Demokratietheorien. Rieke Trimcev
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Im Principe (1513), in den Discorsi (1513-1522) sowie in seiner Geschichte der Stadt Florenz (1520-1525) unternahm Machiavelli eine schonungslose Analyse der geschichtlichen Lage. Darin wurde Selbstbehauptung anstatt Selbststeigerung zum Ausgangspunkt und Grundprinzip der politischen Theorie, womit zugleich die empirisch-analytische, d. h. die nicht- oder anti-normativistische Politikbeobachtung einsetzte, wie sie noch heute die Politikwissenschaft dominiert. An die Stelle teleologischer Prämissen trat die Frage nach Regel- und Gesetzmäßigkeiten. Zweck des Politischen sollte nur mehr die Sicherung des Friedens, die Freiheit Italiens und seine staatliche Einheit sein. Alle Mittel, die diesem obersten Ziel dienen konnten, mussten recht sein. Zwar war Machiavelli ein Anhänger der Republik, doch hatte er als junger Mann den mit seiner Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen jämmerlich scheiternden Versuch Savonarolas miterlebt, eine direktdemokratische Ordnung in Florenz zu etablieren (1494-1498), und daraus den Schluss gezogen, unter den gegebenen Bedingungen sei eine kraftvolle Monarchie vorzuziehen. Zur Herstellung des Friedens und um dem allgemeinen Sittenverfall zu begegnen, schien es ihm deshalb geboten, dem Fürsten Zugeständnisse zu machen, ihn aus der Bindung an Recht und Gesetz zu entlassen und allein auf seine Tüchtigkeit und seinen Verstand zu vertrauen, seine virtù und ragione, durch die er die Notwendigkeit und das Glück bezwingen kann, die ehernen Geschichtsmächte necessità und fortuna.
Damit begründete der Florentiner jene Politiktradition, die bis heute unter dem pejorativen Titel Machiavellismus zusammengefasst und als skrupellose Machtpolitik oder „Dämonie“ perhorresziert wird. Machiavelli selbst war jedoch kein Machiavellist, sondern verzehrte sich in der patriotischen Sehnsucht nach Vereinigung des zerrissenen Italiens und seiner Befreiung von französischer, deutscher und päpstlicher Fremdherrschaft. Durch seine so motivierten theoretischen Leistungen wurde er zum bahnbrechenden Klassiker des politischen Denkens und zum Ausgangspunkt zweier gegensätzlicher politischer Strömungen. Seine theoretische Neuerung liegt in der Emanzipation des Politikdenkens von den überkommenen religiösen und moralisch-sittlichen Einbindungen. Er schuf eine Terminologie, die es erlaubte, politische Interessen (wieder) in ihrer autonomen Logik wahrzunehmen und ihr gemäß zu definieren und auch zu verfolgen. Diese Einsicht verpflichtete ihn aber keineswegs auf die Tradition des Etatismus (Staatsraison), wie er sie in seinem Principe begründete. Vielmehr konnte sich die aus der religiösen Obhut entlassene Politik durchaus auch republikanisch entfalten – das zeigen die Discorsi, mit denen Machiavelli den Florentiner Bürgerhumanismus beerbte und eine anti-etatistische Denkschule begründete, die den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit in der Amerikanischen und Französischen Revolution erreichte und heute von einigen Autoren wiederbelebt wird. Zwar hatte der gelernte Jurist nur geringe philosophische Kenntnisse, doch gerade dies verschaffte ihm die Distanz, die den radikalen Bruch mit der Tradition und einen Neuanfang ermöglichte. Indem er die christliche Ethik verwarf, gewann Machiavelli eine Position, von der aus die Phänomene der politischen Welt nicht mehr heilsgeschichtlich verklärt erscheinen mussten, sondern in ihrem Eigensinn begriffen werden konnten.
Zu ganz ähnlichen Resultaten gelangte – von völlig verschiedenem Ausgangspunkt her und fast in konträrem Interesse – Machiavellis Zeitgenosse Martin Luther (1483-1546), der die virulente Kritik an der Papstkirche radikalisierte und die Religion aus dem Quellgrund des christlichen Glaubens erneuern wollte. Ihre Symbiose mit der Politik musste aufgelöst werden! In der Vermischung von Weltlichem und Geistlichem erblickte Luther das Grundübel seiner Zeit, das ein für alle Mal zu beseitigen war. Ausgehend vom urchristlichen Prinzip der Gottes- und Nächstenliebe begründete er die Notwendigkeit einer prinzipiellen Trennung von Religion und Politik, um die Kirche, die „Bürgerschaft Gottes“, der weltlichen wie der geistlichen Herrschaft zu entwinden. Dafür sollte umgekehrt die profane Politik dem Zugriff des Klerus entzogen sein. Luther und Machiavelli sind daher nicht nur Zeitgenossen, sie sind sich auch in der Sache sehr nah. Beider Wollen hat dieselbe Folge: Befreiung der Politik aus der geistlichen Vormundschaft und Stärkung der weltlichen Herrschaft durch Entmachtung der römischen Kirche.
