Die weise Schlange. Petra Wagner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 2
Initiation
Schlafend liegt das Land, bedeckt von dunkler Stille. Nur die Tiere der Nacht streifen umher, und so sind sie es, die den leisen Hauch vernehmen: „Brüder und Schwestern, ihr, freut euch und tanzt mit mir, nun endlich bin ich wieder hier.“
Und wie aus dem Nichts erhebt sich der Südwind. Er streift durch Gräser schwer von Reif, kreist um Borke glatt von Eis, küsst jede Knospe, zarte Blüte und schwingt sich weiter, höher, schneller über Wipfel, Berge, Klippen. Er hascht nach den Wellen und wirbelt zurück in die Auen, in die Wälder, ja, sogar in die Träume der Schlafenden.
Laut zerreißt ein Schrei die Stille, markerschütternd, gellend, wild; es ist nichts Menschliches, das kreischt:
„Wacht auf, ihr Schläfer! Hurtig, erwacht! Finsternis weicht, hebt ihre Decke aus tiefer Nacht! Dämmerung ahnt, wer hinsieht und wacht! Dunkel, Hell zu gleichen Teilen, den Anbruch heut besonders macht! Schaut gen Osten, staunt, gebt acht, Ostara, die Göttliche, erwacht! Einmalig jeder Augenblick und Herrlichkeit in reinster Pracht! Wacht auf, ihr Schläfer, und ehrt diesen Tag, Ostara gedacht!“
„Beim Geweih von Cernunnos, ich dreh dem Gallus den Hals um!“ Merdin ballte die Fäuste.
„Hm? Runter von meinem Haar, sonst hast du gleich einen verdrehten Hals.“ Viviane spähte durch die einen Spaltbreit geöffneten Lider. Um sie herum war alles finster, ihr Haar schien befreit, sofort kniff sie die Augen wieder zu. „Noch Zeit.“ Wohlig seufzend kuschelte sie sich tiefer in die weichen Bärenfelle.
„Ja, noch Zeit. Schlaf weiter, Vivian“, murmelte Merdin so leise wie möglich. „Und vergib mir, ich hab dein Haar unter meinem Arm nicht bemerkt.“ Doch seine weit aufgerissenen Augen sagten etwas vollkommen anderes als diese beruhigenden Worte.
Entsetzt starrte er auf Viviane hinab. Sehen konnte er sie nicht – es war noch zu dunkel im Raum – aber er wusste, sie lag genau unter ihm. Unter ihm! Wie war das passiert? Er konnte ihren warmen Atem an seinem Mund spüren. Und was noch schlimmer war: Er konnte auch ihre Arme und Beine fühlen, ihren Bauch und ihre weichen … bei allen Göttern, ihre Haut war so heiß! Sie glühte – nein, das war er, er brannte! Keine Panik.
Keine Panik.
Vorsichtig, ganz vorsichtig stemmte er sich auf die Zehen, auf die Fingerspitzen, spannte sämtliche Muskeln an … sachte, sehr sachte hievte er sich hoch, höher, weg von ihr. Oh nein, ihre Haut haftete an seiner, klebte fest, wollte einfach nicht abgehen. Lag das am Nussöl, mit dem sie sich gestern eingerieben hatten? So eine starke Haftung? Vielleicht in Kombination mit Schweiß? Nein, da klemmte irgendwas, fragte sich bloß … Oh, er steckte wirklich fest, genauer: Er steckte in der Klemme.
Diese Hitze an dieser Stelle, beim Geweih von Cernunnos, wieso merkte er das jetzt erst? Egal. Stillhalten. Nachdenken. Keine falsche Bewegung.
Wie war sie unter ihn gekommen? Nein, wie war er in sie gekommen? Schwachsinn. Er war nicht direkt in ihr. Jedenfalls nicht so tief. Das waren hoffentlich bloß ihre warmen, eingeölten Oberschenkel, die ihn festklemmten und ihm dieses Gefühl vermittelten. Eng und rutschig, so gut, so wunderbar. Nein, halt, das war gar nicht wunderbar, das war fatal. Er musste schleunigst nachdenken. Wie sollte er von ihr loskommen? Er hatte schließlich nicht um Erlaubnis gefragt und jetzt war eine ganz schlechte Zeit, um das nachzuholen. Wer wusste, wie Viviane reagieren würde, sie hatte viel Stolz in dieser Hinsicht. Obwohl, im Augenblick schien sie sehr zufrieden, geradezu glücklich. Er konnte es genau an ihrem Gesichtsausdruck sehen, langsam dämmerte es nämlich.
