Demokratietheorien. Rieke Trimcev
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Im Gegensatz zu den Sophisten waren Sokrates, Platon und Aristoteles keine Anhänger der Demokratie, wie sie in Attika praktiziert wurde. Diese erschien ihnen vielmehr als Verfalls- und Entartungsform des Politischen, die sie für die politische Katastrophe, die Niederlage Athens und den Verfall der Polis, verantwortlich machten. Bereits Sokrates hielt sich von den politischen Tagesgeschäften fern, weil in ihnen die strenge Respektierung der moralischen Gesetze unmöglich war (vgl. Platon: Die Apologie des Sokrates, 31 C f.). Auch Platon und seine Schüler zogen sich enttäuscht aus der politischen Arena zurück und verlegten sich auf die geistige Arbeit in ihrer Akademie. Da Aristoteles kein Athener, sondern Metöke war, hatte er kein Bürgerrecht und konnte folglich seine ganze Kraft der philosophischen Praxis widmen. Die Distanzierung von den konkreten politischen Vorgängen und Entscheidungen ermöglichte es ihnen, grundsätzliche Reflexionen anzustellen und bleibende Einsichten in das Wesen der Politik zu gewinnen. Zwar partizipierten sie selbst nicht am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, doch wurden sie nicht müde, ihren Landsleuten den Sinn und Zweck und die Notwendigkeit der politischen Beteiligung zu demonstrieren. Ihr großes Ziel war die Wiederaufrichtung der daniederliegenden athenischen Polis auf einer erneuerten sittlichen Basis.
Doch nicht allein die Philosophen, auch die griechischen Tragödiendichter (Aischylos, Sophokles, Euripides) und Geschichtsschreiber (Herodot, Thukydides) befassten sich mit den jeweils aktuellen Fragen und den prinzipiellen Schwierigkeiten der Politik, den unterschiedlichen Verfassungen und ihrer Wirkung auf die Lebensführung der Bürger. So erörtert Herodot in der berühmten „Verfassungsdebatte“ der Historien die Stärken und Schwächen, Gefahren und Gebrechen der Demokratie. Er lässt Befürworter und Gegner derselben zu Worte kommen und die Vor- und Nachteile der drei möglichen Regierungsformen – Monarchie, Aristokratie/Oligarchie und Demokratie – erstmals in aller Offenheit abwägen. Mit ihm beginnt deshalb die folgende Präsentation und Interpretation „klassischer“ demokratietheoretischer Texte. Ihm folgt die berühmte „Leichenrede“ des Perikles, die Thukydides in seiner monumentalen Geschichte des Peloponnesischen Krieges überliefert hat. Anlässlich der Begräbnisfeier für die ersten Gefallenen des mörderischen Bruderkrieges gegen Sparta erörtert Perikles die Besonderheit der in Athen garantierten Freiheit und das Funktionieren der Demokratie. Sie sei charakterisiert durch die Trennung des Öffentlichen vom Privaten und durch ein breites und mächtiges Bürgerengagement. Im nachfolgenden Auszug aus Platons politikphilosophischem Hauptwerk, der Politeia, wird untersucht, wie die Demokratie entsteht, wie sie beschaffen ist und welche Charaktereigenschaften die in ihr agierenden Bürger entwickeln. Die dabei gewonnenen Einsichten veranlassen Platon zu einer sehr grundlegenden Demokratiekritik. Im Anschluss an Platon hat Aristoteles die von seinem Lehrer aufgeworfenen Fragen weiter verfolgt, seine Antworten kritisch geprüft und in der Politik die Eigenart der unterschiedlichen Verfassungen genauer erörtert. Auch Aristoteles zählt die Demokratie zu den schlechten Verfassungen. Allerdings führt er mit der Politie auch eine als positiv zu bewertende Form der Herrschaft der Vielen ein, die für die Geschichte des demokratischen Denkens sehr einflussreich werden sollte.
