Demokratietheorien. Rieke Trimcev

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Demokratietheorien - Rieke Trimcev

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Und noch im 18. und 19. Jahrhundert galt als selbstverständlich, dass nicht alle in einem staatlichen Territorium lebenden Menschen Stimmrecht haben, also „Staatsbürger“ und nicht bloße „Staatsgenossen“ sind. Vorausgesetzt war Bildung und Besitz. Sowohl Gesellen, Dienstboten, Unmündige, „alles Frauenzimmer, und überhaupt jedermann, der nicht nach eigenem Betriebe, sondern nach der Verfügung anderer (außer des Staats) genötigt ist, seine Existenz (Nahrung und Schutz) zu erhalten, entbehrt der bürgerlichen Persönlichkeit“, bemerkte Immanuel Kant, dessen republikanische Gesinnung von niemandem in Zweifel gezogen wird, lapidar und apodiktisch [Metaphysik der Sitten (1797), I. Teil, § 46, Anm.]. Die Leistung des Marsilius wird deshalb durch ihre mittelalterlichen Schranken kaum geschmälert. Obgleich er kein allgemeines, freies und gleiches Wahlrecht für alle erwachsenen Menschen begründet hat, bleibt der Defensor pacis (1324) ein Meilenstein in der Entwicklung des europäischen Politikdenkens, ohne den die moderne Demokratietheorie schwerlich in Gang gekommen wäre.

      Ein neues Selbstverständnis brach sich Bahn, ein weltimmanentes Denken rivalisierte mit dem Gedanken der Transzendenz und sollte ihn schließlich verdrängen. Der Aristotelismus schien ohne den Glauben an den einen und einzigen Gott auszukommen und setzte eine neue Gelassenheit an die Stelle der christlichen Furcht. Der Mensch galt nicht mehr unbesehen als sündhaft, sondern als ein mit Verstand und natürlichen Bedürfnissen ausgestattetes Lebewesen, als animal rationale et sociale. Die natürliche Ordnung erlangte Eigenbedeutung innerhalb der Gnadenordnung, die irdische Herrschaft wurde künftig nicht nur durch Bezug auf Gott, sondern auch auf die Beherrschten legitimiert. Die menschlichen Gemeinschaften – von der Familie über die Nachbarschaft, das Dorf und die Stadt bis hin zur Provinz und zum König- oder Kaiserreich – wurden nun – neben der Kirche – als „natürliche“ Einheiten eigenen Rechts konzipiert. Kein Wunder, dass sich die Theologen vehement gegen den Einbruch der Philosophie in ihr eigenes Territorium und gegen die Brechung ihres Deutungsmonopols wehrten. Doch blieb ihr Abwehrkampf letztlich vergebens. Verketzerungen und Verbote nützten wenig. Das politische Denken emanzipierte sich nach und nach aus den Fesseln der christlichen Theologie.

      Den Ausgangspunkt seiner theoretischen Ableitung bilden nicht mehr die göttlichen Ver- und Gebote, sondern die Erfordernisse des menschlichen Zusammenlebens. Ihren Zielpunkt markieren nicht länger die Bestimmungen der Glückseligkeit und des ewigen Heils, sondern die Bedingungen und Formen, Mittel und Wege zur (Wieder-)Herstellung des irdischen Friedens. Mit Aristoteles erblickt Marsilius den Ursprung der Gemeinschaft (I,3) im menschlichen Streben nach Selbsterhaltung, d.h. im bloßen Überlebenwollen, ihren Endzweck (I,4) hingegen im „guten Leben“, d.h. in einem befriedeten und geglückten Dasein. Da aber schon das bloße Überleben infrage gestellt war, verlagerte sich der Akzent von der Zweck- (causa finalis) auf die Wirkursache (causa efficiens). Erforderlich zur Sicherung des Friedens ist nach Marsilius ein Regiment, in dem der weltliche Herrscher die geistlichen Würdenträger kontrolliert und über die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens wacht. Anstatt die Politik zu dominieren und ihre Richtlinien zu bestimmen, hat die Religion in ihren Dienst zu treten und sich dem Ziel der Friedenssicherung unterzuordnen. Die Priester und Pastoren haben unverzichtbare pädagogische und zivilisatorische Funktionen („Seelenpflege“), von den politischen Angelegenheiten haben sie sich aber fernzuhalten. Damit war die traditionelle christliche Lehre von den zwei Gewalten, dem Mitund Gegeneinander des geistlichen und weltlichen Schwertes, zugunsten einer einheitlichen weltlichen Gewalt preisgegeben, die zugleich über den Klerus gebietet (II,18,9).

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