ohne ihm etwas zu bringen, was willst du dann wohl bei ihm?«
»Ah so!« Karl-Dieter begriff. Um sich zu rechtfertigen, aber sagte er: »Vielleicht hat sie ja nur den Abholschein vergessen.«
Dreizehntes Kapitel
Glauben Sie an Seelenwanderung? Also ich nicht. Jedenfalls nicht bis zu dem Moment, als mir die Sache am eigenen Leibe passiert ist. Es ist ein komisches Gefühl, plötzlich in einem anderen Körper zu stecken. Auch als Spitz ist das Leben nicht sehr kommod, das können Sie mir glauben, aber plötzlich eine Krähe zu sein, das ist noch eine Schippe verrückter. Man ist ja auf so was nicht vorbereitet, nicht in unserem Kulturkreis. Seelenwanderung, das ist doch was für Hindus oder Buddhisten, nichts aber für einen Christenmenschen! Ein Hindu oder Buddhist lernt schon im Tempel oder in der Schule, was ihn nach dem Tod erwartet. So kennt er sich aus und ist durch nichts zu überraschen. Er schüttelt sich einmal kurz, beschaut sich im Spiegel und findet sich sogleich in seinem neuen Leben zurecht. Aber versetzen Sie sich mal in meine Lage, als mir die Sache passiert ist! Als christlich sozialisierter Mensch hatte ich doch keine Ahnung, was das Leben, besser der Tod für Überraschungen für uns auf Lager hat. Gut, wenn ich vor einer Himmelstür gestanden hätte mit einem bärtigen Mann als Türsteher, das wäre was anderes, dann hätte ich gewusst, das ist Petrus und dahinter liegt das Paradies. Und nun das! Aber selbst, wenn ich buddhistisch angehaucht wäre, hätte ich doch niemals damit gerechnet, zu einem Tier zu mutieren. Ich versteh nicht viel von Buddhismus, aber lehren die Buddhisten nicht, dass man sich von Leben zu Leben veredelt? Das man stets aufsteigt auf der Wiedergeburtstreppe? Vom Tellerwäscher zum Millionär sozusagen? Pustekuchen! Es geht auch abwärts und zwar ziemlich tief.
Ich muss ziemlich dämlich ausgesehen haben, als ich plötzlich als Krähe auf dem Dach der Kirche gesessen habe. Vor Schreck hätte ich beinah den Halt verloren. Lachen Sie nicht! Ich möchte Sie mal sehen, wenn Sie sich plötzlich als gefiedertes Wesen auf einem hohen Dachfirst wiederfinden. So saß ich also dort, umgeben von anderen Krähen, krallte mich ängstlich an den Draht des Blitzableiters und starrte über das nächtliche Finsterfelde.
Natürlich hätte ich die anderen Krähen fragen können, was mir passiert ist, ich hab’s auch versucht, bis auf ein dümmliches Krächzen aber habe ich keinen Ton hervorgebracht. Ich hab’s gleich begriffen, unter den anderen war kein einziger Mensch, also kein Ex-Mensch, Sie wissen schon, was ich meine. Vielleicht waren ein paar ehemalige Finken oder Meisen darunter, sicher aber viele Spatzen, so groß schien mir ihr Verstand zu sein. Von meinen lieben Mitkrähen jedenfalls konnte ich keine Hilfe erwarten, das war mir sonnenklar.
Mühsam versuchte ich, meine Gedanken zu sortieren. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, ist der Moment gewesen, wie mir jemand etwas über den Schädel gezogen hat. Es ist unten am Bach gewesen, an der Dosse, beim Haus der Schneiders. Warum ich dorthin bin? Ganz einfach, ich hatte Verdacht geschöpft, einen ziemlich unangenehmen Verdacht. Bolte, hab ich zu mir gesagt, sei wachsam! Und so hab ich das Bier, das mir meine Frau zum Fernsehen hingestellt hat, nicht angerührt, deshalb bin ich wach geblieben und konnte meiner ach so treusorgenden Gattin hinterherschleichen. Hätte ich das mal lieber sein lassen. Dann wäre ich jetzt noch lebendig, also als Homo sapiens, Sie verstehen. Und hätte nicht den Schock meines Lebens erlitten. Durch die Scheibe beobachten zu müssen, was im Haus des Schneiders abging … Junge, Junge, ich sag Ihnen, das ist vielleicht ein Albtraum gewesen.
Vierzehntes Kapitel
Nachdem sie den ärgsten Durst mit dem Wasser aus dem Wasserhahn gestillt hatten, spürte Karl-Dieter, wie sein Magen knurrte. Hoffentlich hatte das Wirtshaus auch mittags geöffnet. Wo sonst würden sie in diesem Kaff etwas zu essen bekommen? Auch Mütze war für eine warme Mahlzeit, so beschlossen sie, nicht zur Pension zurückzugehen, sondern Richtung Dorf. Als sie den Friedhof verließen, fiel ihr Blick auf die Ankündigungstafel der Gemeinde.
»Mensch, Mütze, kneif mich mal!«
»Ein neuer Zettel!«
»Mit unserer Wirtin drauf!«
»Ich werd nich mehr!«
Mancher gibt sich viele Müh
Mit dem lieben Federvieh:
Einerseits der Eier wegen,
Welche diese Vögel legen,
Zweitens, weil man dann und wann
Einen Braten essen kann;
Drittens aber nimmt man auch
Ihre Federn zum Gebrauch
In die Kissen und die Pfühle.
Denn man liegt nicht gerne kühle.
Seht, da ist die Witwe Bolte,
Die das auch nicht gerne wollte.
Ihrer Hühner waren drei
Und ein stolzer Hahn dabei.
Max und Moritz dachten nun:
Was ist hier jetzt wohl zu tun?
Ganz geschwinde, eins, zwei, drei,
Schneiden sie sich Brot entzwei,
In vier Teile, jedes Stück
Wie ein kleiner Finger dick.
Diese binden sie an Fäden,
Über’s Kreuz, ein Stück an jeden,
Und verlegen sie genau
In den Hof der guten Frau.
Kaum hat dies der Hahn gesehen,
fängt er auch schon an zu krähen:
Kikeriki, kikikerikih!!
Tak, tak, tak, da kommen