Die von Luther ausgelöste Reformation setzte eine tiefe Zäsur in die europäische Geschichte. Durch sie wurde die Idee der Einheitswelt eines Orbis christianus, die Hoffnung auf ein weltumspannendes christliches Reich, die das mittelalterliche Denken der Christen beherrscht und geleitet hatte, beerdigt. Sie fand zwar weiterhin Verfechter – bis hin zu den katholischen Gegenrevolutionären des 19. Jahrhunderts –, hatte aber keine Realisierungschance mehr. Folge der Reformation war die Spaltung der christlichen Kirche. Der Protestantismus trennte sich vom Katholizismus und entwickelte neue Formen der Kirchenverwaltung, des Glaubens und der Liturgie. Im Gefolge der Reformation durchlitt Europa im 16. und 17. Jahrhundert eine Welle blutiger Bürgerkriege, in denen sich die Christen gegenseitig abschlachteten. Sie erschütterte den Kontinent und erreichte ihren Höhepunkt im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Als Katalysator der Formierung souveräner Staaten war die Reformation die wohl wichtigste Schubkraft im Prozess der Trennung von Religion und Politik und der Entstehung des europäischen Staatensystems, das im Westfälischen Frieden von1648 seine für Jahrhunderte gültige Form und Gestalt fand. Durch Konzentration und Zentralisation der politischen Entscheidungs- und herrschaftlichen Zwangsgewalt – in Händen von absoluten Monarchen oder Parlamenten – entstand der nach innen wie außen souveräne, aus ständischer Herrschaft gelöste, durch Bürokratie und stehendes Heer institutionell konsolidierte Staat, der auf einem fest umgrenzten Territorium das „Monopol legitimen physischen Zwanges“ bzw. der „Gewaltsamkeit“ behauptet,4 mit Hilfe von Polizei und Verwaltung den innerstaatlichen Frieden sichert und seine Beziehungen zu anderen Staaten in Krieg und Frieden rechtlich regelt, ohne eine übergeordnete Entscheidungsund Befehlsinstanz zu akzeptieren. Die klassische Begründung des modernen, rechtlich unbeschränkten Staates entwickelte Thomas Hobbes (1588-1679), der ihn auf den Vertrag eines jeden mit einem jeden zurückführte, durch den der Naturzustand beendet wird – der Krieg eines jeden mit einem jeden. Hobbes‘ Leviathan (1651) wurde zum Ausgangs- und kritischen Bezugspunkt aller folgenden Staatstheorien, die um die Frage nach der konkreten Staatsform (Monarchie oder Republik, Aristokratie oder Demokratie) und der Rechte und Grenzen des Staates kreisten. In ihrer kontroversen Diskussion reflektiert sich die moderne Transformation vom absolutistischen Fürsten- zum gewaltenteiligen Verfassungsstaat, vom monarchischen Macht- zum bürgerlichen Rechtsstaat, vom Stände- zum Repräsentativstaat und zur parlamentarischen Demokratie sowie schließlich vom liberalen Nachtwächter- zum Interventions-, Sozial- und Wohlfahrtsstaat. Der Demokratiebegriff behielt dabei lange den negativen Klang, den ihm einst Platon und Aristoteles eingelegt und abgelauscht hatten. Noch Marsilius von Padua, der für eine gemäßigte Demokratie votierte und die Partizipation der Bürger stärken wollte, verstand Demokratie im Anschluss an Aristoteles als Herrschaft des Pöbels (I,8,3).
Der erste Denker, der einen eindeutig positiv konnotierten Demokratiebegriff entwickelte, war Baruch de Spinoza (1632-1677), der ihn aus einer systematischen Kritik am Leviathan des Thomas Hobbes gewann. Spinoza folgt im Theologisch-politischen Traktat (TTP) von 1670 weitgehend den Hobbes’schen Vorgaben – vom Menschenbild über die Vertragstheorie bis hin zur Staatstheorie –, diskutiert aber alle relevanten Probleme stets im Hinblick auf die demokratische Regierungsform, die ihm als die natürlichste von allen galt, weil in ihr niemand sein Recht derart auf einen anderen überträgt, dass er selbst fortan nicht mehr zu Rate gezogen werden müsste – vielmehr überträgt er es auf „die Mehrheit der gesamten Gesellschaft, von der er selbst ein Teil ist. Auf diese Weise bleiben alle gleich, wie sie es vorher im Naturzustand waren“ (TTP, XVI, 240). Spinoza radikalisiert die Hobbes’sche Forderung nach Glaubens- und Gewissensfreiheit und betont nicht nur die Freiheit des Denkens und Fühlens im Inneren des Bürgers, sondern begründet auch dessen Recht auf Meinungsäußerung nach außen (TTP, XX, 301-307), auf Kritik und freie Wahl der Religion. Er aktualisiert damit den Gedanken der religiösen Toleranz, der bereits im Kontext der Hugenottenkriege in Frankreich von Jean Bodin und in der Englischen Revolution von den Levellers vertreten wurde.
Der Theoretiker der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft,