MORLOCK. Rolf Gröschner

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MORLOCK - Rolf Gröschner

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gehen könnten. „Kommst du morgen wieder?“, beeilte sich Mike, bevor Anni aufstand und den Stuhl zurechtrückte. „Vielleicht“, kam über ihre Lippen, begleitet von einem schelmischen Blick, der ihm „wahrscheinlich“ signalisieren sollte.

      Als Mike wie vorher seinen Anstand bewies und sich erhob, indem er beide Arme militärisch an den Körper anlegte, merkte sie, dass er einen ganzen Kopf größer war als sie. Sie schätzte ihn auf gut eins neunzig. „Worauf wartest du noch?“, forderte sie Kuni auf. Beim Hinausgehen drehte sich Anni noch einmal um. Mike freute sich sehr über diese kleine Geste, worüber er im gleichen Augenblick erschrak. Noch nie zuvor hatte ihn ein weibliches Wesen interessiert. Spontan fiel ihm der Vers ein, den er von seinem Großvater kannte: ‚Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust‘. Zwei Seelen, die auseinander drängten.

      Am nächsten Tag ließ Anni auf sich warten. Als sie schließlich den stickigen Gastraum betrat, entdeckte sie Mike und seinen Freund gut gelaunt miteinander plaudernd. Mike hatte schon lange den Eingang im Auge behalten. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sie erblickte. Noch bevor er entsprechende Worte fand, übernahm diesmal sein Freund die Einladung.

      Mike schien ihm ihren Namen genannt zu haben, denn er sagte „Anni, would you be so nice to join us?“ Fragend blickte sie zu Mike. Er nickte einladend. „Gibt es etwas zu feiern?“, fragte sie, indem sie auf dem dritten Stuhl Platz nahm, den Mike bisher tapfer gegenüber anderen GIs verteidigt hatte.

      Der Kleine erhob sich und stellte sich förmlich vor: „I’m Robert, Robert Brown. Oh yes, you’r right, there is something to be celebrated.“ Offensichtlich hatte Robert ihre Frage verstanden. „It’s Mike‘s birthday“.

      „Willst du dich nicht setzen?“, ermunterte Mike sie, indem er den Stuhl in Position brachte. „Na dann – alles Gute!“, wusste sie nur zu sagen. Sofort orderte Mike ein drittes Bier. „Oder möchtest du etwas anderes?“, ergänzte er. Anni schüttelte nur den Kopf. Ihre roten Backen fielen ihm auf. Als er sie darauf ansprach, ließ sie wissen: „Ich musste heute länger arbeiten. Damit ich nicht allzu spät komme, habe ich mein Fahrrad genommen. Da komme ich immer ins Schwitzen.“ Mike konnte sein Lachen nicht unterdrücken. Da musste sie auch kichern und Robert fiel mit ein. „Noch ein Bier bitte!“ bestellte er auf Deutsch. Kuni war noch zu beschäftigt, um sich schon jetzt zu ihnen zu gesellen.

      Die heitere Stimmung veranlasste Mike zu persönlicheren Fragen. Robert hörte angestrengt zu. Möglicherweise verstand er doch einiges, was die beiden erzählten. Schließlich wollte Mike wissen: „Wohnst du noch bei deinen Eltern?“ „Ja, was denkst du denn!“ „Und wo?“ Mike ignorierte den Fußtritt Roberts gegen sein Schienbein. „In der Moltkestraße in Nürnberg“, ergänzte sie in einer Körpersprache, als ob sie vorher nachdenken müsste.

      Mike fand dies amüsant, weil er das Spielerische schon immer liebte. Er wurde sich kurz bewusst, wie sehr er Roberts Signal weiterhin missachtete. „Hast du einen langen Weg zur Arbeit?“ Bis zur Straßenbahn in der Fürther Straße laufe ich zehn Minuten. Sie bringt mich dann in weiteren knappen zehn Minuten zu meinem Arbeitsplatz in der Quelle-Hauptverwaltung.“

      Bei dem Namen Quelle zog Mike seine Stirn spontan in Falten. Anni war deshalb etwas irritiert. Entschlossen griff sie nach dem Bier, um sich abzulenken. Mike verstand diese Geste. „Du musst wissen, der Versandhandel ist eine amerikanische Idee.“ „Ach so, das wusste ich nicht.“ Wieso konnte Mike ihre Firma Quelle als Versandhandel identifizieren? Aber diese Frage hob sie sich für später auf – ebenso wie die Frage, seit wann und woher Mike Robert kannte, dessen Miene sich zunehmend verfinsterte.

      Nachdem Kuni abgerechnet und neue Bestellungen an Ursula, ihre Kollegin weitergegeben hatte, kam sie zu den Dreien. Robert zog einen Stuhl heran und sie setzte sich ihm gegenüber. Es entging ihr nicht, dass sein Blick nur auf Mike gerichtet war.

