MORLOCK. Rolf Gröschner

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MORLOCK - Rolf Gröschner

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ich mich erst mit Max besprechen.“ „Gut, ich wende mich also wegen der Blutspur an die Kripo.“

      Elisabeth lauschte auf das Knarren der Treppe. Sie kannte den schweren Schritt ihres Mannes. Noch bevor er aufsperren konnte, öffnete sie die Tür. „Und? Was sagt Hans zu unserer Entdeckung?“, fragte sie gespannt. Sie konnte kaum abwarten, bis Georg wieder zu Atem kam. „Ich muss mich erst setzen. Hans meint, für die Untersuchung der Blutspur ist die Kriminalpolizei zuständig. Und die Kripo wird sich ja wohl auch mehr für den Schuss interessieren, den du gehört hast.“ „Georg, jetzt merke ich, dass du mir doch glaubst. Das freut mich sehr!“

      „Wo finde ich denn die Telefonnummer der Kriminalpolizei?“ „Im Telefonbuch unter K.“ „Fehlanzeige!“ „Haben die beiden Polizisten gestern nicht von der Bayerischen Polizei gesprochen?“ „Unter B finde ich nur das Bayerische Landeskriminalamt. Aber es ist auch eine Nürnberger Nummer angegeben.“

      Georg wählte bewusst langsam, um ein wenig Zeit für die Überlegung zu gewinnen, was er sagen sollte: „Erwähne ich nur die Blutspur oder auch den Schuss und wer hat ihn gehört – nur Elisabeth und die Reibers oder auch ich?“

      Das „Belegt“-Zeichen verlängerte seine Bedenkzeit. Als sich beim dritten Versuch eine unwirsch klingende Männerstimme meldete, hatte er die Lösung, die er auch sofort loswerden wollte: „Meine Frau hat mir glaubhaft versichert, gestern einen Schuss gehört zu haben …“ „Einen Moment, ich verbinde mit der Abteilung Ermittlungen.“

      Der Ansprechpartner aus dieser Abteilung war freundlich, geduldig und außergewöhnlich hilfsbereit. Nachdem Georg seinen Satz mit dem Schuss wiederholt hatte, wurde er zunächst belehrt: „Eine Strafanzeige gegen Unbekannt nimmt jede Polizeidienststelle entgegen. Sie können sie aber auch bei der Staatsanwaltschaft aufgeben.“ „Und bei Ihnen?“ „Wir sind dafür eigentlich nicht zuständig. Ich kann Ihre Aussage aber protokollieren und an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Sie müssen das Protokoll dann dort nur noch unterschreiben.“

      Der hilfsbereite Bayerische Beamte fragte zunächst nach den Personalien: „Georg Meier, geboren am 14. November 1925 in Nürnberg, wohnhaft in der Pillenreuther Straße 18 in Nürnberg; verheiratet mit Elisabeth Meier, geborene Blonske, Geburtstag am selben Tag wie ich, nur vier Jahre später, also am 14. November 1929 in Zirndorf.“ „Was sind Sie von Beruf?“ „Schaffner bei der Nürnberg-Fürther Straßenbahn.“

      Der Beamte räusperte sich: „Ich frage jetzt außerhalb des Protokolls: Auf welcher Linie könnte ich schon einmal einen Fahrschein bei Ihnen erworben haben?“ „Auf der Linie 21.“ In einer spontanen Reaktion auf die Hilfsbereitschaft seines Gesprächspartners fügte er hinzu: „Falls Sie mitfahren wollen: Montags beginnt mein Dienst immer um kurz nach zehn am Hauptbahnhof.“ „Um diese Zeit habe ich schon zwei Dienststunden hinter mir. Überlassen wir eine Begegnung in der Linie 21 also dem Zufall.“

      Nach diesem Intermezzo erzählte Georg die Geschichte mit dem Schuss, der Blutspur, dem Damenfahrrad und – dieses Mal verschwieg er ihn nicht – mit dem Cadillac. „Das Protokoll wird übermorgen zur Unterschrift in der Fürther Straße 112 bereitliegen. Danach wird die Staatsanwaltschaft die erforderlichen polizeilichen Ermittlungen veranlassen.“

      Georg war doppelt erleichtert. Erstens war es ihm gelungen, den Fall aktenkundig zu machen und die Ermittlungen in Gang zu setzen. Und zweitens konnte er Elisabeth beweisen, dass er ihre Wahrnehmung nicht für ein Hirngespinst hielt. Sie hatte dem Gespräch höchst aufmerksam zugehört und grinste nun über beide Backen. Sie nickten einander wortlos zu.

      Weil Hans den Tipp mit der Kripo gegeben hatte, hätte Georg ihm gern noch von seiner erfolgreichen Strafanzeige berichtet. Es war jedoch schon bald zehn Uhr und sein Dienstbeginn rückte näher. Er nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, griff Schaffnerjacke, Geldtasche, Münzwechsler und gab Elisabeth einen Kuss auf die Wange. „Bis später!“ Auf dem kurzen Weg zum Hauptbahnhof geriet er ins Grübeln: Was würde aus ihm als Schaffner werden, wenn die Nürnberg-Fürther Straßenbahn tatsächlich wie geplant auf schaffnerlosen Betrieb umstellen sollte?

