Schweigen über Köln. Maren Friedlaender
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Es regnete in einem fort. Die neuen Schuhe trug er in einer Tüte, zehn Cent wegen der Umwelt. Fast wäre er am Dom zwischen den massiven Steinpollern ausgerutscht. Mitten auf den AIDS-Toten, ging ihm durch den Kopf. Nicht auf Gräbern, sondern auf Namen. In die Pflastersteine waren die Namen von AIDS-Toten eingemeißelt. Wieso, fragte er sich. Warum nicht die Namen von Bergleuten, die an Staublunge elend gestorben waren? Oder von krebskranken Kindern? Ungleiche Tote? War der AIDS-Tod denkmalgeschützt? Er stand im Regen und schaute auf die Namen in den Steinen. Er ärgerte sich über diese Klassifizierung des Todes. Junge Kollegen waren im Einsatz gestorben. Nicht mal im Präsidium eine Gedenkplakette. Aber Stolpersteine für AIDS-Tote. Was war so ehrenvoll an diesem Tod, dass die Opfer nun in Stein gemeißelt hier verewigt wurden? Sein Unverständnis wuchs, der Regen prasselte heftiger.
Mit nassen Füßen machte er sich auf den Weg zu seiner Wohnung am Templergraben. Meditatives Schuhputzen stand auf dem Programm. Die Anleitungen zum richtigen Putzen füllten ganze Webseiten. Schuhfetischisten tummelten sich darauf. Er betrat den Hausflur. Frau Kleinjohann, seine alte Nachbarin, hatte er seit Tagen nicht mehr gesehen. Er klingelte bei ihr.
»Alles in Ordnung, Frau Kleinjohann? Habe Sie lange nicht gesehen.«
»Ach, Herr Fett. Danke. Bei dem Wetter kann doch kein Mensch vor die Tür. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Nett von Ihnen. Muss gleich wieder raus. Danke. Ein anderes Mal.«
Sie lebte. Alleine sterben die alten Menschen. Frau Kleinjohann hatte keine Angehörigen. Wer würde sie begraben, sie, die Krieg und Wiederaufbau mitgemacht hatte. Arbeiterin in der Nadelfabrik. Kein Gedenkstein am Dom. Tod durch Altersschwäche, dafür gab es kein Ehrenmal.
Freitagnachmittag. Schuhe gekauft. Cappuccino im Café zum Mohren. Heute Abend »Three Billboards outside Ebbing, Missouri« mit Iska im Programmkino. Im Grunde alles in Ordnung. Fast.
Vorbereitung auf Kurdendemo in Köln. SEK Bonn in Bereitschaft. Schwere Ausschreitungen möglich. Die Absage von Iska, Leiterin des SEK Bonn, kam wie so oft, wenn sie verabredet waren. Die Zahl der Überstunden wuchs ins Unendliche. Reichsbürger, Linksautonome, sogenannte Aktivisten in Hambach, kriminelle Flüchtlinge, darunter Folterknechte verschiedener Regime. Ihm war die Lust vergangen. Spaghetti Bolo, ein Krimi von Takis Würger und danach Aspekte im ZDF. Sein Abendprogramm stand. Oder doch ein rascher Kontrollgang durch die Innenstadt? Besuch bei seinen griechischen Freunden. Es regnete ununterbrochen. Fett blieb zu Hause.
Samstagmorgen. Er las im Feuilleton der ZEIT über die Angriffe auf das Café Mohrenkopf in Ingolstadt. Absurde Vorwürfe. Sprachpolizei, dachte Fett. Danach die Lokalzeitung. Eine Professorin der Aachener Uni sollte entlassen werden, weil sie sich weigerte, in ihren Schriften korrekt zu gendern. Ihre Texte seien mittlerweile ein Zehntel länger und unlesbar, wenn sie jedes »Bürger und Bürgerinnen« einfüge, beklagte sich die Betroffene. Wo lebte er eigentlich? Ein Land im Dauererregungszustand. Er blätterte weiter. Keine Fortschritte im Fall des unbekannten Toten in Köln. Na, da hat Theresa ein Problem, dachte Fett, und fast konnte man meinen, er seufze ein wenig. Er kannte Kommissarin Theresa Rosenthal gut aus dem Verhülsten-Fall. Aachener Verleger, der tot in einer Pferdebox auf der Kölner Rennbahn gefunden wurde. Städteübergreifende Ermittlungen. Sie waren sich nähergekommen. Beidseitig. Er blickte suchend aus seinem Küchenfenster in Richtung Köln. Theresa, sie hatte sich lange nicht gemeldet. Abstand halten. Wie beim Autofahren. Sicherheitsabstand.
Vergangenheit, die nicht vergeht
Monika Münzer saß an ihrem Schreibtisch mit Blick auf die gegenüberliegenden Häuser in der Schillerstraße. Sie hatte Glück gehabt, eine Wohnung in Bayenthal zu finden, ein Eckhaus, ehemals für eine Familie gebaut. Die betagte Besitzerin hatte ihr die zwei oberen Etagen zu einem annehmbaren Preis überlassen. Die Mieten in der Gegend waren in letzter Zeit explodiert, aber Frau Schänzel ging auf die 85 zu und hatte eine zuverlässige, sympathische und hilfsbereite Mitbewohnerin gesucht. Das war Monika Münzer. Sie liebte diese Gegend. Alles fußläufig erreichbar. Aldi, Rewe, Penny, alles um die Ecke. Ihr täglicher Einkauf garantierte Frische und passte problemlos ins Fahrradkörbchen, selbst wenn sie Gäste mit ihrem beliebten Ratatouille an Roastbeef bewirtete. Milch, Butter und Schinken für Frau Schänzel fanden auch noch Platz im Einkaufskorb.
