Schweigen über Köln. Maren Friedlaender
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»Das Fegefeuer wird mir nicht erspart bleiben, Kind!«
»Möglich, wegen deines Schandmauls«, bestätigte Theresa.
»Und weißt du, was das Furchtbare am Fegefeuer ist? Du musst dir anhören, was die Menschen auf Erden wirklich über dich gedacht und gesagt haben.«
»Autsch, eine grausame Strafe«, jaulte Theresa auf. »Es wird leichter, je weniger Illusionen du dir über dich selbst gemacht hast. In der Beziehung bin ich recht realistisch.«
Theresa kam zum Punkt. »Siebziger Jahre – ich war gerade erst geboren und weiß Fakten über die Studentenbewegung und die Radikalisierung einiger nur aus zweiter Hand. Wie war die Stimmung? Studentenrevolte, RAF? Onkel Ferdi war doch im Auswärtigen Amt.« Der diplomatische Dienst hatte Tante Clarissa und ihren Ehemann Ferdinand in alle vier Ecken der Welt verschlagen.
Clarissa zog erneut kräftig an ihrem Zigarillo. Theresa meinte, die Rauchschwaden durch das Telefon riechen zu können.
»Schlimme Zeit«, erinnerte sich die Tante. »Die Stimmung war so aufgeheizt. Weißt du, Kind, für die Studentenbewegung hatten wir Verständnis, das war eine Abrechnung mit den Nazi-Eltern und den Nazis, die noch überall in staatlichen Funktionen saßen, an höchsten Stellen. Denk nur an Hans Globke, Mitverfasser der Kommentare zu den Nürnberger Rassengesetzen und später zehn Jahre Chef des Bundeskanzleramts unter Adenauer. Es war zum Kotzen. Diese Nazis saßen überall und besonders im Auswärtigen Amt.«
»Nicht zu fassen. Und Adenauer? Wie verhielt der sich dazu?«
»Kann ich dir sagen, Kind. Von Adenauer stammt das schöne Zitat: ›Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei einmal Schluss machen, denn, verlassen Sie sich darauf, wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört.‹ Und deshalb haben sie lieber mal schnell aufgehört. Aber irgendwann kommt der Dreck, der unter den Teppich gekehrt wird, wieder hervor. Das haben die 68er besorgt. Zu Recht. Aber in einigen Köpfen lief etwas schief. Bis heute – die sitzen ja noch überall herum mit ihren verqueren Ansichten. Und damals erst. Es gab viele Mitläufer und Sympathisanten der Terroristenszene. Unter Akademikern, an den Universitäten, in der Kunstwelt, Regisseure. Schlöndorff, Margarethe von Trotta. ›Die bleierne Zeit‹, hast du den Film gesehen, in dem sie den Selbstmord von Ensslin anzweifelt und ihn als Mord darstellt?«
Clarissas Gedächtnis funktionierte wie geölt. Sie stieß ihr zorniges Lachen in den Telefonhörer. Zornig, das konnte sie auch, so überzeugend, dass man in seinem Sessel zusammensackte.
»Zurück zur RAF«, erinnerte Theresa die alte Dame.
»Die RAF-Leute, die waren brutal und menschenverachtend. Wie will man mit Hass und Menschenverachtung eine bessere Welt aufbauen? Sie verbreiteten Angst in der Gesellschaft. Die Menschen fürchteten sich vor diesen Radikalen, und der Staat reagierte mit radikalen Maßnahmen. Oder besser gesagt – mal so, mal so. Bei der Entführung von Peter Lorenz, du erinnerst dich, das war der Spitzenkandidat der CDU bei der Berliner Bürgermeisterwahl. Wann war das? Mitte der 70er. Den Tätern gelang es, verurteilte Terroristen freizupressen. Sie ließen Peter Lorenz laufen, schwer traumatisiert, der Mann. Bei der Schleyer-Entführung blieb der Staat hart. Die Folgen kennst du.«
Clarissa machte eine Pause, und Theresa überließ die Tante ihren Gedanken.
»Weißt du, Kind, die Einschläge kamen näher. Attentat auf die Botschaft in Stockholm, Kollegen starben. Wir waren geschockt, hatten 1970 die Entführung von Botschafter Holleben in Brasilien miterlebt, linke brasilianische Terroristen, das saß uns in den Knochen. Dann Schweden, wieder Kollegen, Schleyer, Jürgen Ponto, Herrhausen, Rohwedder – alles Bekannte, teils Freunde. An jedem Opfer hing eine Vielzahl von Menschen, deren Leben sich in einer Sekunde änderte: Frauen, die zu Witwen, Kinder, die zu Waisen wurden; Freunde, die mitlitten. Von den Opfern wird so wenig geredet, viel von den Tätern. Denk an den Tatort-Krimi – war das im letzten Jahr, dieser RAF-Tatort? Ich schau mir so einen Quatsch gar nicht an, aber gelesen habe ich darüber. Der Staat soll die Terroristen im Gefängnis umgebracht haben. Verschwörungstheorien.«
»Ja«, bestätigte Theresa. »Ich habe den Film sogar gesehen. Mir wurde ganz mulmig. Die Ermordung der Gefangenen durch ein staatliches Geheimkommando wurde sehr realistisch dargestellt, als ob es wirklich so geschehen sei. Ich fand das unverantwortlich, weil jüngere Zuschauer den Plot für bare Münze nahmen. Die haben doch keine Ahnung von den Geschehnissen damals.«
»Was für ein dummes Zeug. Dass das überhaupt für möglich gehalten wird. Wir sind eine Demokratie, mit vielen Fehlern, aber sie ist das Beste, was wir je hatten. Nie wieder Radikale, bitte: keine linken und keine rechten Fanatiker. Das sagt eine, die von beiden Varianten eine Kostprobe erhielt. Erst die Nazis und dann die Kommunisten. Wir waren vier Jahre an der Botschaft in Moskau. Herzliche Grüße an die Bolschewiken, aber, merci, nein danke!«
Sie schmauchte wieder – ein tiefer Zug. Danach kam die unausweichliche Frage. »Warum willst du das alles wissen? Du kommst nicht weiter mit dem Toten am Stadtwald – stimmt’s?«
Im Alter hatte Clarissa nichts von ihrer Scharfsinnigkeit eingebüßt.
»Musst du ja nicht unbedingt weitererzählen – aber, ja, du hast recht. Wir stecken fest. Wir kennen nicht einmal die Identität des Opfers.«
»Rache?«
»Kann sein. Der Ort spricht dafür – wenn es kein Zufall ist.« Theresa überlegte: »Nein, an Zufall glaube ich nicht. Ein Mann wird erschossen, genau an der Stelle, an der einst der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt wurde.«
»Schau mal bei den Ossis – die haben die RAF-Täter reihenweise beherbergt«, erinnerte sich Clarissa.
»Ein Gespräch mit dir lohnt sich immer«, lobte Theresa und wünschte der Tante einen angenehmen Tag.
»DDR«, sagte sie zum Kollegen Bär. Der schaute ratlos.
»Wir müssen an die Öffentlichkeit, auch im Osten.« Sie erklärte ihm die Gründe.
Bär nickte.
Blick im Regen nach Köln
Der Regen hörte nicht auf. Nie mehr, dachte Kommissar Michael Fett. Seit Ende Januar regnete es täglich. Der Himmel war grau. 50 Arten von Grau. Tiefes Grau, dunkles Grau, helles Grau. Grau mit Streifen und ohne. Graue Wolkengebirge zogen von Westen heran. Man sollte in Aktien von Regenschirmfabrikanten investieren, dachte Fett.
In Aachen regnete es oft, aber wenig. Den Spruch des Meteorologen von der RWTH Aachen kannte sogar der alte Inhaber des Schuhgeschäftes am Theaterplatz. Fett kaufte dort seine Schuhe mit Gummisohle. Rutschfest. Der Inhaber hinkte aus dem Hintergrund des Geschäftes in den Verkaufsraum. Beredt erklärte er den Stammkundinnen, die um einen Preisnachlass baten, dass er nichts an den Schuhen verdiene, ja quasi Geld drauflege. Im Grunde sei er ein selbstloser Diener am Fuße der Menschheit, ein armer Geschäftsmann, der gerade eben sein täglich Brot erwirtschafte. Als die Kundin erneut nach einem Rabatt fragte, konterte er mit seiner Standardantwort im Aachener Singsang: »Oes, es dat nett ejen Stadt en Marokko. Janz jewiss.« Das Thema erledigte sich damit von selbst.
Die aparte Verkäuferin, ob sie quasi ohne Lohn ihren Dienst verrichtete, blieb unbekannt, half Fett in den Schuh, lobte seinen Geschmack und bemerkte,