      Abgesehen vom Verlust des Arbeitsplatzes konnte er sich das Entfallen der täglichen Rituale nicht vorstellen: die Geldscheine in seine Schaffnertasche und die Münzen in seinen Geldwechsler mit der gebotenen Sorgfalt einzuordnen und über das Wechselgeld genau Buch zu führen.

      Und dann kreisten seine Gedanken längere Zeit um die Frage: Wie will man das Schwarzfahren verhindern, wenn niemand mehr ruft: „Noch jemand ohne Fahrschein?“ Er liebte seinen Beruf, daher wollte er sich nicht weiter mit unklarer Zukunft beschäftigen. Plötzlich wurde er im Halbdunkel des Celtis-Tunnels von einem Fahrradfahrer gerammt, sodass er fast das Gleichgewicht verlor. Im Stolpern fing ihn ein entgegenkommender Fußgänger auf, der ihn unangenehm kräftig umfasste. Ohne einen Dank abzuwarten, setzte dieser seinen Weg mit forschen Schritten fort. Irgendwie kam ihm der Zwischenfall komisch vor.

      Am Hauptbahnhof stieg er in „seinen Einundzwanziger“. Warum „die“ Straßenbahn und „ihre“ Linien in Nürnberg männlich sind, konnte er nicht begründen, fand es aber irgendwie richtig. Die Linie 21 fuhr um diese Zeit ohne Beiwagen. Georg nahm im Schaffnersitz des Triebwagens Platz. Als er seine Schaffnertasche öffnen wollte, fuhr ihm der Schreck durch alle Glieder: Sie war offen und er befürchtete, unbemerkt bestohlen worden zu sein. Auf den ersten Blick fehlte jedoch nichts. Aber zwischen den blauen Zehnmarkscheinen steckte ein kleiner weißer Zettel. In Anfängerschrift stand darauf: „Kein Cadillac. Sonst teuer bezahlen!“ Er konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. Außerdem musste er sich seinen Dienstaufgaben widmen.

      Georg Meier versah seinen Schaffnerdienst an diesem Tag nicht mit der gewohnten Konzentration und Sorgfalt. Immer wieder stimmte das sonst so sicher von ihm abgezählte Wechselgeld nicht, weil es ihm einfach nicht gelang, den Zettel zu vergessen. Er nahm ihn als Versuch einer Erpressung sehr ernst: Mit „Kein Cadillac“ wurde er wohl aufgefordert, seine Aussage zu widerrufen. Aber was war mit „Sonst teuer bezahlen!“ gemeint? Und woher kannte der Erpresser den Hinweis auf den Cadillac in seiner Anzeige?

      Dienstschluss war um 18 Uhr, wieder am Hauptbahnhof. Die Linie 21 – um diese Zeit mit Beiwagen – hatte fünf Minuten Verspätung. Während des gesamten Tages hatte Georg überlegt, ob und wie er Elisabeth von der befürchteten Erpressung erzählen sollte. Auf dem Heimweg, der durch den Celtis-Tunnel führte, fiel seine Entscheidung: Er würde ihr den Zettel ohne Kommentar in die Hand geben und ihrer Phantasie als Krimileserin vertrauen. Dabei musste er gegenüber sich selbst zugeben, die betreffende Lektüre seiner Frau bisher zu gering geschätzt zu haben.

      Elisabeth empfing ihn mit dem Satz, der nach jedem Arbeitstag Georgs Feierabend einläutete: „Abendbrot ist fertig. Dein Bier steht bereit.“ Weil das gewohnte „Danke. Dann lass ich es zischen“ ausblieb, fragte sie sofort: „Was ist passiert?“ Georg gab ihr wortlos den Zettel. Sie las, kratzte sich kurz an ihrem Wuschelkopf und sagte im Brustton der Überzeugung: „Da will uns jemand erpressen. Und zwar jemand, der deine telefonische Strafanzeige mitgehört oder abgehört haben muss. Nur so kann er wissen, dass du von einem Cadillac berichtet hast, den ich ja unmittelbar nach dem Schuss gesehen habe und der dir dann bei seiner Rückfahrt, fast wie bei einer späteren Kontrollfahrt am Tatort vorbei, aufgefallen ist.“

      Georg war sprachlos. Der kriminalistische Scharfsinn seiner Frau nötigte ihm jetzt größten Respekt ab. Zwingend erschien ihm vor allem die Annahme des abgehörten Telefonats. Georg wusste es aus dem Bericht eines von ihm geschätzten Nachrichtenmagazins: In der ‚amerikanisch besetzten Zone Bayern‘ – auf den Autokennzeichen mit einem B unter einem A abgekürzt – gehörte es für die Besatzungsmacht gewissermaßen zum guten Ton, die deutsche Polizei durch Abhörmaßnahmen zu überwachen. „Elisabeth, du hast ganz sicher Recht: Die Amerikaner müssen mein Telefonat mit dem Landeskriminalamt abgehört haben! Aber was haben die Amis mit der Sache zu tun?“

      Elisabeth

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