Oh weh. Er sollte sich in Sicherheit bringen …
Überaus sanft begann er, sich von Viviane zu lösen, den Blick fest auf ihre gesenkten Lider geheftet. Was würde sie von ihm denken, wenn sie jetzt die Augen aufschlüge? Er – einen Fingerbreit über ihr, lang ausgestreckt, mit gierigem Blick und dem mächtigen Drang, sich abwärts zu bewegen, statt aufwärts. Obwohl, aufwärts war auch nicht schlecht. Ihre Schenkel waren so schön glitschig. Also. Was machte er sich für Sorgen? Viviane schlief längst wieder tief und fest, sie stand eindeutig noch unter Drogen. Sie befand sich in der Trance, die in dieser besonderen Nacht herbeigeführt worden war – in voller Absicht, genau wie für ihn selbst. Kein Wunder, wenn er nicht gemerkt hatte, wie er auf sie gekommen war, und sie würde genauso wenig merken … Er könnte noch mal abwärts.
Nein.
Mit einem Ruck stand Merdin auf den Füßen und drehte sich weg. Sie sollte ihn nicht in dieser Verfassung zu Gesicht bekommen. Er wollte keine Fragen hören. Er wollte seine Stirn an die glatte Lehmwand drücken und tief durchatmen. Er wollte sich entspannen, überall.
„Beim Geweih von Cernunnos“, murmelte Viviane wenig später. „Ich rubble und rubble und bekomm die Augen einfach nicht auf.“ Schnaubend verschränkte sie die Arme unter der Brust und grummelte weiter: „Hm, was fühlt sich da so feucht … Iiiih, ist das schmierig! Wieso klebt das so? Muss an der Wärme hier drin liegen, oder an meinem Traum, oder an beidem. Ich bin mit einem Hirsch um die Wette gerannt, konnte prima mithalten und sogar überholen. Ich bin auch auf ihm geritten! Das scheint zwar überhaupt nicht logisch, aber was solls - echt beeindruckend, so eine Wanderung zwischen den Welten. Unglaubliche Reise. Bergkristalle als Tautropfen, bunte Edelsteine als Regenbogen, der Hirsch und ich vor dem Sonnengott höchstpersönlich; er hatte sogar ein Geschenk für uns. Weiter können die Sinne wohl nicht über sich hinauswachsen. Ah, jetzt endlich …“
Viviane riss die Augen auf. „Oh weh, vorher war es besser, mir schwirrt der Kopf.“ Träge, sehr träge schaute sie sich um.
Alles war wie am Abend zuvor, als sie mit geschlossenen Augen von ihrem Meister Akanthus in diese karge Hütte geführt worden war: Kein Licht, nur Finsternis mit einem Hauch von Violett, aber das reichte für ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Es gab ein winziges Fenster gen Westen, eines gen Süden, eines gen Osten und eine hüfthohe Tür gen Norden. Ansonsten nichts außer vielen weichen Bärenfellen auf dem Fußboden und an der Decke eine Öllampe.
„Ach.“ Viviane blinzelte. Merdin war ja auch noch da. Gestern, bei Tag betrachtet, hatte er allerdings besser ausgesehen. Mit dem Geradestehen hatte er noch keine Probleme gehabt. Oder?
„Tut dir was weh?“ Viviane legte sachte ihren Kopf schief, damit sie einen anderen Blickwinkel bekam. „Ich meine, ich sehe dich zwar nicht ausreichend, ist noch recht düster, aber hast du dir gestern im Kampf was gezerrt oder geprellt? Oder hast du dir gar was gebrochen?! Kriegst du gut Luft? Fühlt sich irgendetwas steif an?! Wird was dick?“ „Kaum der Rede wert.“ Merdin grinste die braune Lehmwand an und presste sich die Hände auf den Rücken. „Sind bloß Prellungen. Hab ein paar tiefe Faustschläge einstecken müssen. Unterer Rippenbogen hinten rechts. Genau hier.“ Er schob seine fünf langen Zöpfe zur Seite und deutete auf besagte Stelle.
„Wenn’s weiter nichts ist, ich guck mal nach. Dein Hals ist ja nicht lang genug.“ Schwerfällig rollte sich Viviane auf den Bauch.
Sie wollte gerade die Arme aufstützen, da machte Merdin eine wegwerfende Handbewegung und gluckste: „Du wälzt dich