Demokratietheorien. Rieke Trimcev
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Die Prinzipien der Gewaltenteilung und der rechtlichen Begrenzung der Staatsgewalt wurden von Charles de Montesquieu (1689-1755) präzisiert. In seinem großen Werk Vom Geist der Gesetze (1748) konnte er zeigen, dass die Gesetze keine Diktate irgendwelcher Souveräne, sondern historisch erwirkte Festlegungen sind, die in einer Vielzahl gewachsener Gegebenheiten wurzeln. Sie sind abhängig vom Gesamtzusammenhang der jeweiligen natürlichen, sozialen, ökonomischen, religiösen, politischen, klimatischen und sonstigen Bedingungen und entspringen den konkreten Lebensverhältnissen, Gewohnheiten und Sitten, die nicht zur Disposition des Souveräns stehen. Als Grundvoraussetzung der Freiheit erschien Montesquieu die strikte Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative, wobei die exekutive Befugnis in den Händen des Königs läge, die Gesetzgebung aber Sache gewählter Repräsentanten ist. Der Autor konnte sich auf eine mehr als 50-jährige Praxis der Gewaltenbalance in England beziehen, die ihm als vorbildlich und als beste aller damals bestehenden Ordnungen galt (11. Buch, 6. Kap.). Der englische Parlamentarismus schien die ideale Verkörperung der Republik zu sein, weil hier die besten Köpfe des Volkes – ohne Bindung an ihre Wähler durch ein imperatives Mandat – durch gemeinsame Beratung das Für und Wider der Entscheidungen erörtern und durch Abwägung der theoretischen und praktischen Alternativen das Gemeinwohl sowie die Wege zu seiner Verwirklichung ermitteln.
Der Klassiker der modernen Demokratietheorie ist Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). Er verschärfte die Hobbes-Kritik Spinozas und präzisierte den Gedanken der Volkssouveränität. Alle Befugnisse und Kompetenzen der Regenten leiten sich demnach her vom Willen des Volkes, den zu vollstrecken ihre Pflicht und Aufgabe ist. Während Montesquieu den englischen Parlamentarismus als wohlgelungene Ordnung rühmte, erblickte Rousseau in ihm eine Illusion. Er sah in den englischen Repräsentanten nicht uneigennützige Vertreter des Volkes, sondern eine volksabgehobene und volksfeindliche Clique von machtgierigen und korrupten Egoisten, die sich um das Gemeinwohl nicht scheren und sich stattdessen auf Kosten des Volkes bereichern. Deshalb suchte er nach einer alternativen Form der politischen Organisation und fand diese in der Demokratie, die seinerzeit – wie schon in der Antike – immer als direkte oder unmittelbare Demokratie verstanden wurde und daher zum Staat im Gegensatz stand. Der Ausdruck „direkte Demokratie“ wäre Rousseau und allen Denkern bis zur Französischen Revolution als Pleonasmus erschienen. In dem später geprägten Begriff „repräsentative Demokratie“ hätten sie eine contradictio in adjecto erblickt, da in ihren Augen Stellvertretung und Demokratie einander ausschließen. Der allgemeine Volkswille, die volonté générale, schreibt Rousseau im Contrat Social (1762), könne nicht von Stellvertretern „repräsentiert“ werden, sondern nur von der Gesamtheit der Bürger. Einzelne seien überfordert, wollten sie diese Aufgabe übernehmen. Das Postulat der Stellvertretung entspringe einem grundlegenden Irrtum. Wenn nämlich die Menschen, wie von Hobbes vorausgesetzt, in einem „Krieg aller gegen alle“ stehen, dann könne man von ihnen schwerlich erwarten, dass sie sich auf einen Gesellschaftsvertrag einigen. Unterstelle man aber, dass sie sich zu einem solchen Vertrag oder Bund einigen können, dann sei es absurd anzunehmen, sie müssten sich auch noch einem Dritten unterwerfen und ihre Souveränität auf diesen übertragen.
Da sich Großflächenstaaten jedoch nicht durch Zusammenkunft und öffentliche Diskussion der ganzen Bürgerschaft regieren und verwalten lassen, setzte ihnen Rousseau – inspiriert durch die erfolgreichen demokratischen Experimente in seiner Heimatstadt Genf – die Vision von kleinen und überschaubaren, direktdemokratisch organisierten Gemeinwesen nach dem Vorbild der antiken Polis entgegen, in denen die Bürger ihr tatsächliches Wollen (volonté de tous) dem allgemeinen Willen (volonté générale) angleichen, sich die Maximen der Vernunft zu eigen machen und in den Dienst des Gemeinwesens stellen, ihr privates Interesse dem der Allgemeinheit unterordnen, die Privateigentumsordnung revolutionieren und sich selbst durch eine naturgemäße Sozialisation, durch Partizipation und politisches Engagement zur Mündigkeit erziehen. Voraussetzung der Demokratie seien 1. ein sehr kleiner Staat, in dem das Volk leicht zu versammeln ist und jeder jeden Bürger kennt; 2. eine große Einfachheit der Sitten und 3. fast vollkommene Gleichheit in Bezug auf Stand und Vermögen. Soll sie realisiert werden, müssten folglich die bestehenden Staaten zerschlagen werden. An ihre Stelle hätten kleine, überschaubare Einheiten zu treten, in denen die Vermögensunterschiede aufzuheben und die Einzelnen durch eine angemessene Erziehung zu natürlicher Sittlichkeit zu befähigen wären. Rousseau selbst äußerte gelegentlich Zweifel hinsichtlich der Praktikabilität der Demokratie. Seine demokratischen Ideen wurden jedoch in der Französischen Revolution von den Jakobinern aufgegriffen, die in der Nationalversammlung die Auffassung vertraten, nur eine direkte Demokratie ermögliche eine adäquate Repräsentation, d. h. Darstellung oder Vergegenwärtigung des Volkswillens.
Anmerkungen
1 1 Wie Max Weber im Zuge seiner religionssoziologischen Forschungen feststellen konnte, sind die vorderasiatischen Erlösungsreligionen „fast ausnahmslos Folgeerscheinung der erzwungenen oder freiwilligen Abwendung der Bildungsschichten von politischem Einfluß und politischer Betätigung“. Vgl. Wirtschaft und Gesellschaft. Studienausgabe. Tübingen 1972, 2. Teil, Kap. V.: „Religionssoziologie (Typen religiöser Vergemeinschaftung)“, S. 245-381; hier: S. 306 f. Siehe dazu auch Hans G. Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen in ihrem Zusammenhang mit der antiken Stadtherrschaft. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen 1988. Frankfurt/M. 1991.
2 2 Vgl. Hans Baron: Bürgersinn und Humanismus im Florenz der Renaissance (1988). Berlin 1992; ders.: The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny. 2 Bde. Princeton/N. J. 1955; John G. A. Pocock: The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition. Princeton/N. J. 1975; ders.: Die andere Bürgergesellschaft. Zur Dialektik von Tugend und Korruption. Frankfurt/M./New York 1993; Quentin Skinner: The Foundations of Modern Political Thought. Bd. 1: The Renaissance. Cambridge 2002.
3 3 Vgl. Herfried Münkler: Die Idee der Tugend. Ein politischer Leitbegriff im vorrevolutionären Europa. In: Archiv für Kulturgeschichte 73 (1991), S. 379-403; ders.: Die politischen Ideen des Humanismus. In: Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen. Bd. 2. München/Zürich 1993, S. 553-613.
4 4 Vgl. M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29, 516 ff., 821 ff., passim.
→ Dieser Beitrag ist digital auffindbar unter: DOI https://doi.org/10.46499/1651.2039