Monika nahm einen Schluck von ihrer frisch gebrühten Latte Macchiato und checkte am Samstagmorgen die Online-Medien: Welt, Spiegel, FAZ – Thema Flüchtlinge, Merkel, wie immer auf Tauchstation; Trump, der Bösewicht; Macron, der Hoffnungsträger. Ferienbilder von Macrons Frau Brigitte an der Cote d’Azur. Motsi Mabuse bekommt ein Kind. Who the hell war Motsi Mabuse? Miss Tagesschau frisch verliebt und irgendwas mit Dieter Bohlen, lebte der überhaupt noch? Bild textete: »Machte Hollywood-Star extra ins Bett? Sie sagt, es war der Hund.« Was für eine Schlagzeile! Mit was für Zeug dröhnten sich die Leute bloß zu? Irgendetwas war in den letzten Jahren geschehen. Das Niveau der Berichterstattung sackte auf der nach unten offenen Skala stetig ab. Danach Kölner Stadtanzeiger, mal gucken, was so los war in ihrer Jeckenstadt. Das Abonnement hatte sie vor Jahren gekündigt. Sie hatte von gutem Journalismus eine andere Vorstellung. Monika Münzer selbst recherchierte akribisch, sauber. Ohne abgesicherte Fakten gab es keine Veröffentlichung. Beim WDR hatte sie gekündigt, mit Verzicht auf eine beamtenartige Lebensstellung mit Pensionsansprüchen. Sie konnte diesen Gesinnungs- und Haltungsjournalismus nicht mehr guten Gewissens vertreten. Besser gesagt – er kotzte sie an. Zuletzt waren ihre Beiträge immer häufiger zensiert oder nicht gesendet worden mit meist fadenscheinigen Argumenten. Keine Karriere ohne eine gewisse Haltung zu Themen. Nun arbeitete sie als Freie. Die Aufgabe eines Journalisten – so wie sie es sah – bestand darin, neugierig zu sein, die Fenster nach allen Seiten zu öffnen, Informationen zu beschaffen, die Leser mit Fakten zu versorgen, ohne eine vorgefasste eigene Meinung zu verwursten. Wie eine Krake hatte der Gesinnungsjournalismus sich im Lande ausgebreitet. Es gab eine Art stillen Konsens zu gewissen Themen, eine Übereinstimmung, was gerade noch politisch korrekt war, und einen Shitstorm, sobald man bestimmte Themen hinterfragte. Migration, Umwelt, Gendergedöns, Ehe für alle, künstliche Befruchtung für alle, Organe für alle, Me-too-Hype. Als aber der Redaktionsleiter beim WDR ihr unter den Rock griff, verlief ihre Beschwerde im Sand. Ein verdienter SPD-Genosse, der Herr Redakteur, mit guten Kontakten in die Parteizentrale. So einer bekam keine Abmahnung.
Als Buße hatte er einen Sonderbericht in Sachen Frauenbewegung ins Programm genommen. »Frauenbewegungen – haha«, witzelten die männlichen Kollegen. »Frauenbewegungen – dagegen haben wir doch nichts.« Blinzeln mit schmierigem Grinsen gewürzt. Idioten.
Egal. Mit solchem Kinderkram verschwendete sie ihre Zeit nicht. Sie kam zurecht mit den Chauvis. Weniger mit der Meinungsdiktatur, der sich die meisten ihrer Journalistenkollegen unterwarfen, um nicht in die rechte Schmuddelecke verbannt zu werden. Münzer hielt die Selbstzensur für gefährlich. Wo endete das? Im Totalitarismus.
Sie hatte versucht, den Dauererregungszustand wegzumeditieren, aber der Ärger kam beim Nachrichten lesen immer wieder mal hoch. Im Kölner Stadtanzeiger stieß sie auf den Bericht über einen Todesfall in der Nacht vom Freitag auf Samstag, ein unbekannter Toter. Täter ebenfalls unbekannt – flüchtig. Der Fundort irritierte sie. Friedrich-Schmidt-Straße, Ecke Vincenz-Statz-Straße. Monika Münzer wusste alles, was am 5. September 1977 dort passiert war, jedes zugängliche Detail, obwohl sie zu dem Zeitpunkt ein Kind war, als Hanns Martin Schleyer an genau dieser Stelle von Mitgliedern der RAF entführt wurde.
Sie blickte auf die Pinnwand in ihrem Arbeitszimmer. Dort hingen die Fahndungsplakate: RAF-Täter der ersten Generation, RAF-Täter der zweiten Generation. Und teils gesuchte RAF-Mitglieder der dritten Generation, einige nicht identifiziert. Ein Mitglied der Gruppe hatte Monika Münzer aufgespürt, in akribischer Kleinarbeit, jahrelangen Recherchen und mit Unterstützung eines Spezialisten.
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