Die weise Schlange. Petra Wagner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 4

Die weise Schlange - Petra Wagner

Скачать книгу

ihrer Initiation beginnen, die wohlverdiente Aufnahmefeier. Wie auch immer diese vonstattengehen würde – das hatte ihnen niemand verraten wollen. Doch Geduld war ihre Stärke. Sie hatten fünfeinhalb Jahre Heilkunst-Ausbildung absolviert und nebenbei die Kunst des Kampfes erlernt. Sie hatten ihre Prüfungen in Chirurgie, Kräuterkunde, Wundheilung, Arzneiherstellung und all den wichtigen Handgriffen bestanden, die ein voll ausgebildeter Arzt können musste. Danach hatten sie mit allen Sinnen und leerem Magen gegen riesige Krieger in dunklen Wäldern gekämpft, ihre Torques feierlich angelegt bekommen und nun ganz offenbar eine Nacht im Drogenrausch hinter sich gebracht. Was immer jetzt noch auf sie zukam – sie waren bereit.

      Das Lächeln rutschte ihnen zeitgleich aus dem Gesicht, als zwischen den Büschen am Ende der Wiese blaue Punkte auftauchten und einen Wimpernschlag später wieder verschwanden.

      Hastig trat Merdin an Vivianes Seite, und sie kniffen beide die Augen zusammen, um den Waldrand besser ins Visier nehmen zu können.

      Der Wald war von ihrem Standpunkt aus sehr weit weg, doch es gab keinen Zweifel: Dort im Unterholz, zwischen Bäumen und Sträuchern, sammelten sich nackte, blau bemalte Krieger. Drei, fünf, sieben … es wurden immer mehr … Männer, vielleicht auch Frauen, das war auf die Entfernung nicht erkennbar.

      Unvermittelt schlugen die Trommeln schneller und eine breite, blaue Woge ergoss sich aus dem Wald. Viviane und Merdin rieben sich die Augen, blinzelten hektisch, doch das Bild blieb: Da tobte ihnen eine wilde Kriegerhorde entgegen. Je näher sie kam, umso deutlicher sahen sie die einzelnen Kämpfer: Männer, Frauen, nackt und blau bemalt von Kopf bis Fuß, mit aufgetürmten Haarmähnen, Halsreifen aus Gold, Gürteln mit Waffen, Speeren, Lanzen … unter lautem Kriegsgeheul erstürmten sie die Wiese.

      Obwohl sie noch viel zu weit weg waren, wirbelten sie mitten im Lauf Steinschleudern über ihren Köpfen, rissen Pfeil und Bogen hoch, Speere, Blasrohre … Steine, Pfeile, Speere zischten durch die Luft, prasselten ins Gras, rammten sich ins Erdreich. Blasrohrpfeile spickten die Wiese vor ihnen wie mit Nadeln, doch diese weiß-blauen Wilden rannten einfach weiter, immer weiter, sprangen mit langen Sätzen über ihre eigenen Geschosse und johlten, brüllten, kreischten zum Donner der Trommeln – es war der schiere Wahnsinn. Merdin gähnte.

      „Einfach grässlich, der ganze Tumult. Und wie die aufstampfen … bei mir vibriert schon der kleine Zeh. Wie steht es bei dir?“

      „Krakeelende Drachenkrieger? Sehr fürchterlich. Ich mach mir gleich ins Röckchen.“

      „Ins Röckchen?!“ Merdin prustete los und schielte an ihr hinab. Die dicke Ölschicht auf ihrer Haut, vermischt mit dem Schweiß der letzten Nacht, war die reinste Augenweide. Für ihn hätte sie auf ewig nackt bleiben können. „Ach, Vivian“, seufzte er übertrieben schwermütig. „Du hättest wenigstens ein kleines bisschen zucken können. Ich habe es wieder mal vermasselt. Hab aus purem Reflex nach meinen Schwertern gegriffen.“

      „Ein komplett nackter Mann hat keine Schwerter.“

      „Weiß ich doch, aber ich kann mir das einfach nicht abgewöhnen. Affekt ist Affekt.“

      „Merdin, ich muss dich schelten. Erst nachdenken, dann handeln, hat uns Akanthus beigebracht, egal ob beim Kämpfen oder beim Heilen.“

      Zum besseren Einprägen wedelte Viviane mit dem Finger und zwickte Merdin in die Nase. „Beim nächsten Mal verpasse ich dir keine Rüge mehr, dann quetsche ich dich gleich woanders. Lass es lieber nicht drauf ankommen.“ Feixend zupfte sie an der erstbesten kupferroten Haarflechte, die sie von ihm zu fassen bekam.