      Nach wenigen Minuten forderte er Mike zum Gehen auf. „Come on, we are late!“ Mike zog seinen Ärmel zurück, um besser auf seine Uhr schauen zu können. „You’r right. But one moment please! Er holte Luft und trompetete: „Ich habe einen Geburtstagswunsch ...“, wobei er Kuni bittend ansah. Sie verstand ihn nicht. „Kannst du uns ausnahmsweise die ‚Schwedenstube‘ zeigen; mein Großvater schwärmte immer so von diesem Raum hier im Lokal.“ Die ungläubig verständnislosen Blicke der Drei ignorierte er, indem er seine Bitte nachdrücklich wiederholte: „Please, Bitte!“

      Obwohl GIs wegen ihrer Rangeleien seit kurzem der Zutritt zum oberen Stockwerk verboten war, konnte Kuni eine Ausnahme ermöglichen. Sie besorgte den Schlüssel und zu viert erklommen sie die Treppe nach oben. Nach dem Öffnen der knarrenden Tür weitete sich vor ihnen der mächtige Saal, in dem angeblich Gustav Adolf speiste, bevor er 1632 in die Schlacht an der Alten Veste aufbrach. Die gut erhaltene riesige Holzdecke bewunderte besonders der schöngeistige Robert. „It’s really amazing!“, wiederholte er mehrfach mit schwärmendem Blick. Mike kannte den Raum von einem Foto seines Großvaters, doch die Realität übertraf seine Erwartung. Schweigend genoss er den beeindruckenden Anblick.

      Der Lärm von der Straße erinnerte Robert an den Aufbruch. „It’s enough, thank you very much!“, raunte er noch knapp und rannte aber dann die Treppe hinab. Er wartete auf der anderen Straßenseite, von der er das Sandsteingebäude des „Grünen Baums“ betrachtete. Die beiden Flügel des geräumigen Tores standen einladend offen. Kommende und Gehende drängten zugleich hindurch. Schließlich erschienen die bekannten Gestalten. Anni sagte an Mike gewandt: „Weil heute dein Geburtstag ist, begleiten wir euch ein Stück. Bis zum Rathaus haben wir denselben Weg.“ – „Kommt ihr nicht mit bis zu unseren Barracks – oder Barracken?“, witzelte Mike.

      Anni bemerkte, dass Robert ihn kurz mit dem Ellenbogen anstieß. „Ihr glaubt ja wohl nicht im Ernst, dass wir euch zuliebe einen solchen Umweg über die Südstadt machen!“ In dieser Antwort lag Kunis ganze Enttäuschung über die Tatsache, dass Robert – der zwar nicht so männlich aussah wie Mike, aber viel mehr ihr Typ war – sie in auffallender Weise ignorierte.

      Als Anni die Wohnungstür aufsperrte, hörte sie ihren Vater aufgeregt und ungewöhnlich laut mit ihrem Bruder diskutieren. „Was regt euch denn so auf?“ Am Blick ihres Vaters erkannte sie, dass ein Wutanfall zu befürchten war. „Wo kommst du jetzt her?!“, brüllte er sie an. Noch bevor sie antworten konnte, zischte er: „Herbert hat dich gestern mit zwei Amis in der Fürther Altstadt gesehen. Bist du verrückt geworden? Habe ich dir nicht verboten, mit Amis zu verkehren?“ Zitternd stand sie vor ihm. „Du wirst die Typen doch nicht etwa im Rotlichtviertel der Gustavstraße aufgegabelt haben?“ Anni war zu verschüchtert, um eine erklärende Antwort zu geben. Zwar hatte ihr Vater ihr nur als Kleinkind den Hintern versohlt, aber sie traute ihm nun zu, dass er die Kontrolle verlor und zuschlug. „Meine Tochter trifft sich mit Amis! Ich glaub es nicht!“ Anni warf ihrem Bruder einen bösen Blick zu. „Diesen Verrat werde ich ihm nicht verzeihen“, dachte sie. „Es ist doch bekannt, dass besonders die Gustavstraße ein Sündenpfuhl von Kuppelei, Gewerbsunzucht und Schwarzhandel ist. Und was machst du?“ Er näherte sich drohend, die Fäuste geballt.

      „Woher willst du denn wissen, wie es dort zugeht?“, protestierte Anni kleinlaut. Er deutete auf den Küchentisch, auf dem die Fürther Nachrichten lagen. Als gebürtiger Fürther bezog ihr Vater seit je dieses Blatt. Er drehte sich um und begann in der Zeitung zu blättern. „Hör dir an, was der Polizeidirektor über die Amis schreibt:“

      „Fürth ist vorwiegend eine Arbeiter- und Industriestadt. Lediglich die Hauptverkehrsstraßen bekommen allmählich einen großstädtischen Charakter. Gerade diese Straßen sind aber noch völlig frei von irgendwelchem unsittlichen Treiben geblieben. Die Altstadt ist dagegen das Vergnügungsviertel für die amerikanischen Soldaten. Die engen, winkligen Gassen und der im Allgemeinen schlechte bauliche Zustand sind ein Nährboden für unsittliche Zustände.“ Vorwurfsvoll blickte er sie an.

      „Aber von

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