Schweigen über Köln. Maren Friedlaender
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»Dachte ich es mir doch«, zischte Hubens. »Immer noch dieselben Wichser. Eine Makarow. Wahrscheinlich von den Freunden aus dem Osten.« Hubens hätte schwören können, dass das Ding nicht registriert war.
Er legte die Hand mit der Pistole auf Grundmanns Schoß. Es machte den Eindruck, als halte der Terrorist die Makarow anschlagbereit. In der anderen Jackentasche fand er das Handy. Er nahm es an sich und verschwand im angrenzenden Stadtwald. Mit ruhigen Schritten passierte er den hohen, dunkelgrauen, obeliskartigen Gedenkstein, der in der Mitte des Parkzugangs platziert war. Wege durchkreuzten den Park, er ging vorbei an einem Spielplatz. Eine dunkle Nacht. Menschen traf er keine. Nicht einmal die Hundebesitzer trieben sich zu dieser Stunde im einsamen Park herum. Keine Junkies. Keine Liebespaare. Er ging zu Fuß vorbei am Kahnweiher, drehte sich um, kein Mensch zu sehen. Er zog die SIM-Karte aus dem Handy und warf es ins Wasser des Tümpels. Die Walther PPK, mit der er auf Grundmann geschossen hatte, flog hinterher. Sie sank auf den Grund des trüben Wassers und versackte im Schlamm. Hubens schlenderte weiter bis zur Dürener Straße. Alles ohne Hast. Ein Mann beim abendlichen Spaziergang. Ecke Stadtwaldgürtel bestieg er den schwarzen Golf, den er zurzeit benutzte, und fuhr in Richtung Süden.
Hustenkonzert
Theresa Rosenthal parkte ihren grünen Mini Cooper um Punkt 18.00 Uhr vor dem Haus ihrer Lieblingsverwandten in Köln-Marienburg. Sie hatte am Morgen einen Anruf von Tante Clarissa erhalten.
»Kind«, hatte die Tante mit ihrer kräftigen Stimme in den Hörer gedröhnt. Sie sagte immer noch Kind zu Theresa, obwohl die mit ihren fast 50 Jahren schon länger aus dem Gröbsten heraus war. »Kind, begleitest du mich heute Abend ins Konzert? Londoner Philharmoniker unter Sir Eliot Gardiner. Ein Leckerbissen.«
»Und den willst du mit mir teilen?«, fragte Theresa überrascht. »Ist Elsa krank?« Elsa war Tante Clarissas Abo-Freundin.
»Ja, die postkarnevalistische Grippewelle hat sie erwischt. Ich weiß nicht, warum sie mit ihren lächerlichen 82 Jahren jeden Virus aufschnappt.«
»Was treibt sie sich in ihrem Alter auch im Karneval herum?« Theresa lachte. Die absurde Vorstellung, dass die elegante Elsa sich im Karneval tummelte, amüsierte sie. Nun war Theresa also dran und musste Tantchen ins Konzert begleiten. Einer 93-Jährigen schlug man keinen Wunsch ab, wenn er irgendwie erfüllbar war. Theresa hatte zwar Bereitschaftsdienst, aber sie würde ihr Handy stumm schalten und das Beste hoffen. Der dauernde Stand-by-Modus ging ihr auf die Nerven. Jedes Jahr dasselbe Theater. Von Weiberfastnacht bis Karnevalsdienstag schunkelten die Kollegen halbnackt in den Straßen herum, bis auch der Letzte sich mit dem Grippevirus infiziert hatte. Dieses Jahr wütete er besonders arg. Sie arbeiteten im Morddezernat KK 11 mit halber Mannschaft. Verbrecher hatten gute Chancen, ungestraft davonzukommen. Theresa gehörte wie jedes Jahr, weil sie dem Mummenschanz fernblieb, zu den Gesunden und Leidtragenden. So wie ihre Tante, die trotz ihres Alters robust war. Ostpreußische Gutsherrengene.
Auf Theresas Klingeln hin stand die alte Dame fertig angekleidet im eleganten schwarzen Yves-Saint-Laurent-Mantel bereit.
»Da bist du ja, Kind.« Die Tante verriegelte die Türschlösser oben und unten, drehte den Schlüssel jeweils zweimal um.
»Immer noch keine Alarmanlage?«, fragte Theresa, die Antwort kennend. Vergeblich bat sie bei jedem Besuch, endlich eine Sicherung einzubauen. Die wohlhabende Verwandte lebte in dem teuren Kölner Villenviertel allein in ihrem Haus. Es hatte mehrere Einbruchversuche gegeben, und Trickdiebe hatten erst kürzlich versucht, die Arme mit irgendeiner Dachdeckernummer zu übertölpeln, worauf sie wenigstens eine Gegensprechanlage installieren ließ, damit Gangster nicht gleich in ihrem Flur standen. Aber wahrscheinlich haut sie ihnen die Handtasche um die Ohren, dachte Theresa, als Tante Clarissa mit eiligem Schritt die Zufahrt hinuntereilte. Der flotte Gang verriet ihr Alter nicht, nur das von Osteoporose zerbröselnde Rückgrat, das sich wie ein Flitzbogen krümmte. Sie schrumpelt langsam weg, bemerkte Theresa, während sie der Tante die Fahrzeugtür aufhielt. Als sie sich ins Auto hineinbeugte, um beim Anschnallen zu helfen, pfiff Clarissa Hammerstadt ihre Nichte an.