Verglichen mit den politischen und philosophischen Gründungsleistungen der Griechen blieb die politische Theorie und Praxis der Römer in der Zeit der Republik auf halbem Wege stecken. Sie vermochte sich nicht aus den Fesseln der aristokratischen Herrschaft und von den Selbstverständlichkeiten der Überlieferung, dem Brauchtum der Väter (mos maiorum), zu lösen. Die Demokratie hatte nie eine reelle Chance in Rom. Das politische Denken der Römer erschöpfte sich demgemäß in der Suche nach pragmatischen Lösungen für die oligarchischen Herrschaftskonflikte und fand diese gewöhnlich in geschichtlichen Exempla, in den vorbildlichen Haltungen und Aktivitäten der Vorfahren und Ahnen. Erst in der Krise der Republik setzten theoretische Reflexionen ein, die – animiert durch die Rezeption der griechischen Philosophie – neue Horizonte öffneten. Sie führten zu einer philosophischen Rückbesinnung auf die Grundsätze und Formen, Werte und Institutionen der republikanischen Praxis, die auf Rechtssicherheit und das Prinzip der Mischverfassung bedacht war und eine Ämterordnung geschaffen hatte, die späteren Zeiten als Vorbild diente und bedeutsam für die Entstehung und Entwicklung des europäischen und amerikanischen Staatensystems, für die Etablierung des bürgerlichen Rechtsstaates, die Machtkontrolle und die Verankerung einer Ämterlaufbahn in den heutigen repräsentativen Demokratien wurde. Der bedeutendste der römischen Denker war Cicero (106-43 v. Chr.), der sich im Anschluss an die mittlere Stoa (Panaitios, Poseidonios) und an die Historien des Polybios (ca. 200-ca. 120 v. Chr.) mit den Pflichten der Bürger (De officiis), mit den Gesetzen (De legibus) und mit den Existenzbedingungen des Gemeinwesens (De re publica) befasste.12 Seine Überlegungen zu den unterschiedlichen Verfassungen und speziell zur Republik sollen deshalb den Abschnitt über die griechisch-römische Antike beschließen.
Anmerkungen
1 1 Eine genauere Explikation des hier nur knapp skizzierten Sachverhaltes (mit weiteren Literaturhinweisen) habe ich versucht in: Peter Massing (Hg.): Ideengeschichtliche Grundlagen der Demokratie. Schwalbach/Ts. 1999, S. 11-30 [= Politische Bildung 32/2 (1999), S. 11-30]. Für Anregungen und kritische Hinweise danke ich Dieter Löcherbach.
2 2 Vgl. Christian Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen. Frankfurt/M. 1980.
3 3 Vgl. Aristoteles: Politik, I. Buch, 1253 b 1 ff., bes. 1255 b 16 ff.
4 4 Vgl. Jochen Bleicken: Die athenische Demokratie. Studienausgabe. Paderborn/München/Wien/Zürich 1986. Herman Mogens Hansen: Die athenische Demokratie im Zeitalter des Demosthenes. 2. Auflage, Berlin 2002.
5 5 Zu den Schwierigkeiten der Einschätzung der Partizipation und der Anzahl der Aktivbürger vgl. etwa Wolfgang Schuller: Griechische Geschichte (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 1). München 1980, 31991, S. 126 f. (und die dort genannte Literatur). Die Schätzungen schwanken zwischen 20 000 und 30 000 Vollbürgern in der Hochzeit der athenischen Demokratie bei einer attischen Gesamtbevölkerung von ca. 200 000 Menschen.
6 6 Vgl. Paul Veyne: Kannten die Griechen die Demokratie? In: Christian Meier/Paul Veyne: Kannten die Griechen die Demokratie? Berlin 1988, S. 13-44.
7 7 Siehe dazu unten die Leichenrede des Perikles im Auszug aus Thukydides.
8 8 Vgl.