Demokratietheorien. Rieke Trimcev
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Als Bürger gilt – wie schon bei Aristoteles – jeder, der an der regierenden, beratenden oder richterlichen Gewalt teilhat, „je nach seinem sozialen Rang. Diese Beschreibung schließt von den Bürgern die Knaben, die Sklaven, die Fremden und die Frauen aus“ (I,12,4). Die Civitas und/oder das Regnum wird folglich als Männerbund verstanden, als eine „Gemeinschaft freier Männer“ (§ 6). Während in den Stadtkommunen auch aristokratische oder bürgerlich-elitäre Formen der Willensbildung und Entscheidungsfindung denkbar sind, werden die übergreifenden Reiche wohl eher „gemäßigte“, d.h. rechtlich begrenzte Wahlmonarchien sein, in denen die oberen Stände tatkräftig mitwirken und vor allem beratende Funktionen ausüben. Dass die Angehörigen der Unterschichten an den drei Gewalten partizipieren und dadurch Bürgerstatus erlangen, ist eher unwahrscheinlich, wenngleich nicht prinzipiell ausgeschlossen. Die vollwertigen Bürger aber sollen nach Möglichkeit zugleich Urheber und Objekte des Gesetzes sein, da ein Mensch am liebsten solche Gesetze befolgt, von denen er glaubt, dass er sie sich selbst auferlegt hat (§ 6). Der beste Gesetzgeber ist demnach „die Gesamtheit der Bürger oder deren Mehrheit (eius valenciorem partem), die die Gesamtheit vertritt“ (§ 5).
Mit seinen eindringlichen Analysen hat Marsilius die Grundsätze der künftigen Politik formuliert. Mithilfe seiner begrifflichen und theoretischen Klärungen ließ sich nicht nur die Politik Ludwigs des Bayern gegenüber der Papstkirche in Avignon rechtfertigen, auch die westlichen Monarchien und die lombardischen Städte konnten sich in ihrem Streben nach Selbstständigkeit und Autonomie auf den Defensor pacis berufen. Dieser konnte so zum Ausgangspunkt des künftigen Staatsdenkens werden. Die späteren Reichsapologeten hingegen taten sich schwer mit dem Gedanken der Volkssouveränität, durch den die Entscheidung über die Verfassung und die konkrete Form der Regierung in die Hände der Bürgerschaft gelegt wurde und die Idee der Universalmonarchie als disponibel und letztlich als überflüssig erschien. Auf dem von Marsilius geebneten Weg konnten spätere Staatstheoretiker – von Machiavelli bis Hobbes, von Locke und Rousseau bis hin zu Hegel – weiterschreiten. Ziel der Politik ist nicht mehr die Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes, sondern die Friedenssicherung und die Ermöglichung eines einträchtigen Zusammenlebens. Dazu ist weder eine Universalmonarchie noch eine vom Papsttum beherrschte Anstaltskirche nötig. Es genügt, wenn sich die Städte und Provinzen ordentlich verwalten und – bei Bedarf – zu größeren Reichen oder zu Staaten zusammenschließen, in denen die Gesamtheit oder ihr „bedeutenderer Teil“ die Geschicke des Gemeinwesens bestimmt.
→ Dieser Beitrag ist digital auffindbar unter: DOI https://doi.org/10.46499/1651.2040
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