»Ich kann das selbst. Bin doch kein Kind mehr.«
»Aber vielleicht wieder«, lachte Theresa. Mit ihrer Tante pflegte sie einen lockeren Umgangston, den die ihr nie übelnahm, anders als ihre eigene Mutter, mit der Theresa bei jedem der seltenen Telefonate aneinandergeriet.
Das Konzert begann erst um acht Uhr, aber die Kommissarin, die immer mal wieder für die kränkelnde Elsa einsprang, kannte das Prozedere der musikalischen Abende. Sie begannen mit einem Glas Champagner und einem Imbiss im »La Brasserie«, gegenüber der Philharmonie. Früher waren sie ins Dom-Hotel gegangen. Das fiel aus, es war im fünften Jahre geschlossen – und damit hatte die einzige Gastronomie auf dem Domplatz den Betrieb eingestellt. In Köln schaffte es nicht nur die Stadt, Chaos im Bausektor anzurichten, auch auswärtige Investoren kriegten das in der Jeckenmetropole hin. Es gab in Köln für ein Hotel keinen attraktiveren Standort als die Lage am Roncalliplatz mit Blick auf das Weltkulturerbe, aber irgendetwas lief bei der Renovierung des altehrwürdigen Hotels schief, und nun bröckelte das Gebäude traurig vor sich hin. Ähnlich wie die Oper. Bauprobleme hatten in der Rheinmetropole Tradition. Für ihren Dom benötigten die Kölner schlappe 623 Jahre bis zur Fertigstellung.
Im Foyer der Philharmonie wurde Theresa Zeuge der fleischgewordenen Statistik zur Überalterung der deutschen Gesellschaft. Die Folgen bekam sie sofort zu spüren. Trotz des erfreulichen Anlasses mufften die alten Leute herum, überfordert durch die Anstrengungen, die es sie kostete, die lädierten Körper vom gemütlichen Eigenheimsessel bis in den Sitz des Konzertsaals zu überführen. Theresa hatte es verpasst, die Restauranttoilette aufzusuchen. Sie musste Tantchen auf einer Sitzbank deponieren und sich im Waschraum der Philharmonie anstellen, wo sich vor den Häuseln eine Schlange der von Inkontinenz Geplagten bildete, unter denen schlechte Stimmung herrschte. Besorgte Blicke auf die Uhren.
»Eigentlich bin ich für das Konzert hergekommen und nicht zur Toilettenbesichtigung«, nörgelte Theresa gut vernehmbar. »Können die hier nicht eine angemessene Anzahl an Scheißhäusern bereitstellen?«, fügte sie wütend hinzu. Strafende Blicke trafen sie. In letzter Zeit nahm Theresa gewisse Anzeichen des Tourettesyndroms an sich wahr. Immer häufiger überfiel sie eine unbändige Lust, ausfallend zu werden. Umso mehr, je distinguierter die Szene war. Vielleicht eine Folge ihrer strengen Erziehung. Die adligen Eltern hatten jegliches Fluchen im Keim erstickt. Womöglich drängte jetzt alle aufgestaute Wut aufs Mal aus ihr heraus.
Eine aus der Toilette herausstolpernde Alte rempelte die Kommissarin an und brummte vergrätzt: »Wenn sich hier nicht all die Musikkretins tummelten, müsste man nicht anstehen.«
Sie waren nicht gut drauf, die reichen deutschen Rentner. Manche der älteren Leute hatten diesen Anspruch auf Vorfahrt im Gesichtsausdruck. Hoffentlich verabschiede ich mich von der Welt, bevor ich solche Attitüden annehme, überlegte Theresa. Frühzeitig und mit üblen Flüchen auf den Lippen. Bei dem Gedanken verbesserte sich ihre Laune. Die Chancen, eine seltsame Alte zu werden, standen eh schlecht. Ihre beiden erwachsenen Söhne würden sie zurechtstutzen. Die ließen ihr nichts durchgehen.
Theresa und ihre Tante schafften es kurz vor acht Uhr, die Sitze einzunehmen. Vor dem eigentlichen Konzert begann das Hustenkonzert. Theresa war froh, dass sie den Außenplatz erwischt hatte. Die letzten Ausläufer der Grippewelle schwappten durch die Sitzreihen. Durch die hervorragende Raumakustik war jeder Hustenakkord perfekt zu vernehmen. Auch Damen, die auf dem oberhalb des Konzertsaals liegenden Heinrich-Böll-Platz mit Stöckelschuhen klapperten, hörte man innen ausgezeichnet. Die Geräusche wurden von den schwingenden Trägern in den Konzertsaal übertragen. Während der Aufführungen wurde der Platz deshalb abgesperrt und bewacht, was jährlich etwa 100.000 Euro Kosten verursachte. Seit der Philharmonie-Eröffnung 1986 hatte