      „Das sind Lehrmethoden …“ Lächelnd rieb sich Merdin die Nase und fragte: „Nun gut, Herrin der Reflexe, woran hast du so rasch erkannt, dass der Angriff nicht echt ist?“

      „Weiß nicht genau.“ Viviane zuckte die Schultern und beobachtete die Krieger, die immer noch wie die Irren rannten und kreischten. Gerade machten sie sich bereit, einen neuen Geschosshagel in ihre Richtung zu schicken.

      „Mein erster Gedanke war …“, rief sie laut in das aufkommende Zischen hinein, „…dass ich zwar niemanden erkenne, aber sie können sich noch so blau anmalen vom Scheitel bis zur Sohle und die Haare mit Ziegenfett steif halten – sie brüllen einfach nicht real genug. Da ist keine Angst, kein Zorn oder Hass herauszuhören, wie man bei einem echten Angriff erwarten dürfte, sondern vielmehr Jux und Übermut. Wahrscheinlich haben sie deshalb einen langen Anlaufweg gewählt, statt sich zuerst näher heranzuschleichen. Ohne Schild ist ein Langstreckenrennen ja auch viel leichter, wenn man sowieso keinen Schutz braucht.“

      Viviane nickte in Richtung einer jungen, sehr hochgewachsenen Kriegerin, die an der rechten Flanke allen voran stürmte. Stattlicher Wuchs, üppige Brüste und drei blaue Spiralen im Gesicht waren ihre hervorstechendsten Merkmale, doch mit jedem ihrer ausgreifenden Sprünge in Vivianes und Merdins Richtung gab es mehr von ihr zu sehen.

      Ihre langen blonden Haare waren zu einer mächtigen Löwenmähne verzottelt, die sie noch viel größer und wilder erscheinen ließ, als sie sowieso schon war. Auf Brust und Bauch prangte ein riesiger blauer Drache mit scharfen Zähnen und Augen von derart stechendem Blick, dass der Drache zu fliegen schien, als die Kriegerin mitten im Sprung ein ellenlanges Rohr um ihre Finger wirbelte. Der Anblick brachte Viviane zum Schmunzeln.

      „Uathach krakeelt immer am lautesten, rennt immer am schnellsten und treibt immer Unfug mit ihrer Speerschleuder.“

      „Ganz recht, deine Freundin bringt ihre Speerschleuder mal wieder zum Rotieren. Hatte früher bestimmt keinen Kreisel zum Spielen.“

      „Ja, die alten Krieger-Clans hierzulande, müssen immer protzen.“

      „Die von der Nebelinsel sind am schlimmsten, kann ich dir versichern.“

      Darauf erwiderte Viviane nichts, denn ihre Aufmerksamkeit galt noch immer der blonden Kriegerin. „Oh je, sie wird doch nicht …! Jetzt ist ihr eingefallen, dass sie am weitesten werfen kann! Achtung! Tieffliegender Drache von rechts!“ Mit aufgerissenen Augen verfolgte Viviane, wie Uathach mitten im Rennen ihre Speerschleuder über dem Kopf austarierte. Als sie zum Wurf ansetzte, sah es fast gemächlich aus, doch ihr Speer schoss mit einer solchen Wucht von der Laufschiene weg, dass Viviane tatsächlich glaubte, zwischen zwei Trommelschlägen das typische Zischen zu hören. Ihre Augen folgten der Flugbahn des Speeres, der flog und flog wie von unsichtbarer Hand getragen.

      Einschlag zwanzig Schritt rechts vor ihr? Ein Katzensprung!

      Jauchzend riss Viviane das Geschoss an sich und rannte auf Ausgangsposition zurück.

      Doch Merdin war nicht mehr da, wo er soeben noch gestanden hatte.

      Leichtfüßig trabte er ein Stück weit über die Wiese, wo mittlerweile die anderen Wurfgeschosse eingeschlagen waren, und begutachtete die Auswahl. Er schlenderte hierhin, schlenderte dahin, zog einen Pfeil heraus, einen Speer, warf beides wieder weg …

      „Holla, du träge weise Schlange! Hurtig, hurtig, wappne dich! Bald sind sie da!“

      „Nur keine Hektik, ich will einen schönen Spicker!“

      „Wie ein Feinschmecker auf Pilzsuche.“ Grinsend stützte sich Viviane auf ihren erbeuteten Speer und genoss das Spektakel.

      Die anstürmende blaue Horde hatte kurz innegehalten, um den Einschlag ihre Geschosse besser zu verfolgen. Nun begannen sie wieder zu rennen. Wie auf Kommando fächerten sie sich zu einer breiten, sichelförmigen Angriffsformation auseinander und ihre äußeren Läufer steigerten sich zu enormer Geschwindigkeit. Manch einer hielt noch Axt

Скачать книгу